Wussten Sie, dass auf klassischen Milch-Bauernhöfen die Kälbchen nicht von ihren Müttern gesäugt werden? Sie werden kurz nach der Geburt von den Mutterkühen getrennt. Oft schon nach wenigen Wochen verlassen die Kälber den Hof. Einige Dutzend Milchbäuerinnen und -bauern in der Schweiz finden diese Trennung nicht artgerecht. Bei ihnen dürfen die Kälber bei ihren Müttern bleiben und deren Milch trinken.
Eine Vorreiterin der sogenannten muttergebundenen Kälberaufzucht, kurz Mutter-Kalb-Haltung, ist Evelyn Scheidegger. Zusammen mit ihrem Mann Stefan bewirtschaftet sie einen Bauernhof in Signau im Emmental. Die Bäuerin ist auch Präsidentin des Vereins Cowpassion, der die Mutter-Kalb-Haltung fördert.
Keine Probleme mit der Milchqualität
In ihrem Laufstall gibt es zwei spezielle Kälber-Abteile. Die Mutterkühe können so immer wieder in Kontakt sein mit ihrem Nachwuchs. Vor dem Melken werden die Kälber gesäugt. Anschliessend gehen die Mutterkühe zur Melkstation.
Bedenken, dass dies unhygienisch und schlecht für die Milchqualität sein könnte, kann Tierärztin Cornelia Buchli zerstreuen. Sie ist von der Fachstelle MuKa, welche Betriebe bei der Umstellung auf Mutter-Kalb-Haltung begleitet: «Das ist wissenschaftlich absolut widerlegt.» Bäuerin Evelyn Scheidegger sagt, ihre Milch sei bei Kontrollen noch nie beanstandet worden. Zudem seien ihre Kälber gesünder und vifer als früher.
In der Schweiz gibt es erst rund 30 Milchbetriebe mit Mutter-Kalb-Haltung. Etwa gleich viele sind in der Umstellung. Das sind 60 von 18'000 Milch-Bauernhöfen. Ein Grund dafür ist sicher, dass diese Haltungsform bei Milchkühen erst seit zwei Jahren legalisiert ist. Ein weiterer sind allfällige bauliche Anpassungen. «Grundsätzlich ist die muttergebundene Kälberaufzucht aber auf jedem Hof möglich», sagt Tierärztin Buchli.
Mutter-Kalb-Haltung bedeutet Umsatzeinbussen
Der Hauptgrund für das noch geringe Interesse an der Mutter-Kalb-Haltung liegt beim Geld: «Man hat weniger Milch zum Verkaufen. Das bedeutet weniger Einkommen. Bei uns sind es 20 bis 30 Prozent Umsatzeinbusse», sagt Scheidegger. Trotz tierfreundlicher Haltung erhalten die Mutter-Kalb-Betriebe von den Molkereien nicht mehr Geld für die Milch. Für spezielle Cowpassion-Produktelinien von Molkereien und Läden ist die Milchmenge zu gering, sind die Höfe zu weit verstreut. Einen angemessenen, höheren Milchpreis können sie nur durch Direkt-Vermarktung erzielen.
Crowdfunding für eigene Molkerei
Cowpassion sucht daher durch Crowdfunding Aktionäre für eine eigene Molkerei im Emmental. Dort soll nur Milch von Höfen mit Mutter-Kalb-Haltung verarbeitet werden. Aktuell sind 80 Prozent des Aktienkapitals zusammen. Schon etwas länger betreibt Cowpassion einen Versand für Hartkäse. Andere Produkte aus Mutter-Kalb-Milch können Konsumentinnen und Konsumenten in verschiedenen Hofläden beziehen.
Weiterführende Links
Auf Subventionen als Ausgleich für die Umsatzeinbussen können die MuKa-Höfe zurzeit nicht hoffen. Im Sommer 2021 hielt der Bundesrat gegenüber dem Parlament fest, dass er keine finanzielle Unterstützung der muttergebundenen Kälberaufzucht plane: «Der Bundesrat ist der Ansicht, dass Milchprodukte aus dieser Produktionsform ohne zusätzliche staatliche Unterstützung ihre Abnehmer finden können.»