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Ohne Wissen der Eltern: Kinderfotos in Spendenaufruf
Aus Kassensturz vom 15.11.2022.
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Kritik an Stiftung Ohne Wissen der Eltern: Kinderfotos in Spendenaufruf

Eltern sind empört. Die Stiftung Orphanhealthcare habe ohne zu Fragen das Bild ihres schwerkranken Kindes verwendet.

Die Aktion war gut gemeint: Die Spendengelder sollen Kinder mit seltenen Krankheiten unterstützen. Doch Eltern sind vor den Kopf gestossen. Auf einem Spendenaufruf entdecken sie ein Foto ihres schwerkranken Kindes. Man habe sie nie angefragt, ob das Bild für den Bettelbrief verwendet werden dürfe. «Wir haben demütigende Erfahrungen gemacht, die uns sehr verletzt haben. Unser Kind ist für Werbezwecke missbraucht worden”, erzählt ein Vater. Auch die Mutter ist aufgewühlt: «Man sollte dieses Bild sehen können, und dann drüber entscheiden, ob man das in dieser Form möchte – oder nicht.»

Stiftung Orphanhealthcare

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Seltene Krankheiten sind nicht selten: Der Bund schätzt die Zahl der Betroffenen allein in der Schweiz auf eine halbe Million. Eine Krankheit gilt dann als selten, wenn sie höchstens 5 von 10'000 Personen betrifft. Die wenigsten können derzeit behandelt werden. Die Stiftung Orphanhealthcare ist gemäss Eigendeklaration die «erste gemeinnützige und unabhängige Schweizer Stiftung für seltene Krankheiten». Das Ziel: die Lebensqualität von betroffenen Kindern und Familien zum Beispiel durch Bildung, Beratung und Therapie zu verbessern. Laut Handelsregister fördert Orphanhealthcare auch Forschung, unter anderem für pflanzliche Wirkstoffe für seltene Krankheiten.

Kein Einzelfall: «Kassensturz» hatte Einsicht in Akten von weiteren Familien. Darunter Verträge, die man ihnen vorgelegt hat. Darin steht: «Der Inhaber der elterlichen Sorge stimmt im Namen des Kindes zu, dass Orphanhealthcare audiovisuelles Material des Kindes (...) anfertigt und dieses audiovisuelle Material kann im Rahmen des Stiftungszweckes von Orphanhealthcare zeitlich und räumlich unbeschränkt verwendet werden.»

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Dominique Jakob, Zentrum für Stiftungsrecht Uni ZH: «Für jedes Bild muss eine Einwilligung vorliegen.»
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Dominique Jakob, der Leiter des Zentrums für Stiftungsrecht an der Universität Zürich, ist skeptisch: «Wenn ein Kind in misslicher Lage porträtiert wird, um quasi damit an die Öffentlichkeit zu gehen, dann muss hier für jedes Bild theoretisch eine Einwilligung vorliegen, die so konkret ist, dass sie eine echte Einwilligung ist, die personenrechtlich dann auch hält.»

Orpheanhealthcare sagt, die Verträge seien von Fachjuristen für rechtmässig und geeignet befunden worden. Und: Spendenaufrufe bedürften einer Bebilderung der Notleidenden, sonst würde niemand spenden. 

Der Spendenaufruf enthielt mehrere Aussagen, die beim Lesen wohl Mitleid erweckten, jedoch niemals der Realität entsprachen.
Autor: Betroffene Familie

Eine der betroffenen Familien kritisiert, Orphanhealthcare habe Fotos ihres Kindes sogar entgegen ausdrücklicher schriftlicher Aufforderung, dies nicht mehr zu tun, einfach weiter zu Werbezwecken verwendet. Der Anwalt der Familie schreibt, der Spendenaufruf enthalte mehrere Aussagen, «die beim Lesen wohl Mitleid erweckten, jedoch niemals der Realität entsprachen». So heisse es, das Kind habe «Mühe, zu atmen und zu schlucken». Das sei unzutreffend.

Die Stiftung sagt, das Kind sei mehrfach an Veranstaltungen gewesen und habe offensichtlich Probleme beim Schlucken gehabt. Zum Vorwurf, Bilder verwendet zu haben trotz ausdrücklicher Aufforderung, dies nicht zu tun, sagt die Stiftung, sie habe die Rechte an den Bildern noch immer. Diese würden nicht mehr verwendet. 

Nennung von Campus-Partnern

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Die Webseite von  Orphanhealthcare führte sogenannte «Campus-Partner» der Stiftung auf. Bei den Bekanntesten fragte «Kassensturz» nach. Das Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) schreibt: «Zwischen dem UKBB und Orphanhealthcare besteht eine gute Partnerschaft.» Jedoch: «Die Nennung unseres Spitals auf deren Seite ist von uns nicht autorisiert worden.»

Aufhorchen lassen die Antworten weiterer Institutionen und Firmen, die Orphanhealthcare als «Campus Partner» aufführt: Man sei «nicht deren Partner» (Luzerner Kantonsspital) – respektive gebe es «keine formelle Partnerschaft» (Universitätsspital Insel Bern), es bestünden «keine vertraglichen Vereinbarungen» (Kispi Zürich), es gäbe «keine Zusammenarbeit» (Sonova), man sei «nicht Campus-Partner» (Credit Suisse) und: Es besteht «keine Partnerschaft» (Jelmoli).

Orpheanhealthcare schreibt: Campuspartner seien Partner, welche die Arbeit von Orpheanhealthcare unterstützen oder von ihrer Arbeit profitierten. Dazu brauche es keinen Vertrag. Nach der Anfrage von «Kassensturz» wurden mehrere Namen gelöscht.

Aufgebrachte Eltern haben sich bei Manuela Stier vom «Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten» gemeldet, der betroffene Familien unterstützt: «Wir fragen bei jedem Mailing. Wir würden nie ein Bild verwenden, zu dem eine Familie nicht ja gesagt hat.» Manuela

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Manuela Stier, Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten: «Unverständlich, dass man als Stiftung einer Familie so etwas auf den Tisch legen kann.»
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Stier kritisiert auch Fundraising-Verträge, die Familien vorgelegt wurden: «20 Prozent den Familien und 80 Prozent Orphanhealthcare, das ist für mich unverständlich, dass man als Stiftung einer Familie so etwas auf den Tisch legen kann.» Tatsächlich steht in Verträgen:  «Der Inhaber der elterlichen Sorge hat Anspruch auf 20% der (...) gesammelten Spendengelder, maximal jedoch auf den Betrag des Fundraising-Ziels.» Orpheanhealthcare äussert sich nicht zur Spendenklausel und sagt, Frau Stier sei Mitbegründerin einer konkurrierenden Hilfsorganisation.

«Kassensturz» ist an Ihrer Meinung interessiert

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Zurück bleiben enttäuschte Eltern: «Mir kommt das vor, als sei unser Kind degradiert und seine tödliche Krankheit ausgenutzt worden, um Geld zu sammeln.»

Kassensturz, 15.11.22, 21:05 Uhr

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