Anfang Oktober werfen die steigenden Krankenkassenprämien das Budget in Schweizer Haushalten regelmässig durcheinander, vor allem bei Familien wie jener von Nadine Häni: «Es ist ein grosser Ärger, weil die Prämien jedes Jahr steigen und nie runtergehen. Das schafft Unsicherheit, denn die Prämien sind ein grosser Posten im Familienbudget», sagt die zweifache Mutter aus der Stadt Zürich. Für Mutter Nadine, ihren Mann und die beiden Söhne muss die Familie jeden Monat 900 Franken für die Grundversicherung zahlen.
Die Krankenkassen zahlen mit den Prämien die Kosten für medizinische Behandlungen. In Kantonen, in denen die Versicherten höhere Kosten verursachen, verlangen die Krankenkassen höhere Prämien. Deshalb müssen die Versicherten in den einzelnen Kantonen unterschiedlich viel bezahlen. In vielen Kantonen aber haben die Kassen den Prämienzahlern jahrelang zu viel Geld abgeknöpft.
Zum Beispiel im Kanton Zürich: Im nächsten Jahr steigen dort die Prämien überdurchschnittlich. Für Thomas Heiniger, den kantonalen Gesundheitsdirektor, geht die Rechnung der Kassen nicht auf. Er sagt, in den letzten Jahren hätten sich die Krankenkassen verrechnet: «Sie haben eine zu hohe Kostenentwicklung angenommen und so auch die Prämien zu hoch kalkuliert.» Deshalb hätten die Zürcher Prämienzahler in den letzten Jahren zu viel bezahlt. «Wir haben jetzt rund 400 Millionen Franken zu viele Reserven. Bei einer Million Versicherten macht das rund 400 Franken aus, die jeder eigentlich zugut hat», rechnet Heiniger vor.
Nicht nur die Versicherten im Kanton Zürich sind betroffen. In vielen Kantonen haben Versicherte zu viel bezahlt. Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind massiv. Am meisten bezahlt haben die Prämienzahler in Genf: 1077 Franken pro Versicherten. In der Deutschschweiz sind die Zürcher am stärksten betroffen. Mit 400 Franken pro Versicherten, gefolgt von Basel-Stadt (304) und Thurgau (288).
In den meisten anderen Kantonen hingegen verlangten die Kassen zu tiefe Prämien, die Versicherten haben zu wenig bezahlt: So in St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden oder Uri. In Bern müsste jeder Versicherte 575 Franken nachzahlen, in Obwalden gar 767 Franken. Für Thomas Heiniger hat das System versagt: «Bei den Kassen, die nicht genau genug geschaut haben und Fehler nicht korrigiert haben. Und bei der Aufsicht im Bundesamt für Gesundheit.» Dort hätte man längst überhöhte Prämien nicht mehr genehmigen dürfen.
Mit besseren Risikoberechnungen könne sein Amt in Zukunft die Prämien präziser den Kosten anpassen, entgegnet Andreas Faller, Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Prämien seien immer nur eine Prognose und das BAG genehmige schlussendlich nur die Prämien, die die Versicherer beantragten. Dennoch räumt er ein: «Es hat einzelne Versicherer in einzelnen Kantonen gegeben, bei denen diese Prognosen nicht gestimmt haben. Das wollen wir in Zukunft korrigieren.»
Versicherte wie Familie Häni sollen deshalb künftig Prämien, die sie zu viel bezahlen, zurückerhalten. Wie das Geld wieder zu den Familien fliessen soll, überlegt sich das BAG bis Mitte 2011. Bisher haben Versicherte in Kantonen mit zu hohen Prämien aber das Nachsehen. Die Kassen verwenden ihr Geld, um damit Reserven zu bilden. Nur: Die Kassen weisen ihre Reserven nicht für jeden Kanton einzeln aus, sondern gesamtschweizerisch.
Der Rechnungstrick der Versicherer: In Kantonen wie Genf, Zürich, Thurgau oder Basel-Stadt haben die Versicherten jahrelang zu viel bezahlt. Die Prämien waren zu hoch. Damit haben die Kassen die Prämien in anderen Kantonen subventioniert, in denen die Prämien die Kosten nicht gedeckt haben. Zum Beispiel Bern, St. Gallen, Uri oder Obwalden. Mit dieser Quersubventionierung haben die Kassen die gesetzlich vorgeschriebenen Reserven gebildet.
Geht es nach dem Willen der Kantone, sind solche Unterschiede in Zukunft nicht mehr möglich. Der Kanton Genf fordert in einem parlamentarischen Vorstoss, dass die Kassen künftig für jeden Kanton einzeln Reserven bilden müssen. Die Kantone stehen geschlossen hinter diesem Vorschlag.
Für Nadine Häni und ihre Familie zählt noch eine andere Frage: Was ist mit dem Geld, das sie bisher schon zu viel eingezahlt haben? In ihrem Fall 400 Franken pro Person, also 1600 Franken für die ganze Familie. «Das müsste man uns eigentlich retournieren. Das ist unser Geld», fordert Nadine Häni. Ob und wann Familie Häni dieses Geld zurückbekommt ist völlig unklar. Bund und Kantone beginnen erst mit Verhandlungen über mögliche Lösungen.