Die Schweiz ist ein Paradies - ein Paradies für Gauner. Der Grund ist der Betrugs-Artikel im Strafgesetzbuch. Er stellt nämlich eine hohe Hürde für eine Verurteilung wegen Betrugs. Dem Täter muss eine arglistige, das heisst besonders perfide Vorgehensweise, nachgwiesen werden. Davon profitieren viele notorische Gauner.
Beispiel: Listige Aktienverkäufer
Im Februar zeigte «Kassensturz» wie Rudolf Ammann viel Geld verlor. Er erhielt Anrufe von Aktienverkäufern. Sie werben für die Firma Pre Cars. Diese Firma wolle Luxusautos importieren, erklärten die Anrufer.
Scheinbar ein sicheres Geschäft. Die Unterlagen schienen seriös. Bald ginge es an die Börse, versprach Pre Cars. Amman kaufte Aktien für 100‘000 Franken.
Heute bereuen er und sein Sohn Michael diesen Entscheid. Denn die Sache war ein Schwindel. Das Geld ist verloren.
Es gab ein Strafverfahren. Doch die Untersuchungsbehörde findet bei Pre Cars nichts Arglistiges. Sie schreibt, dass Pre Cars nicht böswillig gehandelt habe.
Ausserdem seien die Opfer naiv gewesen, sie hätten die Misere erkennen sollen. Deshalb stellte die Zuger Polizei das Verfahren ein.
Opfer muss die «Arglist» beweisen
Für Vater und Sohn der Familie Amman und für andere Betrogene ist oft unverständlich, weshalb Schwindler nicht ins Gefängnis kommen.
Die Gauner profitieren von einer Eigenart im Schweizerischen Strafrecht. Einerseits muss dem Täter Arglist nachgewiesen werden. Das Opfer muss beweisen, dass der Täter perfide und durchtrieben plante.
Andererseits hängt Betrug von der Opfermitverantwortung ab: Wer allzu unkritisch war, ist selber schuld. So das Gesetz.
Mehr Opferschutz in Deutschland
Diese opferfeindliche Praxis will SP-Nationalrat Daniel Jositsch abschaffen und wie in Deutschland regeln. Der Professor für Strafrecht an der Universität Zürich sagt dazu: «In Deutschland wird beim Tatbestand Betrug die Arglist-Hürde nicht verlangt.»
Das heisst, wenn eine Täuschung vorliegt, ist dort der Tatbestand erfüllt und damit kann man mehr Fälle erfassen im Strafrecht.» Seine parlamentarische Initiative wird diese Woche im Nationalrat behandelt. Der entsprechende Strafrechtsartikel soll angepasst werden.
Fall 2: Üble Callcenters
2009 zeigte «Kassensturz» die bewegende Geschichte von Urs Raggenbass. Er erlitt bei einem Unfall eine schwere Hirnverletzung. Sie warf ihn aus der Bahn. In der Verzweiflung meldete er sich auf ein Partnerinserat mit einer 0900-Nummer für 4,99 Franken pro Minute.
Eine Samira beginnt mit ihm zu flirten. «Ich habe gemeint, sie sei echt. Ich habe sie von Anfang an darauf angesprochen», sagte Raggenbass.
Aber Samira heisst gar nicht Samira. Die Frau arbeitet bei Phonedating, einem Callcenter. Drei Jahre lang schafft sie es immer wieder, Raggenbass zum Wählen der 0900-Nummer zu verführen. Sie nützt die Orientierungslosigkeit des Hirnverletzten gnadenlos aus. Die Telefonrechnungen summieren sich auf insgesamt 53'000 Franken.
Hinter dem Callcenter-Schwindel stecken diverse Firmen rund um die «CSC-Communication». Mehrere Geschädigte erstatteten Anzeige und wandten sich an Anwalt Simon Kehl. Geschehen ist nichts.
Links
Kehl schildert das Verfahren so: «Die Staatsanwaltschaft hat den kürzesten und einfachsten Weg gesucht und die Anzeigen eingestellt. Sie sagt, die Opfer seien selber schuld, wenn sie über den Tisch gezogen werden. Sie hätten eine überwiegende Opfermitverantwortung in dem Sachverhalt und deshalb sei kein Betrug gegeben.»
Die Geschädigten wehrten sich mühsam und aufwändig bis vor Bundesgericht. Das Urteil: Bei verliebten Opfern sei die Fähigkeit, einen Schwindel zu erkennen, geringer, die Opfermitverantwortung entsprechend kleiner. Deshalb muss die Untersuchungsbehörde den Fall nochmals anschauen.
Simon Kehl sagt zu diesem Urteil: «Wenn es die Arglist-Hürde nicht gegeben hätte, wäre aus meiner Sicht der Fall schon längst erledigt. Und zwar im Sinne der Geschädigten, durch eine Verurteilung der Täter.»
Fall 3: Die fiesen Abzocker
«Kassensturz» kennt den Mann seit 1992: Jürgen Käfer erschwindelte sein Geld zuerst mit psychologisch angehauchten Wohlfühl-Seminaren und Schneeballsystemen. Eine zwielichtige Firma nach der andern ging auf – und wieder zu. Hunderte Opfer verloren jeweils Geld.
Millionen ergaunert er mit Max Entertainment AG. Dank inszenierten Shows im Fernsehen und teurer Werbung überzeugt er Geldgeber, mit Aktien in das Startup-Unternehmen einzusteigen.
Raffinierte Telefonverkäufer drehen Kunden tausende Aktien an, belügen sie dabei aber aufs Gröbste. Der Verkauf der Aktien brachte 40 bis 50 Millionen Franken ein.
Opfer finanzieren hohen Lebensstandard
Die Aktionäre erlitten Totalverlust. Für viele ein Drama. Nur Käfer und seine Gattin Karin lassen es sich gut gehen. Ihren Lebensstandard finanzieren Hunderte von Opfern.
«Kassensturz» kann dem Deutschen eine 20-jährige Schwindler-Karriere nachweisen (siehe graue Box «Links»)
Deswegen verurteilt hat ihn die Justiz bisher nie. Ein Interview gibt er nicht. Bei Käfers Max Entertainment AG hat die Justizbehörde Zug vier Jahre lang ermittelt - und dann das Verfahren eingestellt.
«Arglist war nicht erfüllt»
Judith Aklin, Mediensprecherin der Staatsanwaltschaft Zug sagt dazu: «Die Staatsanwaltschaft Zug musste das Verfahren gegen die Max Entertainment AG einstellen, weil der Tatbestands Arglist nicht erfüllt war.»
Den notorischen Schwindler Jürgen Käfer dürfte es freuen. Zurzeit bietet er Seminare für ein erfolgreicheres Leben an. Die Treffen finden in Hotels statt. Am Telefon versichert Jürgen Käfer, es sei eine saubere Sache. Wer‘s glaubt.