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Arbeit Granit: Kinder schuften für Schweizer Küchen

Kinder müssen auf indischen Steinbrüchen Granit schlagen, der auch in der Schweiz verkauft wird. «Kassensturz» deckte vor zwei Jahren die unzumutbaren Zustände auf. Entgegen aller Versprechen hat die Steinbranche bisher nichts gegen die Kinderarbeit unternommen.

In der Schweiz gibt es kein Öl, keine Kohle und keine Edelmetalle. Die Schweiz ist arm an Bodenschätzen. Arm? Stimmt nicht: Die Schweiz ist steinreich. Reich an Granit, genauer gesagt an Gneis. Allein im Tessin produzieren zwei Dutzend Steinbrüche jedes Jahr eine Million Tonnen.

Importe verdoppelt

Doch Schweizer Firmen verarbeiten immer mehr Steine aus China oder Indien für Dorfplätze, Grabsteine oder Küchenabdeckungen. Steinhändler importieren doppelt soviel Granit wie noch vor wenigen Jahren – zigtausend Tonnen. Das bringt die Tessiner Steinbrüche in Schwierigkeiten. Die Produktion geht seit Jahren zurück.

Chiara Ongaro aus Cresciano (TI) beobachtet diese Entwicklung mit Sorgen. Der billige Importstein aus Asien macht ihr zu schaffen: «Wir haben sehr viele Arbeitsplätze verloren, viele Steinbrüche mussten schliessen.» Eine Tonne Granit aus dem Tessin kostet im Rohblock 300 Franken, Steine aus Asien oft nur einen Bruchteil davon. Trotz der Transportkosten für Tausende von Kilometern.

Tod durch Staublunge

Das Problem bei Importsteinen aus Asien sind die miserablen Arbeitsbedingungen. Das stellt der Arbeitsrechtsexperte Benjamin Pütter vom deutsch-katholischen Hilfswerk Misereor immer wieder fest. In den indischen Steinbrüchen arbeiten sogar Kinder. «Kassensturz» hat vor zwei Jahren darüber berichtet. Seither hat sich am Elend der Kinder nichts geändert. Benjamin Pütter: «Ich bin jeden Monat dort. Es besteht weiterhin genau das gleiche Problem. Kinder zwischen 10 und 14 Jahren hantieren mit 45 Kilogramm schweren Schlagbohrmaschinen und sind dabei täglich bis zu 14 Stunden dem Steinstaub ausgesetzt.»

Selbst kleine Kinder, wie Sklaven gehalten, müssen unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Sechs Tage in der Woche schuften sie in Staub und Lärm. Die Lebenserwartung dieser Kinderarbeiter liegt laut Pütter bei gerade mal 30 Jahren. Zum Tod führe der Steinstaub in ihren Lungen.

Verschleierte Herkunft

Jährlich werden etwa 10’000 bis 20'000 Tonnen indischer Granit in der Schweiz verarbeitet. Steinimporteure wissen meist gar nicht, aus welchem Steinbruch ihr Granit stammt. Der weltweite Handel wird über mehrere Zwischenhändler abgewickelt. Das verschleiert die Herkunft der Steine. An welchen Granitblöcken Kinder gearbeitet haben, will niemand wissen.

Nur das Label Xertifix vom Hilfswerk Misereor garantiert die Herkunft von Steinen, die frei sind von Kinder- und Sklavenarbeit. Aber kein Schweizer Steinproduzent, kein Händler und kein Verarbeiter von indischem Granit hat sich diesem Label angeschlossen. Sie verwenden nach wie vor diesen Stein, obwohl sie wissen, dass daran vermutlich Kinder gearbeitet haben.

Auch der Küchenhersteller Arbonia Forster verarbeitet Granit aus Indien ohne Label. Die Firma verkauft jedes Jahr 20'000 Küchen und verarbeitet für die Abdeckungen mehrere hundert Tonnen indisches Granit. Kunden können aus verschiedenen Granitmustern die passende Farbe wählen. Jedes vierte Muster stammt aus Indien.

Leere Versprechungen

Dass ihm sein Lieferant nur Granit ohne Kinderarbeit verkauft, das kann Arbonia-Forster-Chef Edgar Oehler nicht garantieren. Deshalb versprach er vor zwei Jahren im «Kassensturz», dies von der unabhängigen Kontrollstelle Xertifix prüfen zu lassen. Denn er halte sehr viel von diesem Label, es sei absolut notwendig für die Unterbindung von Kinderarbeit, beteuerte Oehler damals.

Doch Edgar Oehler hat sich nie bei Xertifix gemeldet. Nach wie vor bezieht der Firmenchef Granit aus Indien ohne Gütesiegel und nimmt so in Kauf, dass daran Kinder gearbeitet haben. Arbeitsrechtsexperte Pütter: «Bei jeder Küchenplatte aus Indien, die Oehler verkauft, klebt das Blut indischer Kinder – weil er sich weigert, eine unabhängige Siegelung zuzulassen.» Eine Kontrolle durch Xertifix sei nur möglich, wenn Oehler seine Lieferanten nennen würde. «Das ist nicht passiert», stellt Pütter weiter fest.

Edgar Oehler rechtfertigt sich: Es sei nicht möglich, die Handelswege zurückzuverfolgen. Wegen der vielen Zwischenhändler könne nicht kontrolliert werden, aus welchen Steinbrüchen sein Granit stammt. Er habe sich aber von seinem Lieferanten schriftlich bestätigen lassen, dass an seinem Granit keine Kinder arbeiten würden.

«Schamlose Unterstellung»

Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe hält Oehler für eine «schamlose Unterstellung». Der Arbonia-Forster-Chef sagt, man müsse das Problem dort anpacken, wo Granit abgebaut wird und nicht da, wo man es verwendet. Tatsache ist: Edgar Oehler, aber auch andere Küchenbauer, Steinhändler und Produzenten können weiterhin nicht ausschliessen, dass sie Granit aus Steinbrüchen verkaufen, in denen Kinder arbeiten. Dies räumte im Studiogespräch auch Tobias Eckardt ein, Vizepräsident des Natursteinverband Schweiz. Er führte aus, die Branche habe mit einem Merkblatt auf den bekannten Missstand reagiert. Auch seien auf europäischer Ebene Bestrebungen im Gang, ein Label zu schaffen, das auch soziale Komponenten abdeckt.

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