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Konsum Sammelklagen: Konsument gegen Grosskonzern

Tödliche Nebenwirkungen von Medikamenten oder schlechte Bankberatung: Der Einzelne ist gegen die Konzerne häufig machtlos. Denn in der Schweiz sind, ganz im Gegensatz zum Ausland, Sammelklagen nicht möglich. «Kassensturz» zeigt, wie auch Schweizer von Sammelklagen profitieren würden.

Die Beschwerden füllen ganze Ordner bei Verena Fässler. In Nottwil (LU) unterstützt die Beraterin Kleinunternehmer, die alle das gleiche Problem haben: Horrende Rechnungen für ungewollte Einträge in nutzlose Adressregister. Dahinter stecken so genannte Registerhaie. Ihre Masche: Mit kaum leserlichen und irreführenden Formularen legen sie Kleingewerbler herein. «Es geht um Beträge von bis zu 10'000 Franken», klagt Verena Fässler. «Aus Angst vor Betreibungen zahlen das dann auch viele.»

Meist schwer nachweisbar

Verena Fässler klärte für betroffene Firmen ab, wie sie von den Registerhaien Geld zurückfordern können. Für den einzelnen Unternehmer lohne es sich aber nicht, zu klagen, sagt Fässler: «Die Anwalts- und Gerichtskosten sind einfach zu teuer. Das einfachste wäre eine Sammelklage.» Der Vorteil von Sammelklagen: Konsumenten können gemeinsam für ihr Recht kämpfen und Schadenersatz fordern.

Doch hierzulande fehlt diese Klagemöglichkeit bisher. «In der Schweiz gibt es keine Sammelklage im eigentlichen Sinn», sagt Andreas Heinemann, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich. «2011 gibt es eine neue Zivilprozessordnung. In den Vorarbeiten wurde das Thema diskutiert, die Sammelklage aber nicht eingeführt.» In vielen Fällen bleibt der einzelne Konsument deshalb machtlos.

Ein Beispiel: das Medikament Vioxx. Hersteller Merck Sharp & Dohme nahm das Rheuma-Medikament 2004 vom Markt. Denn Vioxx erhöht das Risiko von Herzversagen und Schlaganfällen. Merck zahlte Patienten in den USA 4,85 Milliarden Dollar Schadenersatz, sie hatten Sammelklagen deponiert. In der Schweiz hingegen musste jeder Betroffene einzeln klagen – ohne Erfolg. Die Patienten gingen leer aus. Die Schädigung durch Vioxx liess sich im Einzelfall schwer nachweisen.

Vergleich mit dem Ausland

Auch Kartelle schaden der grossen Masse von Konsumenten. Aktuelles Beispiel ist das Parfumkartell: Die Firmen im Branchenverband Ascopa – wie L'Oréal, Clarins, Estée Lauder oder Chanel – sollen Preise abgesprochen haben, so der Vorwurf der Wettbewerbskommission (Weko). Die Weko droht mit Bussen bis zu 25 Millionen Franken.

Kunden, die für Parfums zu viel zahlten, gehen aber sowieso leer aus. Wer in der EU wegen Kartellen zu viel bezahle, dürfe auf Schadenersatz klagen, sagt Andreas Heinemann. Schweizer Konsumenten hingegen nicht. Für Heinemann ein Missstand. Er fordert eine Form der Sammelklage: «Wir bräuchten eine Verbandsklage, die auch auf Schadenersatz geht. Das heisst: Wir sollten den Konsumentenverbänden das Recht einräumen, die Schäden der geschädigten Konsumenten zentral einzuklagen.»

Andere europäische Länder machen es vor. Zum Beispiel England. Konsumenten klagten erfolgreich gegen das Fussballleibchen-Kartell. Die Läden verkauften jahrelang Trikots zu einem abgesprochenen Preis – die Kunden zahlten 20 Millionen Pfund zu viel. Eine Konsumentenorganisation reichte eine Sammelklage ein – mit Erfolg. Die Verkäufer mussten jedem Kunden, der ein Shirt gekauft hatte, bis zu 20 Pfund zurückzahlen.

Zweites Beispiel Frankreich: Ein Mobilfunkkartell verlangte überhöhte Preise. Die Firmen Bouygues, SFR und Orange haben Informationen ausgetauscht, so den Wettbewerb ausgeschaltet und den Kunden jahrelang zu viel berechnet. Der Konsumentenverband UFC Que Choisir klagt auf Schadenersatz. Verärgerte Kunden geben auf einer Internetseite an, wie hoch ihre Handy-Rechnung war. Sie können so berechnen, wie viel Geld sie durch das Kartell verloren haben und sich dann an der Klage beteiligen. Das Verfahren ist derzeit hängig.

Bussengeld für Konsumenten

Thomas Pletscher vom Wirtschaftsverband Economiesuisse ist gegen Sammelklagen. Er befürchtet Auswüchse wie in den USA, wo vor allem Anwälte profitieren würden. Gemeinsam Klagen sei zudem in der Schweiz bereits mit heutigen Gesetzen möglich: «Mit einer Streitgenossenschaft und Abtretungen von Forderungen. Von dem wird wenig Gebrauch gemacht.» Kleinere Korrekturen seien allenfalls nötig, aber es gebe keinen Grund für die Einführung von Sammelklagen. Befürworter der Sammelklage betonen hingegen, das heutige Recht genüge nicht. Ein Prozess sei für Konsumenten viel zu teuer.

Anders in Österreich: Dort sammelt die Konsumentenorganisation VKI Schadenersatzforderungen von Kunden und klagt sie gemeinsam ein. Viele Firmen würden Vergleiche eingehen, um solche Klagen zu verhindern, sagt VKI-Rechtsexperte Peter Kolba. Der aktuelle Fall gegen AWD Österreich umfasst 2500 Kläger. Solche grossen Prozesse sind nur möglich, weil der Staat das aufwändige Sammeln der Fälle mitfinanziert. Für den Konsumenten ist die Klage kostenlos.

In der Schweiz seien solche Prozesse derzeit nicht finanzierbar, sagt Simonetta Sommaruga, Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz. «Wenn wir nach heutigem Recht eine solche Klage machen würden, ist das Prozessrisiko enorm.» Der Staat müsste finanzielle Unterstützung leisten, sagt Sommaruga. Sonst könne man das Risiko nicht eingehen. Sommaruga regt zudem an: «Man müsste sich überlegen, ob Bussen, welche die Wettbewerbsbehörde ausspricht, den Konsumentenschutzorganisationen zufliessen sollten.» Letztlich gehöre dieses Geld den Konsumenten und für diese setzten sich die Organisationen schliesslich ein.

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