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Konsum Kindersklaven in Indien: Skrupellose Modefirmen

«Kassensturz» zeigt aufrüttelnde Aufnahmen aus indischen Näh-Ateliers: Kindersklaven schuften bis spät in die Nacht für die Kollektionen internationaler Modeunternehmen. Eine Umfrage unter 50 Firmen zeigt: Viele tun zuwenig gegen Kinderarbeit. Bei Billigmodeketten ist Vorsicht angebracht.

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Bald ist Frühling: seit Wochen locken Schaufensterpuppen mit neuen Kollektionen. Immer häufiger lassen Modehäuser in Billiglohnländern produzieren. Über 100'000 Tonnen Kleider haben Firmen letztes Jahr importiert, fast die Hälfte davon kommt aus Asien.

Unerbittlicher Preiskampf

Der Konkurrenzkampf in der Kleiderindustrie ist unerbittlich. Stefan Indermühle von der Nonprofitorganisation «Erklärung von Bern» setzt sich seit vielen Jahren für die Rechte der Näherinnen und Näher ein. «Es tobt ein brutaler Preiskampf auf dem Markt. Man muss sich bewusst sein, dass dieser Preiswettbewerb auf dem Buckel der Schwächsten ausgetragen wird», sagt Indermühle.

New Delhi ist eines der grossen Textilindustriezentren Indiens. In den Hinterhöfen filmt ein Reporterteam des deutschen WDR unzählige stickige Nähateliers. Sie nehmen Aufträge entgegen, die Kleiderfabriken in Spitzenzeiten nicht bewältigen können. Viele Arbeiter sind deutlich unter 14 Jahre alt. Es sind Kindersklaven. Von Banden verschleppt, schuften sie fast Tag und Nacht in engen Kellerräumen – ohne Lohn.

Zusammengepfercht müssen sie auch schlafen und essen. Kinderarbeit – ein Problem, das nur schwer aus der Welt zu schaffen ist: Im Jahr 2000 filmte «Kassensturz» im indischen Tirupur Kinder, die bis spät in die Nacht für Jumbo und Vögele gearbeitet haben. Inzwischen engagiert sich Vögele stark gegen Kinderarbeit. Jumbo verkauft heute keine Kleider mehr.

Verworrene Handelswege

Kaum ein Konsument würde wissentlich Kleider kaufen, die von Kinderhänden genäht worden sind. Aber: Nur ein Label, Max Havelaar, garantiert kinderarbeitsfreie Kleider und einzig Migros, Manor, Switcher und La Redoute verkaufen sie. Das Problem: Häufig ist unklar, wo die Kleider produziert werden. Die internationalen Handelswege sind verworren. Die Gefahr ist gross, dass Kinder die Kleider nähen.

«Kassensturz» befragte 50 Kleiderläden und wollte wissen, was sie gegen Kinderarbeit tun. Verbieten sie ihren Lieferanten Kinderarbeit? Verlangen sie soziale Standards? Führen sie in den Fabriken unabhängige Kontrollen durch? Gleichgültig gegenüber Kinderarbeit gab sich Kookaï – auf unsere Fragen erhalten wir keine Antwort. Ernüchternd: Viele Kleiderketten tun zu wenig gegen Kinderarbeit. Bei Billigmodeketten ist Vorsicht geboten.

Beurteilung «ungenügend»

Als «ungenügend» beurteilt «Kassensturz» folgende Modeketten: Blackout, Chicorée, New Yorker, Orsay, Perosa, Pimkie, Tally Weijl, Yendi, Zebra, Benetton, Beldona, Bernies, Bon Genie-Grieder, Jelmoli, Loeb, Mango, Modissa, Schild. Der Grund: Diese Kleiderläden verbieten zwar Kinderarbeit, doch nur auf dem Papier. Sie kontrollieren ihre Lieferanten in Asien nur ungenügend. Oder gar nicht. Doch ohne Kontrollen bleibt Kinderarbeit unentdeckt. Diese Läden verpflichten auch die Hersteller der Markenprodukte zu nichts.

