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Rezeptfreie Medikamente: Behörden ausgetrickst
Aus Kassensturz vom 06.01.2009.
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Gesundheit Rezeptfreie Medikamente: Behörden ausgetrickst

Folsäure sei ein Medikament und dürfe nur in der Apotheke verkauft werden, sagt die Kontrollbehörde Swissmedic. Doch ein identisches Produkt verkauft Migros als Nahrungsergänzungsmittel – viel günstiger. «Kassensturz» deckt auf: Beim Verkauf von Medikamenten ohne Rezeptpflicht herrscht ein Wirrwarr.

Wenn es um Gesundheitsschutz geht, geben sich die Behörden rigoros. Sie legen auch bei frei erhältlichen Medikamenten, die Kunden ohne Arztrezept kaufen können, fest, ob sie in Apotheken, Drogerien oder Grossverteilern verkauft werden dürfen.

«Skandalöse Willkür»

Ein kurioses Beispiel: Die Folsäure-Präparate Andreafol und Actilife-Folsäure von der Migros. Andreafol mit der Dosierung 0,4 Milligramm darf nur in der Apotheke verkauft werden, nicht aber in der Drogerie. Seltsam: Das Actilife-Folsäure-Präparat mit der genau gleichen Dosierung ist frei in der Migros erhältlich.

Sehr zum Ärger der Drogisten. Sie haben wegen solcher Verkaufsbeschränkungen Klage eingereicht. In einem Amtsbericht rechtfertigt sich die Heilmittelbehörde Swissmedic: Andreafol könne die Gesundheit gefährden und dürfe deshalb nur unter Beratung durch medizinische Fachpersonen verkauft werden.

Für Peter Eberhart, Präsident des Bernischen Drogistenverbands, ist das absolut unverständlich. Er kritisiert die Willkür der Behörden. Präparate, die er in der Drogerie nicht verkaufen darf, sind im Warenhaus frei erhältlich. «Der kleine Detailhandel ist im Endeffekt ausgeschaltet. Und die Behörden lassen das zu – für mich ein Skandal», sagt Eberhart.

Zwei Ämter zuständig

Grund für den Wirrwarr: Zuständig für die Bewilligungen sind zwei verschiedene Ämter. Swissmedic kontrolliert die Zulassung von Heilmitteln, das Bundesamt für Gesundheit prüft Nahrungsergänzungsmittel. Apotheken, Drogerien oder Grossverteiler dürfen dann die Präparate verkaufen.

Andreafol gilt als Heilmittel und wird auf Anordnung des Arztes von den Krankenkassen übernommen. Das Actilife-Produkt liess die Migros einfach als Nahrungsergänzungsmittel registrieren. Andreafol kostet 10.95 Franken – mehr als doppelt so viel wie das Migros-Produkt.

Beim Medikamentenverkauf widersprechen sich nicht nur die beteiligten Behörden. Auch die Einteilung von Heilmitteln durch Swissmedic sorgt für Ärger. Ob ein Medikament in der Apotheke oder auch in der Drogerie verkauft werden kann, ist manchmal unverständlich. Swissmedic teilt nicht rezeptpflichtige Medikamente entweder in Liste C (Verkauf in Apotheken) oder Liste D (Verkauf auch in Drogerien) ein. Die Kritik: Pharmafirmen bestimmen mit, wo die Mittel verkauft werden.

Lukrative Umteilung

Beispiel Iberogast: Ursprünglich stand das Magen-Darm-Mittel auf Liste D, dann teilte es Swissmedic auf Antrag des Herstellers in Liste C um. Neuerdings übernehmen es sogar die Krankenkassen. Heutiger Preis: 31.70 Franken. Im Vergleich zu früher sind das 88 Prozent mehr. Eine lukrative Umteilung – offenbar ganz nach dem Willem der beteiligten Firmen.

Die damalige Vertriebsfirma schreibt, Iberogast werde im Zuge einer «strategischen Positionierung» neu eingeteilt. Der Trick: Die Indikation, also der Anwendungsbereich des Medikaments, wurde auf «Reizmagen» erweitert. Swissmedic teilte das Präparat daraufhin in Liste C um, es kann nur noch in Apotheken verkauft werden.

«Reine Marketing-Strategie»

Arzt und Medikamenten-Experte Max Giger, Mitglied der eidgenössischen Arzneimittelkommission, kennt die Taktiken von Pharmafirmen bei den Einteilungen in Verkaufslisten. Er bezeichnet diese als «reine Marketing-Strategie». Man solle nicht die Firma bestimmen lassen, in welcher Liste sie das Präparat haben will.

Die Behörden widersprechen. Die Einteilung erfolge aufgrund objektiver Kriterien. Entscheidend sei auch Aufschrift und Verwendungszweck eines Präparats. Swissmedic-Sprecher Joachim Gross: «Das kann der Hersteller auf keinen Fall beeinflussen. Swissmedic arbeitet vollkommen unabhängig.» Die Einteilung in die Abgabekategorien erfolge aus rein wissenschaftlichen Gründen. Im Vordergrund stehe dabei immer die Patientensicherheit.

Vereinfachung des Systems

Allerdings: Auch andere Einteilungen sind fragwürdig. Die Hautsalben Rubisan und Rubiderm von Omida sind identisch und unterscheiden sich nur in der Packungsbeschriftung. Doch eines ist eingeteilt in Liste D, das andere in Liste C. Die vielverkauften Erkältungsmittel Neocitran und Pretuval dürfen nur Apotheker verkaufen.

Für den Experten Max Giger ist klar: Das Einteilungssystem liesse sich vereinfachen. In den USA, Kanada oder England seien die Präparate entweder rezeptpflichtig oder rezeptfrei. «Das ist eine einfache Unterteilung. Dann hat es nur noch eine Schnittstelle, nämlich die Schnittstelle zwischen Rezeptpflicht und sogenannter Freiverkäuflichkeit.»

Komplizierter Medikamentenverkauf: Das hat auch die Politik erkannt. Das Parlament hat kürzlich eine Motion angenommen, die verlangt, dass Liste C (Verkauf in Apotheke) und D (Verkauf auch in Drogerie) zusammenlegt werden.

Unterschiedliches Vorgehen

Der Hersteller vom Produkt Andreafol schreibt: Andreafol sei bei Swissmedic als Heilmittel registriert. Für Entwicklung, Registrierung, Produktion und Vertrieb bedeute dies ein völlig unterschiedliches Vorgehen mit entsprechend höheren Kosten.

Zum Produkt Iberogast schreibt die heutige Vertriebsfirma, welche das Produkt seit Anfang 2008 vertreibt: «Für die Listeneinteilung der Arzneimittel ist ausschliesslich Swissmedic verantwortlich. Sie erfolgt auch aufgrund der durch klinische Doppelblindstudien belegten Indikationen.» Swissmedic habe die neuen Indikationen «Reizmagen» und «Reizdarm» für Iberogast genehmigt und dabei das Produkt in die Liste C umgeteilt.

Der heutige Preis von Iberogast sei vom BAG bei der Aufnahme in die Spezialitätenliste der von den Krankenkassen vergüteten Arzneimittel genehmigt worden.

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