Zum Inhalt springen

Header

Video
Überteuerte Medizinalgeräte: Zuschauer machen dem Amt Beine
Aus Kassensturz vom 15.03.2016.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 43 Sekunden.
Inhalt

Gesundheit Überteuerte Medizinalgeräte: Zuschauer machen dem Amt Beine

Krankenkassen-Prämienzahler zahlen über 100 Mio Franken zu viel für Hilfsmittel wie Krücken oder Kanülen. Das zeigten «Kassensturz»-Recherchen. Das Bundesamt für Gesundheit will die Preise bis 2018 anpassen. Zu spät, finden viele Zuschauer und zeigen ihre eigenen Vorschläge für Preissenkungen.

«Kassensturz»-Zuschauer nerven sich: Nach einem Bericht über die Mittel- und Gegenständeliste MiGel gab das Bundesamt für Gesundheit zu, die Liste mit den Höchstvergütungspreisen für medizinische Hilfsmittel seit Jahren nicht regelmässig bewirtschaftet zu haben.

Die Konsequenz: Darin sind Produktegruppen mit astronomisch hohen Preisen gelistet. Bis Ende 2017 soll die Liste nun endlich überarbeitet werden. Das muss schneller gehen, fordern Prämienzahler – und nennen Beispiele, wo die MiGel-Beträge völlig überborden.

Überarbeitung erst in zwei Jahren

So kommt die Situation zustande, dass Apotheken einen Beutel mit zwei sterilen Kompressen für 1.20 Franken verkaufen. Mit einem Arztzeugnis kann eine Abgabestelle über die Krankenkasse jedoch bis 9.70 Franken verrechnen. Amtlich abgesegnet.

Geschichte von MiGeL

Box aufklappen Box zuklappen

Mit der Mittel- und Gegenständeliste MiGel regelt das Bundesamt für Gesundheit BAG, wie viel Krankenkassen maximal für medizinische Hilfsmittel zahlen müssen. Mitte der 90er Jahre wurde diese Liste eingeführt – und seither haben es die Verantwortlichen im BAG verschlafen, die Liste den realen Gegebenheiten anzupassen. «Kassensturz» vom 01.03.16

BAG-Kommunikationschef Daniel Bach erklärt im Kassensturz-Interview, dass dies ein Fehler sei. «Bis Ende Jahr ist der korrigiert.» Zusätzlich werde die gesamt Liste bis Ende 2017 total überarbeitet.

Viel zu langsam, meinen «Kassensturz»-Zuschauer im Forum. «Dass das BAG sich nun zwei Jahre Zeit lassen will, ist ein Skandal», schreibt Walter Rubin. Auch «Kassensturz»-Zuschauer Luzius Maier kann es nicht glauben: «Es darf doch nicht wahr sein. Jeder Grossverteiler verfügt über ein Sortiment von ebenso vielen Artikeln wie das BAG und diese Liste wird jeden Tag gepflegt, also Preisanpassungen vorgenommen.»

Viel zu hohe Preise bei mehreren Produktegruppen

Und auch Urs Brand aus Zürich ist mehr als verärgert und schreibt im «Kassensturz»-Forum: «Mir bleibt fast der Atem weg, wenn ich Daniel Bach's Antworten und Statements höre. Er unterstreicht mit jeder Aussage das Bild des faulen Beamten.»

Video
Gespräch mit Daniel Bach vom Bundesamt für Gesundheit
Aus Kassensturz vom 01.03.2016.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 3 Sekunden.

Das BAG wisse um die überhöhten Preise seit Jahren und habe nichts unternommen um die Abzocke im Gesundheitsbereich abzuschwächen. «Auch jetzt noch verspricht er Korrektur im kommenden Jahr, also darf man noch ein weiteres Jahr amtlich bewilligt ausrauben.»

«Das geht gar nicht»

Nach der «Kassensturz»-Berichterstattung hat ein Schlafapnoe-Patient die Abrechnung seines Beatmungsgerätes betrachtet. Der «Krankenkasse» wurden knapp 2400 Franken verrechnet. 100 Franken weniger als der Höchstvergütungsbetrag auf der Mittel- und Gegenständeliste.

«Das empfand ich schon als ziemlich hoch. Ich bin aber Patient und einfach dankbar, dass das Gerät hilft.» Eine kurze Suche im Internet zeigt dem Patienten jedoch, dass er das gleiche Gerät in Deutschland für gut 1400 Franken gekriegt hätte. «Das sind 1000 Franken weniger. 1000 Franken von meinen Prämien. Das geht gar nicht.»

Ein Insider aus der Pharma-Industrie macht «Kassensturz» auf weitere absurde Preisdifferenzen zwischen Einkaufspreis für Apotheken, Verkaufspreis und Höchstvergütungsbetrag auf der Mittel- und Gegenständeliste aufmerksam:

  • In der Produktegruppe der elektrischen Nervenstimulationsgeräte sind günstige Geräte auf dem Markt, die Verkaufsstellen für 90 Franken beziehen können. Verkauft werden sie ohne Arztrezept zu einem Preis von 129 Franken. Dieses Gerät fällt auf der MiGel unter die Produktegruppe, die zu 270 Franken abgerechnet werden kann. Mehr als das Doppelte des Verkaufspreises.
  • Eine günstige Lampe zur Lichttherapie bei depressiven Verstimmungen verkaufen Schweizer Apotheken für 198 Franken. Die MiGel erlaubt einen Abrechnungspreis von 720 Franken – 3,5 Mal so viel.
  • Eine Schulterbandage mit Verkaufspreis von 22.15 Franken fällt unter die MiGel-Position, welche mit 97 Franken abgerechnet werden kann.
  • Oder eine Kinder-Silikonmaske zur Inhalationstherapie verkaufen Abgabestellen für rund 4 Franken. Das Bundesamt für Gesundheit lässt einen Höchstvergütungsbetrag von 46.80 Franken zu – knapp 12 Mal so viel.

Kritik am «System MiGel»

In der Mittel- und Gegenständeliste sind nicht einzelne Produkte bzw. konkrete Markenware gelistet. Medizinische Hilfsmittel werden in Produktepositionen zusammengefasst. So ist es möglich, dass teurere bzw. qualitativ bessere Artikel unter derselben Position abgerechnet werden wie günstigere und einfachere Produkte.

Eine Wirksamkeit zur Krankheitsbehandlung müssen aber auch die einfacheren Produkte aufweisen, denn das Bundesamt für Gesundheit überprüft diese Wirksamkeit, bevor es ein einzelnes Produkt einer MiGel-Position zuweist.

Daraus folgt, dass bei Billigprodukten die Preisspanne zum Höchstvergütungsbetrag astronomisch sein kann. Teurere Produkte können im Gegenzug auch über eben diesem Höchstvergütungspreis liegen – in diesem Fall bezahlt der Prämienzahler die Differenz selber direkt der Abgabestelle. Kritiker fordern deshalb eine gänzliche Überarbeitung dieses Systems der Produktegruppen.

Meistgelesene Artikel