Besuch im noblen Modehaus Grieder: Die Umfrage von «Kassensturz» zeigt, selbst teure Kleider garantieren nicht, dass Näherinnen und Näher unter guten Bedingungen arbeiten können. Das Problem nehme er ernst, sagt Grieder-Chef Franco Savastano, aber Kinderarbeit in Asien betreffe sein Haus nur wenig. Garantieren kann er das aber nicht.

Stickereien sind verdächtig

Schlagzeilen machte im letzten Herbst die amerikanische Modekette Gap. Kinderkleider bestickt von Kindern. Kleine Hände arbeiten geschickt mit Perlen und Pailletten - und kosten fast nichts. Ein glitzerndes Abendkleid ist der Traum mancher Kundin. Die Perlen werden meist von Hand angenäht. «Kassensturz» fragt Stefan Indermühle, ob er solche Textilien empfehlen würde. Der Fachmann spricht von hohem Risiko: «Artikel mit Paillette oder Stickereien sind besonders arbeitsintensiv. In Asien werden solche Sachen vor allem von Kindern angefertigt.»

Immerhin: Viele grosse Kleiderverkäufer engagieren sich ernsthaft gegen Kinderarbeit. Zum Beispiel die Migros. Sie setzt auf einen europäischen Verhaltenskodex mit unabhängigen Kontrollen, dem sich viele Kleiderfirmen angeschlossen haben. Zudem sei dieses Kontrollsystem auf das ganze Migros-Sortiment anwendbar, sagt Daniel Furrer, Leiter Non Food bei der Migros. Doch, das sei nur ein Anfang, sagt Stefan Indermühle. Die Arbeiter würden beispielsweise noch zu wenig über ihre Rechte informiert.

Beurteilung «genügend»

Diese Kleiderfirmen beurteilt Kassensturz als «genügend»: Coop, Globus, Manor, Migros, Tchibo, C&A, Calida, Companys, Esprit, H&M, s’Oliver, PkZ, Feldpausch, Takko, Vögele, WE, Zara. Sie engagieren sich gegen Kinderabeit und sorgen bei ihren Lieferanten für unabhängige Kontrollen. Aber sie könnten noch mehr tun: Bei den Kontrollen werden beispielsweise die lokalen Gewerkschaften nicht beigezogen, welche die Verhältnisse vor Ort kennen.

Lobenswert, diese Firmen engagieren sich vorbildlich gegen Kinderarbeit: Naturaline von Coop. In den Coop-Läden besteht bereits die Hälfte aller Textilien aus Bio-Baumwolle. In den Coop-Warenhäusern machen Naturaline-Produkte 15 Prozent aus.

Im Kampf gegen Kinderarbeit setzen sich auch Hessnatur-Versand, Mexx und Switcher überdurchschnittlich stark ein. Sie garantieren existenzsichernde Löhne, transparente Kontrollen mit lokalen Gewerkschaften und informieren die Näherinnen und Näher über ihre Rechte.

Reaktionen auf Vorwürfe

Einige Kleiderfirmen haben auf die Vorwürfe reagiert: Beldona schreibt, sie seien davon überzeugt, dass ihre Lieferanten ausschliesslich mit professionellen Näherinnen zusammenarbeiten, weil ihre Produkte anspruchsvoll zu nähen seien. Schild wendet ein: «Unsere Markenlieferanten haben zum Teil eigene Produktionsstätten und wenden klare Sozialstandards an, die von Schild regelmässig nachgefragt werden.»

Chicorée sagt, sie würden ihren langjährigen Lieferanten vertrauen und diese mehrmals pro Jahr besuchen. Orsay ist dabei, die internen Prüfabläufe zu optimieren. Bei Blackout habe man das Problem erkannt, es werde nach einer unabhängigen Kontrolle gesucht. Und Loeb gibt zu bedenken: «Bei unseren kleinen Einkaufsmengen ist eine absolute Kontrolle unmöglich.» Dies verhalte sich bei grossen Firmen anders.

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