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«Liebhaber» erbeutet 80'000 Franken
Aus Kassensturz vom 21.02.2012.
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Multimedia «Liebhaber» erbeutet 80‘000 Franken

Marianne R. lernte auf einer Partnerbörse den vermeintlichen Traummann kennen. Aus der Liebe wurde nichts, denn sie fiel einem Romance-Scammer zum Opfer, einem digitalen Heiratsschwindler. Die Witwe verlor nicht nur ihr Herz, sondern auch 80‘000 Franken. Die Betrüger gehen dabei raffiniert vor.

Marianne R. ist medizinische Masseurin und arbeitet bei drei verschiedenen Arbeitgebern. Sie ist ein sehr aktiver Mensch. Vor zwei Jahren wurde ihr bewegtes Leben aber jäh gebremst. Ihr Ehemann erkrankt an Amyotropher Lateralsklerose, an Muskelschwund. Und er starb nach 24 Ehejahren.

Die gesellige Frau stand plötzlich alleine da und fühlte sich einsam. Ihr Mann wusste wohl, dass ein Leben alleine für sie schwierig sein würde. Marianne R. erinnert sich: «Mein Mann sagte mir am Schluss, er sei mir sehr dankbar und dass es ihm wichtig sei, dass ich nach seinem Tod an mich denke und wieder einen Partner suche.»

Überhäuft mit Liebe und Aufmerksamkeit

So entschied sich die Masseurin einige Zeit nach dem Tod, eine neue Bekanntschaft zu suchen und meldete sich im Internet bei der Partnerböse be2 an. Kurz darauf schrieb ihr ein gewisser Joseph Prosser, ein englischer Bauunternehmer, der damals angeblich gerade ein Bauprojekt in Nigeria betreute. Die Beziehung entwickelte sich schnell, alles schien rosig. Marianne R.: «Ich habe mich gut gefühlt, habe gedacht, nach dieser schweren Zeit komme etwas Positives. Damals war ich eigentlich sehr glücklich.» War sie am Anfang noch etwas überrumpelt von seinen ellenlangen E-Mails, genoss sie nach und nach die grosse Aufmerksamkeit, die der Brite ihr während vier Wochen schenkte. Er versprach ihr sogar, dass er nach Beendigung des Projekts zu ihr in die Schweiz ziehen werde.

Doch dann zogen die ersten Gewitterwolken auf: Joseph Prossers Sohn erlitt scheinbar in Malaysia einen Blinddarmdurchbruch und musste notfallmässig operiert werden. Damit er überhaupt behandelt werde, müsse eine Bürgschaft bezahlt werden, erklärte Prosser seiner neuen Partnerin. 2300 Franken brauchte der englische Bauunternehmer, und er versprach, den Betrag zurückzubezahlen, sobald er bei seiner Liebsten in der Schweiz weile.

Eine Katastrophe folgt der anderen

Marianne R. war misstrauisch, wurde aber von Joseph hartnäckig bearbeitet: «Er warf mir immer wieder vor, ich vertraue ihm nicht, mittlerweile müsse ich doch wissen, woran ich bei ihm sei.» Sie liess sich überreden und überwies über ihr Konto bei der Thurgauer Kantonalbank 2243 Franken nach Malaysia. Doch das reichte nicht. Bald bat Joseph um weitere 2303 Franken und Marianne R. überwies abermals.

Damit aber nicht genug: Joseph Prosser schien ein richtiger Pechvogel zu sein, denn einige Tage später steckte er erneut in der Klemme. Für die Löhne seiner Handwerker in Nigeria fehlte Geld. Er schickte sogar Bilder von seinem Bauprojekt. Abermals schwor er, das Geld in der Schweiz zurückbezahlen. Marianne R. überwies ihm 7‘000 Franken.

«Es war wie in einem bösen Traum»

Dann kam es noch schlimmer: Plötzlich meldete sich der Anwalt von Joseph. Sein Mandant sitze in Nigeria im Gefängnis wegen Steuerhinterziehung. Um ihn freizubekommen, brauche er dringend eine Kaution von 25‘000 Franken. Marianne R. zweifelt. Aber Joseph schickt ihr eine Flugbestätigung mit seinem definitiven Ankunftsdatum in der Schweiz. Sie hilft erneut, immer im Glauben, sie bekomme das  Geld zurück.

Hätte die Bank warnen müssen?

Über Jahre fanden auf dem Konto von Marianne R. keine Bewegungen ins Ausland statt. Und plötzlich wurden grosse Summen überwiesen – ausgerechnet nach Nigeria. Hätten bei der Thurgauer Kantonalbank nicht Alarmglocken klingeln müssen?

In einer Stellungnahme erklärt die TKB: «Die Verfügungsgewalt über sein Geld liegt beim Kunden. Der Kunde ist verantwortlich. Er muss überprüfen, dass die Glaub- und Kreditwürdigkeit des Empfängers gewährleistet ist. Dazu sind wir nicht befugt und auch nicht in der Lage, denn wir wickeln pro Tag über 40‘000 Zahlungsaufträge ab. Zudem hat Nigeria Banken und ein Wirtschaftssystem und ist nicht mit Sanktionen behaftet.»

Insgesamt überwies die Witwe 80'000 Franken, in der Zwischenzeit verschob ihr Verehrer zum dritten Mal den Flug in die Schweiz. Der Masseurin wurde klar, dass es nicht mit rechten Dingen zuging: «Es war wie in einem bösen Traum.» Alles war gelogen, die Bilder gestohlen. Ein Joseph Prosser gibt es nicht.

Wöchentlich melden sich Opfer

Martin Böss, Leiter der Schweizerischen Kriminalprävention, kennt solche Geschichten zur Genüge. Bei ihm melden sich wöchentlich Opfer von solchen Romance-Scammern.

Der Experte weiss, die Betrüger arbeiten meist in organisierten Gruppen, die sich darauf spezialisiert haben, Schweizerinnen auszunehmen.

Dabei handle es sich meist um Männer, die in Westafrika sitzen, in Nigeria, Togo oder Senegal. Sie bombardieren Schweizer Frauen mit romantischen E-Mails und gaukeln ihnen Liebe vor. «Dann erzählen sie haarsträubende Geschichten, die ans Herz gehen; mit Geld kann das Problem gelöst werden. Die Frauen schicken Geld nach Afrika und das ist dann für immer verloren», erklärt Böss.

Marianne R. glaubte, die grosse Liebe gefunden zu haben. Doch es war ein Romance-Scammer – ein digitaler Heiratsschwindler, dem sie ein Grossteil ihres Vermögens schickte. Nun hofft sie, dass sie mit ihrer Geschichte wenigstens andere Frauen davon abhalten kann, in die gleiche Falle zu tappen.

Stellungnahme be2

Die Internet-Partnerbörse be2 nimmt wie folgt Stellung zum Fall von Marianne R.: «Der Betrüger war nur während fünf Tagen auf unserer Seite registriert (vom 1. bis 5. Oktober 2011). Sobald er auffällig wurde, wurde er von uns als «potenzieller Betrüger» entlarvt, sofort gesperrt und in die «Blacklist» aufgenommen.

Leider hat die fragliche Kommunikation nach dem anfänglichen Kontakt nicht mehr über unsere Plattform stattgefunden, so dass wir Frau R. hier nicht warnen und daher auch keine Schadensvermeidung durchführen konnten.

Nichtsdestotrotz fühlen wir mit Frau R. und bedauern, dass sie von einem Betrüger geschädigt wurde. Frau R. bekommt den Betrag für die Mitgliedschaft zurückerstattet.»

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