Patricia Fischer war in einer Führungsposition tätig. Nach schwierigen Entlassungen erleidet sie ein Burnout. Ihr wurde gekündigt. In der Kündigungsphase schreibt sie ihre Hausärztin krank und schickt sie in eine Klinik. Im Austrittsbericht steht, wegen Erschöpfungsdepression sei nur von einem graduellen Arbeitseinstieg auszugehen.
Vertrauensärztin entscheidet
Zwei Monate später erhält Patricia Fischer von der Taggeldversicherung Vaudoise einen Brief: Sie sei wieder arbeitsfähig und erhalte in 14 Tagen kein Taggeld mehr. Sie solle sich beim RAV melden. Die Vertrauensärztin der Versicherung hatte sie, ohne mit ihr gesprochen zu haben, gesundgeschrieben, obwohl sie noch krankgeschrieben war.
«Für mich brach eine Welt zusammen», erinnert sich Patricia Fischer. «Es fand keine Rücksprache mit dem behandelnden Psychologen oder der Hausärztin statt.» Beide wehrten sich für sie, vergeblich. «Diese Nachricht, dieser Umgang, warfen mich weiter zurück. Ich hatte Suizidgedanken.»
Die Vaudoise schreibt Kassensturz: Bei manchen Versicherungsfällen sei eine weitergehende Begutachtung nicht nötig, da genügend Akten vorlägen.
Patricia Fischer hätte sich ein partnerschaftlicheres Vorgehen gewünscht: Ein Case Management, bei dem gemeinsam festgelegt würde, wie der Wiedereinstieg in die Arbeit gelingt.
Versicherungen gehen kalkuliertes Risiko ein
«Eine Versicherung kann einen Aktenentscheid treffen», erklärt der Professor für Sozialversicherungsrecht Kurt Pärli. «Aber in einem Gerichtsfall ist ein blosser Aktenentscheid weniger wert als ein richtiges Gutachten.» Nur gingen die meisten Versicherten nicht vor Gericht, es fehle ihnen an Energie und an Geld.
Patricia Fischer machte diesen Schritt und noch vor dem Friedensrichter-Termin zahlte ihr die Vaudoise alle Taggelder, bis sie wieder einen Job fand.
Die Taggeld-Kosten, speziell bei psychischen Erkrankungen, sind in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen, das zeigt eine Grafik der Swica, der grössten Taggeldversicherung. Viele Versicherungen haben eine Schadensquote von über 75 Prozent. Darum versuchen sie Leistungen einzusparen, manchmal auch hart an der Legalität.
Antidepressiva und Blutprobe oder kein Taggeld
Carol J. erhielt von ihrer Versicherung, der Helvetia, die Aufforderung, gegen ihre Depression Antidepressiva einzunehmen und mit Blutproben zu belegen, dass sie die Medikamente einnähme. Sonst gebe es kein Geld mehr.
Die ehemalige Kaderfrau hatte sich mit ihrem Arzt für pflanzliche Medikamente entschieden. «Ich hatte Krebs und wollte keine Antidepressiva einnehmen», sagt sie. Antidepressiva sind umstritten: je nach Schweregrad der Depression helfen sie nicht viel mehr als Placebo, zeigen Studien. Und sie haben Nebenwirkungen.
Die Helvetia beruft sich auf ihre Versicherungsvertragsbedingungen und auf Art. 38a VVG: Versicherte treffe eine Schadenminderungspflicht. Offenbar erhofft sich die Versicherung eine schnellere Arbeitsfähigkeit mit Medikamenten.
-
Bild 1 von 2. 2003 fiel eine Arbeitskraft im Durchschnitt pro Jahr wegen Krankheit 6,6 Tage aus. 2023 sind es 8 Tage pro Jahr. Bildquelle: SRF.
-
Bild 2 von 2. Mit psychischen Krankheiten sind Arbeitende durchschnittlich 218 Tage lang krank. Bildquelle: SRF.
Gemäss Kurt Pärli ist es rechtlich fraglich, ob Versicherungen damit vor Gericht durchkämen. Es gebe – im Gegensatz zur IV – noch keinen Bundesgerichtsentscheid dazu. Bei der IV sei eine Pflicht zur Medikamenteneinnahme zulässig, nicht so beim Taggeld. «Die Taggeldversicherung dauert höchstens zwei Jahre, ist somit nicht 1:1 vergleichbar.»
Carol J. weigerte sich und verzichtete schliesslich auf Taggelder.