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Konsum In Deutschland ein Betrüger, in der Schweiz nicht

Während deutsche Justizbehörden Schwindler verhaften, lässt sie die Schweizer Justiz für dieselben Vergehen laufen. Kommt es doch einmal zur Anzeige, sind bereits Millionen Franken geflossen.

Forum:

Schon am ersten der vier Verhandlungstage gab der Angeklagte Alberto Mattle seine Schuld zu. Im Internet hatte er eine grossartige Erfolgsgarantie bei «Partnerrückführung» vorgeschwindelt: Er versprach Frauen und Männern, er könne dank übernatürlicher Kräfte deren Partner zurückholen. Der selbsternannte Schweizer «Magnetopath» und «Parapsychologe» könne die «überall vorhandenen kosmischen Energien und Kräfte» sammeln und «geistig konzentriert mit grosser Intensität auf die entsprechenden Personen» richten. Schwupps komme der Partner zurück.

Das ist natürlich Humbug und muss von jedem einigermassen bei Verstand befindlichen Menschen erkannt werden. Doch Menschen in Notsituationen reagieren nicht immer adäquat und gehen solchen Betrügern in die Falle.

Mattle nutzt die Schweizer Arglisthürde

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Das Landgericht München I. war sehr wohl bei Verstand und verurteilte den Schweizer Pseudo-Fernheiler Alberto Mattle wegen Betrugs in zwölf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung. Mattle muss den Opfern fast eine halbe Million Franken zurückzahlen. Mattle war mit drei Anwälten vor Gericht erschienen. Brisante Aussage der Anwälte: Mattle werde in Deutschland keine Kunden mehr behandeln.

So muss sich der Fernheiler wieder auf Schweizer Konsumenten konzentrieren. Denn hier lässt in die Justiz gewähren: Seine zweifelhafte Karriere startete Mattle vor 25 Jahren im Kanton Zug. Hunderte Leute hat er zum Teil regelrecht ausgenommen und dabei Millionen verdient. Es gab zwar Strafanzeigen und ein Zuger Justizdirektor versprach schon vor fast 20 Jahren Konsequenzen. Doch verurteilt wurde Mattle weder in Zug noch in Zürich, wo er nun seinen offiziellen Büro- und Wohnsitz hat.

Ein übergewichtiger Mann mit goldenem Amulett steht mit ausgebreiteten Armen da und schaut nach oben in die Kamera.
Legende: Bereits 2005 berichtete «Kassensturz» über Alberto Mattle. SRF

Mattle profitiert von einer Eigenart im Schweizer Recht: «Betrug ist in der Schweiz an eine viel höhere Voraussetzung geknüpft als in Deutschland. So setzt er zum Beispiel zwingend eine Arglist voraus», sagt Marcel Schlatter, Mediensprecher der Zuger Strafverfolgungsbehörden. In Deutschland gibt es diese täterfreundliche Regelung nicht. Logische Konsequenz: Seit Jahren zieht es notorische Schwindler in die Schweiz.

Schweizer Behörden dürften nun reagieren

Bei Fernheiler Alberto Mattle dürfte es nun dank der Verurteilung in Deutschland auch in der Schweiz eng werden. Obwohl Mattle in seiner 25-jährigen Karriere Millionen verdient hat und an teuren Adressen in München oder im Viersterne-Hotel Vereina in Klosters wohnt, gibt er Steuerämtern als offiziellen Wohnsitz immer wieder seine vergleichsweise schäbige Büroadresse an der Badenerstrasse 414 in Zürich an. Doch dort ist er höchstens zu Besuch.

Mattle wollte gegenüber «Kassensturz» weder mündlich noch schriftlich Stellung beziehen. Über seinen Anwalt lässt er ausrichten, dass sich Kunden, um sich anmelden zu können, «die Allgemeinen Geschäftsbedingungen zwingend zur Kenntnis nehmen» müssten. In diesen AGB sei definiert, dass Mattle «keine falschen Hoffnungen» wecke und «keine Garantien auf Behandlungserfolg weder schriftlich noch mündlich» abgeben würde.

