«Typisch für die Zeit um 1914 waren Panschereien mit Milch», erzählt Historikerin Maria Meier, die im Rahmen des nationalen Forschungsprojekts «Sinergia» ihre Doktorarbeit zur Lebensmittelversorgung der Schweiz im Ersten Weltkrieg macht.
«Milch wurde mit Wasser vermischt oder entrahmte Milch als Vollmilch verkauft», zählt sie Beispiele dafür auf. Es seien auch ranzige Butter oder gepanschter Wein auf den Markt gekommen. Oft seien damals auch Lebensmittel falsch deklariert worden: «Die Konsumenten wussten dann nicht, was wirklich drin war.»
Backstreumehl war Sägemehl
Zur Zeit des Ersten Weltkriegs wurden beispielsweise Kaffee-Ersatzprodukte als Kaffee verkauft. Die «Neue Zürcher Zeitung» berichtet in ihrer Ausgabe vom 28. Mai 1914 über eine Gerichtsverhandlung:
«Die Brauerei Gebrüder Welti in Baden, Kanton Aargau, brachte unter dem Namen ‹Spezial Münchnerbier› ihr Bier in den Handel, worauf sie von dem Verein Münchner Brauereien wegen einer falschen Herkunftsbezeichnung aufgrund des Markenschutzgesetzes verklagt wurde.» Die Brauerei wurde wegen dieses Etikettenschwindels zu einer Busse von 50 Franken verurteilt.
Noch dreister ging ein Kaufmann vor, über den die NZZ Ende Juli 1916 berichtete:
« Der in Bern wohnhafte Kaufmann W. hatte ein Backstreumehl ‹Aurora› vertrieben, das angeblich aus Fruchtschalen gemahlen war, in Wirklichkeit aber aus feinem Sägemehl bestand.» Solche Fälle untersuchten bereits damals die Kantonalen Labors. In vielen Kantonen handelte es sich dabei um relativ neue Einrichtungen. Historikerin Maria Meier sagt, dass diese Labors nicht nur Lebensmittel wie Milch und Brot kontrollierten: «Sie nahmen auch Anfragen von Privaten und von der Grenzkontrolle entgegen, machten Verzeigungen, erhoben Beschwerde und verteilten Bussen.»
Bereits verkaufte Produkte im Ladengestell
Zu den alltäglichen kleinen und grossen Betrügereien mit Lebensmitteln kamen im Ersten Weltkrieg neue Probleme hinzu: Wucher und Spekulation mit Lebensmitteln. «Halbprofessionelle Einkäufer kauften überall in der Schweiz Produkte wie Kaffee, Fett und Schokolade auf», beschreibt Maria Meier das Vorgehen dieser Lebensmittel-Spekulanten. «Nach einigen Tagen oder noch am selben Tag verkauften sie grosse Warenposten an einen anderen Spekulanten weiter. Dieser Kettenhandel hatte einzig zum Ziel, die Preise hochzudrücken und Gewinne zu erzielen.» Unter diesen Geschäften litten die einfachen Konsumenten, sagt die Historikerin: «Der Konsument stand im Laden und sah die Produkte im Gestell. Er konnte sie aber nicht mehr kaufen, da sie bereits vorreserviert waren.»
Der Bund versuchte den Wucherern und Spekulanten mit der sogenannten Wucherverordnung vom 10. August 1914 Einhalt zu gebieten. Während des Krieges kam es deswegen zu diversen Prozessen. Mitunter ging es den Behörden darum, zu beweisen, dass sie nicht nur Jagd auf die kleinen Fische machten, sondern auch auf die grossen.
Abzockerei mit Schmierseifen-Pulver
Nebenbei fanden die Kantonalen Labors auch Zeit, Produkte zu testen. So nahm das Kantonale Labor Aargau ein teures Schmierseifenpulver namens Miracolo unter die Lupe. Dieses war achtmal teurer als eine gute Kernseife und offenbar reine Abzockerei.
Der Aargauer Kantonschemiker schrieb mit einem Schuss Ironie in seinem Jahresbericht von 1916: «Die öffentliche Warnung vor diesem Schwindel hat uns eine Schadenersatzforderung des betreffenden Fabrikanten im Betrag von bloss 50'000 Franken eingetragen, welchen Betrag wir zusammenzusparen uns gegenwärtig noch bemühen.» 50‘000 Franken – das war damals mehr als die Summe der Jahreslöhne sämtlicher Angestellter des Kantonalen Labors.