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Das System Valora: Knebelverträge bei Brezelkönig und Kiosken
Aus Kassensturz vom 02.06.2015.
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Arbeit Das System Valora: Knebelverträge bei Brezelkönig und Kiosken

Die Agenturleiter von Kiosken und Brezelkönigfilialen tragen das volle Risiko und haben dabei kaum unternehmerischen Freiraum. «Kassensturz» zeigt, wie die angeblich selbständigen Unternehmer unter dem Valora-Diktat in die roten Zahlen geraten, während der Milliardenkonzern den Profit einstreicht.

Letzten Monat berichtete «Kassensturz» über die schlechten Arbeitsbedingungen bei der Valora-Tochter Brezelkönig: Geleistete Arbeitsstunden werden nicht bezahlt, Sonntagszuschläge verweigert, angebliche Kassen-Fehlbeträge von den Mitarbeitern zurückverlangt.

Nach diesem Beitrag meldeten sich verschiedene sogenannt selbständige Agenturleiter. Personen also, die für Valora Brezelkönig- oder Kioskfilialen im Franchising-System führen. Auf eigene Verantwortung. Auch sie klagen über unhaltbare Bedingungen, die ihnen von Valora aufgezwungen werden.

Rigorose Vorschriften statt Selbständigkeit

«Am Ende des Monates blieben manchmal nur 2000 Franken, aber nie die 5000 bis 6000 Franken, die sie mir versprochen haben, als ich den Vertrag unterschrieb», sagt zum Beispiel M. E., der eine Brezelkönig-Filiale als Familienbetrieb führte.

Valoras Konditionen waren knallhart. Unter anderem musste er für sogenannte Inventurdifferenzen aufkommen. Das ergab oft mehrere Hundert Franken pro Monat. Denn er musste für jede fehlende Brezel den vollen Verkaufspreis bezahlen. Das, obschon gemäss M.E. nie die richtige Anzahl angeliefert wurde. M.E. musste schliesslich kapitulieren, am Ende des Monats blieb viel zu wenig übrig.

Auch ein ehemaliger Kadermitarbeiter von Brezelkönig meldete sich bei «Kassensturz». Er bestätigt, dass die Agenturleiter unter enormem Druck standen: «Meiner Meinung nach ist das zu 100 Prozent keine selbständige Tätigkeit, alles wird vorgeschrieben.» Interne Papiere, die der Insider an «Kassensturz» übergeben hat, zeigen deutlich: Die angeblich selbständigen Agenturpartner stehen massiv unter Druck, in den Kalkulationen sind viele Komponenten wie zum Beispiel Treuhänderkosten oder Inventurdifferenzen nicht eingerechnet. Der ehemalige Verkaufsleiter weiss: «Häufig ist es ein Minusgeschäft für die Agenturleiter, denn sie tragen das Risiko komplett alleine.»

Ein Blick in den Agenturvertrag verdeutlicht das. Die Liste der Vorschriften von Valora ist lange:

  • Das Getränkesortiment und sogar die Anordnung im Kühlregal wird vorgeschrieben.
  • Agenturpartner müssen teure Putzmittel direkt von Brezelkönig beziehen.
  • Öffnungszeiten und Verkaufspreise sind fix vorgeschrieben.
  • und so weiter.

Wer sich nicht an die Brezelkönig-Regeln hält, der wird nach einem Punktesystem mit Provisionsabzug gebüsst.

Arbeitsrechtsexperte Roger Rudolph kennt die Verträge von Brezelkönig. Er sagt, viele Indizien würden darauf hinweisen, dass die Agenturleiter nicht selbständig seien: «Es sind sehr feinmaschige Vorschriften, was untypisch für eine selbständige Tätigkeit ist.»

Kioskleiter stehen ebenfalls unter Druck

Auch eine ehemalige Kioskleiterin packt aus. Sie ist vom Milliardenkonzern Valora enttäuscht. Bis vor kurzem leitete sie als Agenturpartnerin eine Kioskfiliale und sagt, Valora hätte ihr nie wirklich eine Chance gegeben. Sie verschuldete sich und zog schliesslich die Reissleine. Auch sie zeigt «Kassensturz» ihre Verträge, die vor Vorschriften nur so strotzen. Sogar den Treuhänder, der die administrativen Aufgaben für die Kioskfiliale übernehmen sollte, diktierte Valora. Kostenpunkt: 585 Franken pro Monat.

Gewerkschaft setzt sich ein

«Kassensturz» weiss: Insgesamt 12 Kantone führen gemeinsam ein Verfahren gegen Valora weil deren Tochterfirmen sich nicht ans Gesetz halten. Es geht unter anderem um Scheinselbständigkeit. Offenbar haben diese Verstösse gegen das Arbeitsgesetz bei Valora-Töchtern System.

Zudem: Wegen Verdachts auf Verstösse gegen das Arbeitsgesetz haben Inspektoren des Arbeitsamtes diese Tage diverse Brezelkönigfilialen im Kanton Zürich kontrolliert. Sie haben Mitarbeiter befragt und Dokumente geprüft.

Auch die Gewerkschaft Syna kritisiert die Knebelverträge von Valora. Ein laufendes Verfahren vor Schiedsgericht dreht sich um die Frage, wie selbständig die Kioskbetreiber von Valora wirklich sind. Syna-Vizedirektor Carlo Mathieu: «Wenn man feststellen würde, dass es sich bei den Kiosk-Agenturen um eine Scheinselbständigkeit handelt, dann hätte die Agenturleiterin die Möglichkeit, in einem Gerichtsverfahren ihre Aufwendungen in Rechnung zu stellen.»

Vorderhand bleibt aber alles beim Alten. Die Agenturleiter und Kioskbetreiber tragen das Risiko, die Gewinne streicht Valora ein.

Valora will sich im nicht im Einzeln äussern. Das Unternehmen schreibt «Kassensturz»:

«Das Agenturmodell von Valora ist gesetzeskonform. Die Agenturpartner von Valora agieren als selbständige und unabhängige Betreiber der
Verkaufsstellen. Sie erhalten marktkonforme Verträge und werden vor deren Unterzeichnung transparent über ihre Rechte und Pflichten sowie über die vertraglich definierten Kosten und Provisionen informiert. Valora stellt den Agenturpartnern ein vollständiges Systemkonzept zur Verfügung. Dies ermöglicht den Agenturpartnern einen erfolgreichen Schritt in die Selbständigkeit als unabhängige und selbständige Unternehmer. Im Gegenzug übernehmen die Agenturpartner als selbständige Betreiber vertragliche Pflichten.»

«Kassensturz» vom Mai 2015:

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