Weitere Fälle, die «Kassensturz» verfolgt:

Der fragwürdige Fernheiler ist nicht der einzige, der von den Schweizer Behörden mit Samthandschuhen angefasst wird. Seit längerer Zeit verfolgt «Kassensturz» mehrere ähnliche Fälle:

Fall 1 – Nicstic:

2004 startete – ebenfalls im Kanton Zug – ein gigantischer Anlagen-Schwindel mit der rauchlosen Zigarette Nicstic. Über diverse suspekte Firmen in der Region verhökern Verkäufer via Telefon zehntausende Aktien und schwärmen vom baldigen Börsengang. Doch Nicstic kam nie auf den Markt. 800 Aktionäre verloren 200 Millionen Franken. Hinter diesem Bluff steckten die deutsche Ganoven Michael Berresheim und Heinz Piroth. Doch die Zuger Staatsanwaltschaft klagte die beiden nie an. Erst die deutschen Justizbehörden nahmen die notorischen Schwindler 2012 in Untersuchungshaft.

Fall 2 – Max Entertainment:

2006 startet im Kanton Zug der Schwindel mit Max Entertainment. Die Firma will die Sportart Mixed Martial Arts europaweit einführen. Raffinierte Telefonverkäufer belügen Kunden und drehen ihnen Tausende Max-Aktien an, versprechen einen Börsengang, der nie stattfindet. 40 Millionen Franken verschwinden. Kopf der Bande ist Jürgen Käfer, unterstützt von Gattin Karin. Vier Jahre lang ermittelt ein Zuger Staatsanwalt. Dann stellt eine Anwältin im Jahre 2011 das Verfahren ein. (Bis dahin soll die Max Entertainment über 300 Millionen Franken Umsatz und 43,2 Millionen Gewinn gemacht haben.) Offizielle Begründung der Zuger Strafverfolgungsbehörden: «Die Staatsanwaltschaft Zug musste das Verfahren einstellen, weil Arglist nicht nachgewiesen werden konnte.»

Eine Fehleinschätzung: Letztes Jahr zwang ein Gericht die Staatsanwaltschaft, das Verfahren wieder aufzunehmen. Seit Juli sitzen die Käfers in Untersuchungshaft. Kein Zufall sagt Daniel Jositsch, Professor für Strafrecht an der Universität Zürich: « Herr Käfer hat immer versucht, unterhalb der Arglist-Schwelle zu operieren. Wenn man diese Schwelle ein wenig herabsetzt und sagt, wir gehen ein wenig weiter Richtung Konsumentenschutz, dann kommt ein solcher Herr Käfer plötzlich auf den Radar der Strafverfolgungsbehörden.» In Deutschland hätte die Staatsanwaltschaft schneller gehandelt. Denn dort ist der Nachweis von Arglist nicht nötig.

Behörden haben geschlafen

Folge: Jürgen Käfer konnte – praktisch mit der Absolution der Zuger Staatsanwaltschaft – jahrelang weitere Schäden anrichten. So gab es eine Zusammenarbeit mit Martin Schlegel von der ASE Investment AG aus dem Fricktal. Beim mutmasslichen Anlageschwindel geht die Aargauer Staatsanwaltschaft momentan von einem Schaden von über 100 Millionen Franken und 500 Geschädigten aus.

Pikant: Die Staatsanwaltschaft und die eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma hätten viel früher auf den ASE-Schwindel aufmerksam werden müssen. Denn in einem Untersuchungsbericht zu Jürgen Käfer wies die Konkursspezialistin Remassa schon 2007 ausführlich auf die dubiose Verbindung von Käfer und Schlegel hin.

Fall 3 – Labuyla:

2008 startet die Handelsplattform Labuyla eine Art virtuelles Warenhaus. Wieder werden Aktien verkauft. Einer der Chefs war bereits bei Jürgen Käfers Max Entertainment Aktienverkäufer. Wieder verursachen die Schwindler riesige Schäden. In Zürich läuft noch immer ein Strafverfahren wegen Wirtschaftsdelikten. In Deutschland wurde der Chef für die gleichen Delikte Anfang Jahr bereits verurteilt.

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