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Konsum Legehennen als Wegwerfware

Konsumenten kaufen mit gutem Gewissen Schweizer Eier. Zu Recht, denn die Haltungsbedingungen sind fortschrittlich. Doch was viele nicht wissen: Die Eierproduktion ist ein hochspezialisiertes Massengeschäft – es macht weltweit die Tiere zu Wegwerfwaren. Auch in der Schweiz.

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Rund 2 Millionen Legehennen produzieren in der Schweiz mehr als 700 Millionen Eier pro Jahr. Im Schnitt legt eine Legehenne also fast jeden Tag ein Ei. Eine gewaltige Leistung, die nur möglich wurde durch eine extreme Spezialisierung der Zucht. Bei dieser Hühnerrasse zählt nur eines: Die Lege-Leistung.

Nach dem Schlüpfen getötet

Die Hochleistungs-Eierproduktion hat aber auch ihre Schattenseiten: Weil die männlichen Küken für die Zucht nicht zu gebrauchen sind, werden sie gleich nach der Geburt aussortiert und getötet. Auch Bio-Küken. Die auf das Eierlegen spezialisierte Hühnerrasse setzt nämlich kaum Fleisch an. Die Aufzucht würde daher zu lange dauern und wäre für die Bauern zu teuer. Deshalb haben die Züchter auch Hühnerrassen entwickelt, die extrem schnell Fleisch ansetzen und so rentabel gemästet werden können. Zum Vergleich: Ein Legehuhn braucht rund 18 Wochen bis es ausgewachsen ist und Eier legt. Die speziellen Poulet-Rassen erreichen schon nach 6 Wochen ihr Mastgewicht und werden geschlachtet.

Hühner als Rohstoff für Strom

Die zweite gravierende Folge dieser Entwicklung: Nach einem Jahr sind die Legehennen ausgelaugt. Die Natur hätte jetzt eine Ruhepause von mehreren Monaten vorgesehen, danach würden die Hennen nochmals einen Zyklus lang Eier legen. Doch diese Pause kann sich heute niemand mehr leisten. Die Legehennen werden ersetzt und müssen entsorgt werden.

Früher war das kein Problem. Denn die Hühner landeten als Suppenhühner in den Kochtöpfen der Familien. Doch diese Zeiten sind vorbei. Nur noch wenige nehmen sich die Zeit, ein Huhn mehrere Stunden im Wasser zu kochen. Ausserdem ist Pouletfleisch so billig, dass es sich für die Nahrungsmittelindustrie kaum lohnt, die Althennen zu schlachten und zu verwerten. Traurige Folge: Die Mehrheit der  Legehennen wird zu Biogasanlagen transportiert und dort für die Stromproduktion verwendet. Absurd: Einwandfreies Fleisch als Rohstoff für Elektrizität.

Seit kurzem werden viele Schweizer Hennen gleich auf dem Hof mit einer Begasungsanlage getötet. Das erspart den Tieren lange Transportwege. Diese Tötungsart gilt als fortschrittlich.  Für die Entsorgung zahlen alle Bauern drauf – pro Huhn einen Franken.

Eierbranche handelt

Die Eierbranche ist sich bewusst, dass weggeworfene Althennen nicht zum guten Image des Schweizer Eis passen. Sie handelt. Seit zwei Jahren arbeitet der Verein Gallocircle auf Hochtouren. Coop und Migros haben die Eierbauern nämlich in eine Notlage gebracht: Seit 2010 nehmen die Schlachtbetriebe der Grossverteiler keine Althennen mehr entgegen – aus wirtschaftlichen Gründen. Die Eierproduzenten mussten sich überlegen, wohin mit den ausrangierten Legehennen. «Unser Ziel ist es, so viele Hennen wie möglich als Suppenhühner zu verkaufen», sagt Willi Neuhauser, Präsident von Gallocircle. Nur der Rest soll mit der Begasungsanlage getötet und immerhin auch genutzt werden, als Energielieferant.

Im ersten Jahr hat der Verein die Menge an verkauften Suppenhühner bereits verdoppeln können. «Wir setzen uns ein, doch Grossverteiler müssen Suppenhühner auch in die Regale legen, Konsumenten müssen diese Produkte auch kaufen», sagt Neuhauser. Wenn jede Familie einmal pro Jahr ein Suppenhuhn esse, sei das Problem gelöst. Doch Neuhauser ist sich bewusst, dass es weitere Verwendungsmöglichkeiten braucht: «Wir sind dabei, eine Charcuterie-Linie zu entwickeln, in der das Suppenhuhn-Fleisch verwendet werden kann.»  2010 wurden allerdings immer noch 60 Prozent der 2 Millionen Althennen entsorgt.  

Grossverteiler in der Pflicht

Coop und Migros führen beide Suppenhühner im Angebot. Coop bietet zudem ein Tierfutter-Produkt an und vereinzelt auch Charcuterie-Waren. Wer mit gutem Gewissen Eier verkauft, kann nicht unbesorgt Legehennen wegwerfen lassen. Coop will deshalb in einem ersten Schritt die Hühner der Label-Eier weiterverwenden: «80 Prozent unserer Naturafarm- und Naturaplan-Hühner konnten wir letztes Jahr schlachten und als Lebensmittel verwenden», sagt Denise Stadler, Mediensprecherin von Coop. Jetzt sei man daran, auch andere Produkte auf dem Markt zu bringen.

Werbung fürs Suppenhuhn

Auch ihm ist das Schicksal der Suppenhühner nicht egal: Gourmet-Koch Louis Bischofberger vom Gasthof Kreuz in Egerkingen. Er möchte das Suppenhuhn wieder populär machen. Während einigen Wochen tischt er seinen Gästen Schmackhaftes mit Suppenhuhn-Fleisch auf: «Poule au Pot Henri IV», «Fricassé de volaille à la reine» oder «Coq au vin» heissen die Gerichte. «Früher hat jeder Koch Rezepte mit Suppenhuhn gelernt», sagt der Chefkoch, der mit 15 Gault-Millaut-Punkten ausgezeichnet ist. Solches Fleisch wegzuwerfen sei eine Verschwendung. Für ihn ist klar: «Wer Eier isst, muss auch dem Suppenhuhn Respekt zollen».

Geschlechtsbestimmung am Ei

Forscherinnen und Forscher versuchen,  das Töten der Küken überflüssig zu machen. Ihre Lösung: Die Geschlechtsbestimmung bereits im Hühnerei. Daran arbeiten deutsche Wissenschaftler und Ingenieure unter der Leitung der Professorin Maria Krautwald-Junghanns. Ihr  Ziel: In drei Jahren eine  Geschlechtserkennungsmethode zu entwickeln, die für die Industrie massentauglich und wirtschaftlich ist – und zwar am unbebrüteten Ei, also bevor das Embryo sich entwickelt.

In jedem befruchteten Ei hat es eine Keimscheibe, die rund 4 Millimeter gross ist. «Die suchen wir. Damit können wir dann das Geschlecht diagnostizieren», erklärt Maria Krautwald-Junghanns, Professorin für Tiermedizin an der Universität Leipzig. Mittels Laser wird ein kleines Loch in die Schale gemacht, ohne das Embryo zu beschädigen. Ihr Wunsch: «In drei Jahren sollten wir eine Methode entwickelt haben, damit die Industrie sich daran machen kann die entsprechenden Apparate zu konstruieren.»

Der Vorteil dieser Geschlechtsbestimmung ist auch ein wirtschaftlicher: Das Ei mit der männlichen «Zelle»  müsste nicht unnötigerweise bebrütet, sondern könnte für die Nahrungsmittelindustrie genutzt werden.

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