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Happige Vorwürfe Möbelhersteller Poltronesofà in der Kritik

Die Möbelfirma bezieht ihre Sofas von Drittfirmen, welche im Verdacht stehen, Immigranten auszunutzen.

Das Tessiner Konsumentenmagazin «Patti Chiari» reist in die norditalienischen Stadt Villanova di Forli, der Geburtstätte des Sofaverkäufers Poltronesofà: 1995 gegründet, erzielt die Firma inzwischen umgerechnet rund 500 Mio. Franken Umsatz in europaweit 283 Filialen, 8 davon in der Schweiz. Die grosse Überraschung vor Ort: Poltronesofà stellt gar keine Möbel her, wie die in «Kassensturz» publizierten Rechercheergebnisse vom Tessiner Fernsehen zeigen. 

Das zeigt auch der Eintrag im Handelsregister: Hier beschreibt sich Poltronesofà einzig als Handelsfirma. Von den insgesamt 695 Angestellten sind nur 3 als Arbeiter ausgewiesen. Wie ist das möglich? Immerhin behauptet Poltronesofà ein führender Hersteller von italienischen Sofas zu sein. Diese Botschaft liess sich das Unternehmen im Jahr 2020 allein in Italien rund 58 Mio. Franken für TV-Spots und Radiowerbung kosten.

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Tiefe Löhne

In einem von «Patti Chiari» publizierten firmeninternen Dokument heisst es: «Der Produktionszyklus obliegt der Verantwortung der Zulieferer, während die Firma Poltronesofà sich einzig um die logistische Abwicklung der Waren kümmert.»

Wer sind diese Zulieferer? «Patti Chiari» gelingt es, mit versteckter Kamera eine Produktionsstätte zu besuchen und mit den Arbeitern zu sprechen. Auffällig: Es sind vorwiegend chinesische Arbeiter am Werk. Sie erzählen, dass sie für Poltronesofà rund 200 Sofas pro Tag herstellen. Für das Nähen aller Kissen und Polster eines Sofas erhielten sie 25 Euro, sagen die Arbeiter.

Riccardo Rossotto, Anwalt der Firma Poltronesofà, weist die Vorwürfe in der Sendung «Patti Chiari» klar zurück. (siehe Stellungnahme Poltronesofà)

Stellungnahme Poltronesofà

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Riccardo Rossotto, Anwalt der Firma Poltronesofà nimmt in der Livesendung von «Patti Chiari» am 12. Mai 2023 Stellung.

Zum Vorwurf der tiefen Löhne sagt er:

«Es scheint fast so, dass multiethnische Arbeiter mit Sklavenhaltung oder mit Ausbeutung gleichzusetzen sind. Das ist Unfug. Unser Geschäftsmodell sieht vor, dass wir Aufträge an Dritte vergeben. Diese Zulieferer müssen nicht nur die Qualität der Produkte sicherstellen, sie müssen vor allem auch die gerechte Entlöhnung ihrer Mitarbeiter sowie eine saubere Geschäftsführung garantieren. Wir sind nicht die Carabinieri, aber wir haben Verträge mit den Zulieferern, die das so festhalten.»

Zum Vorwurf, dass Poltronesofà kein einziges Sofa selber herstellt, sagt er:

«PoltroneSofa kümmert sich nicht nur um die Logistik. Das ist eine falsche Information. Denn das ganze Design der Sofas, die ganze Projektierung der Möbel – und das ist einer der Gründe unseres Erfolgs – entsteht in den Köpfen von PoltroneSofa. Die eigentliche Produktion geben wir dann in Auftrag an unsere Zulieferer. Das ist eine klassische Arbeitsteilung, und hat nichts Verwerfliches. Wir arbeiten mit einem grossen und sechs bis sieben kleineren Zulieferern zusammen. So ensteht in der Region Forli das <Made in Italy>.»

