Esoterik statt Psychotherapie: Dieser Vorwurf erhebt «Infosekta», die Fachstelle für Sektenfragen gegenüber der diplomierten Psychotherapeutin Sanju Misra und dem Psychiater Ueli Schneider.
«Schmetterlinge», so nennt sich der Kreis Menschen um die beiden Therapeuten. Unabhängig voneinander hat sich eine Reihe von verschiedenen ehemaligen Teilnehmenden bei der Fachstelle gemeldet und Bedenken über die Methoden dieser Therapeuten geäussert. «Die Teilnehmer in der Gruppe geraten in eine gewisse Abhängigkeit», sagt Susanne Schaaf, Leiterin von «Infosekta».
Neben Einzelsitzungen führt Sanju Misra mehrere Seminare pro Jahr durch. Bis zu 50 Personen seien dort jeweils anwesend, berichten Ehemalige. Sanju Misra stünde im Zentrum der Aufmerksamkeit, sie fordere Verehrung ein, man könne sich ihrem Einfluss schlecht entziehen.
Die Anwesenden seien teilweise aufgefordert worden, auch ausserhalb der Gruppenanlässe in engem Kontakt zu stehen, alte Bekanntschaften aufzugeben und sich von der eigenen Familie zu distanzieren. Die Seminare hätten nichts mit anerkannten Psychotherapie zu tun, sagt «Infosekta». «Kassensturz» traf mehrere Ehemalige, die diese Aussagen bestätigen.
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Falsche Rechnungen
«Kassensturz»-Recherchen zeigen jetzt auf: Die Psychotherapeutin Misra und der Psychiater Schneider stellen falsche Rechnungen und belasten damit die Krankenkassen-Grundversicherung. Sie verrechnen ihren Klienten bzw. der Krankenkasse Einzelsitzungen.
Doch in Wirklichkeit haben die Patienten bei Sanju Misra auch Gruppenseminare besucht. Im Gegensatz zu den Einzeltherapien kommen die Krankenkassen nicht für solche Anlässe auf. Sanju Misra aber deklariert die Seminare ebenfalls als Einzeltherapie und schreibt pro Seminartag zwei Einzelstunden auf.
«Allen Teilnehmenden wurde bei den Veranstaltungen gesagt, es gäbe die Möglichkeit, die Kosten für die Seminare über die Krankenkassen-Grundversicherung abzurechnen», sagt eine Betroffene.
Dies ist nur möglich, weil Sanju Misra durch den Psychiater Ueli Schneider delegiert arbeitet. Das bedeutet, dass die Kosten für mindestens 40 Einzeltherapiestunden pro Patient über die Krankenkassen-Grundversicherung abgerechnet werden können – sofern die Therapien in der Praxis des Psychiaters stattfinden.
Sanju Misra arbeitet also quasi im Angestelltenverhältnis bei Ueli Schneider, der letztlich die Verantwortung über die Therapien und die gestellten Rechnungen trägt.
«Missbrauch des Systems»
Christian Bernath betreut im Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie das Ressort Tarife und delegierte Psychotherapie.
«Die Abrechnungen sind immer auch eine Vertrauensangelegenheit. Man kann nicht alles kontrollieren», sagt er. Doch es sei klar definiert, was delegierte Psychotherapeuten bzw. ihre Ärzte abrechnen dürfen oder nicht.
Was sicher nicht geht: Seminare – unabhängig von deren Inhalt – als Einzelsitzungen zu deklarieren. «Das wäre klar ein Missbrauch des Abrechnungssystems», sagt Bernath.
Auch für Santésuisse, den Verband der Schweizer Krankenkassen, dürfen Seminare keinesfalls als Einzeltherapien verrechnet werden. Dies sagt Sprecherin Anne Durrer gegenüber «Kassensturz».
Von der Methode überzeugt
Sanju Misra und Ueli Schneider geben ihre Praxis gegenüber «Kassensturz» offen zu. Er nimmt gegenüber «Kassensturz» vor der Kamera Stellung. Man sei aber überzeugt, mit einer wirksamen und zweckmässigen Methode zu therapieren. Schneider und Misra berufen sich auf die transpersonale Psychologie, die auch philosophische oder spirituelle Aspekte beinhaltet.
Die Behandlungen seien in der Schweiz noch nicht sehr verbreitet aber äusserst erfolgreich und effizient, sagt Schneider, besonders wenn die Einzeltherapien mit den Gruppenseminaren kombiniert würden. Von „tricksen“ und „falschen Rechnungen“ könne nicht die Rede sein. Seiner Ansicht nach ist diese Art der Abrechnung erlaubt. Er bezeichnet sie als allenfalls „diskutabel.“ Ueli Schneider will deshalb sein Vorgehen mit den Krankenkassen besprechen, sagte er im Interview im «Kassensturz».
Sanju Misra und Ueli Schneider weisen die Vorwürfe von «Infosekta» und der ehemaligen Klienten entschieden zurück. Sie würden keine sektenähnliche Tendenzen verfolgen.