Zusätzlich schreibt Poltronesofà dem «Kassensturz», es sei ihnen wichtig festzuhalten, die Direktlieferanten hätten «die absolute Rechtmässigkeit der Beschäftigung von Arbeitskräften, einschliesslich ausländischer Arbeitskräfte, bestätigt». Zudem seien die Mitarbeiter der Zulieferer zu 60 Prozent italienische Staatsbürger und würden nach den in Italien geltenden gesetzlichen Reglungen entlohnt.

Chinesische Sofaproduzenten: Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung

Ein Blick in das regionale Firmenregister zeigt: In der Sofaproduktion von Forlì sind viele chinesische Unternehmen tätig. Die regionale Sofaproduktion in und rund um Forli rief bereits vor 15 Jahren die Justiz auf den Plan: Ein Gericht kam damals zum Schluss, dass chinesische Sofaproduzenten die lokale Konkurrenz vertrieben hatte. Dies mit Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung und Ausbeutung von Arbeitnehmern.

Sara war für zwei andere Zulieferer von Poltronesofà tätig: «Sie boten mir ein Praktikum von 450 Euro im Monat für 40 Stunden die Woche. Ich habe nachgerechnet: Das sind unter 3 Euro pro Stunde», klagt die junge Italienerin. Und: Einige Sofas mussten besser produziert werden als andere: «Denn diese waren als Ausstellungsmodelle in den Geschäften vorgesehen», sagt sie.

Unlautere Preispolitik?

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Laut der Konsumentensendung «Patti Chiari» vom Tessiner Fernsehen RSI werbe die Firma Poltronesofà mit immer neuen Preisnachlässen und Sonderangeboten. Der Vorwurf: der italienische Möbelverkäufer verstossen damit gegen die Schweizer Verordnung über die Preisbekanntgabe.

Für Kundinnen und Kunden seien die Preise von Poltronesofà oft intransparent und verwirrend: So werbe das Unternehmen mit kumulativen Rabatten (z. B. 40 % Rabatt plus weitere 10 %). Der Endpreis sei unklar, weil die Transportkosten, die obligatorisch seien und oft mit rund 10 % Aufschlag zu Buche schlügen, nicht ausgelobt würden. Das Unternehmen weise zudem stets auf das bevorstehende Ende von Preisnachlässen hin, die in Wirklichkeit aber oft über das Ende der Aktion hinausgehen würden, so die Recherchen von «Patti Chiari» weiter.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) betont, dass bisher keine Beschwerden gegen das Unternehmen eingegangen seien. Mit Verweis auf die Verordnung über die Preisbekanntgabe (PBV) hält das Seco fest, dass nur ein mit dem Fall befasstes Gericht, das im Besitz aller Informationen sei, feststellen könne, ob ein Gesetzesverstoss vorliege oder nicht.

Poltronesofà weist die Kritik zurück und schreibt auf Anfrage: «Was die Preispolitik anbelangt, so bestätigen wir, dass die in den Geschäften angezeigten und in der Werbung kommunizierten Preise dem entsprechen, was der Kunde für den Kauf des betreffenden Produkts tatsächlich bezahlen muss.» Riccardo Rossotto, Anwalt der Firma Poltronesofà ergänzt in der Livesendung von «Patti Chiari» am 12. Mai 2023 : «Die Aktionspreise variieren im Zeitpunkt der Aktionen und zwischen den einzelnen Sofalinien. So stellen wir sicher, dass wir der Schweizer Gesetzgebung entsprechen.»

Billigarbeiter aus Afrika

In beiden Betrieben arbeitete Sara vorwiegend mit Immigranten aus Afrika zusammen: «Die meisten waren Farbige, die seit kurzem in Italien gelandet sind und die kein Italienisch sprachen», betont Sara. Das bestätigt auch die Recherche von «Patti Chiari»: Vor einer Produktionshalle trifft der Reporter auf afrikanische Arbeiter. Sie sagen, dass in der Halle rund 200 Leute arbeiteten, die überwiegende Mehrheit aus Afrika. Pikant: Offiziell weist dieser Zulieferer lediglich 23 Angestellte aus. Poltronesofà verspricht in der Werbung hohe Qualität zu tiefen Preisen – auch auf Kosten der Arbeiter.

 

Kassensturz, 16.05.23, 21:05 Uhr

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