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Multimedia Teil 4: «Bye Bye, Honey!»

Auf Singleplattformen und in sozialen Netzwerken machen Romantik-Betrüger Jagd auf Ahnungslose, die sich von deren Treueschwüren und Liebesgedichten einlullen und später ausnehmen lassen. Doch Online-Lover Taylor ist an die Falsche geraten.

«Ich muss mit dir chatten. Dein Mail ist nicht das einer liebenden Frau.» Diese SMS von Taylor Martinez erreichte mich am 27. Oktober – am Abend des «misslungenen» Geldtransfers. Ich verstand nicht, was das noch sollte. Deutlicher konnte ich ihm doch keine Abfuhr erteilen. Was wollte der enttarnte und vorgeführte Liebes-Betrüger noch? Aus reiner Neugier meldete ich mich im Chat an.

Chat vom 27. Oktober

Ich: «Hi. Du willst mich sprechen?»

Er: «Hi. Ich habe dein Mail erhalten. Kannst du mir bitte erklären, was du damit meinst?»

Ich: «Ich denke, du weisst ganz genau, was das heisst.»

Er: «Nein. Sag mir: Warum hast du mir nie gesagt, dass du verheiratet bist?»

Ich: «Und warum hast du mir nie gesagt, dass du schwarz bist?»

Er: «Wie bitte??? Oh mein Gott! Willst du damit sagen, du hast mich nie geliebt?»

Ich: «Darf ich dich etwas fragen? Wie viele Frauen haben schon bezahlt nach deiner herzzerreissenden Geschichte?»

Er: «Ich kann das nicht glauben! Das bist nicht du, die da spricht. Warum verwirrst du mich so? »

Ich: «Genau das habe ich mich heute Morgen auch gefragt. Wo war der nette Mann? Du wolltest nur noch mein Geld.»

Er: «Das stimmt nicht. Du machst mich so traurig. Wenn es dir ums Geld geht, dann behalt es, Honey. Ich will dein Geld nicht. Ich will dich! Und ich will dich nicht verlieren!»

So ging es weiter. Und nach zwei Stunden versprach er mir, dass wir immer glücklich zusammen sein würden. Er könne mir nicht böse sein, weil er mich so sehr liebe. Mein vermeintlicher Ehemann war wohl vergessen gegangen, genau wie meine Vermutung, er sei nicht der Mann auf dem Foto. Ganz ehrlich: Ich verstand die Welt nicht mehr! Dieser Mann legte eine unverschämte Ausdauer an den Tag, die ich schon fast bewunderte. Wollte er tatsächlich weiterhin versuchen, mir Geld aus der Tasche zu ziehen? Er wollte!

Zeit für ein weiteres Fettnäpfchen

Und wie immer zeigte er sehr viel Geduld. Tagelang folgten neue Schmeicheleinheiten. Gewiss, die netten Goodmorning-Mails blieben schon seit einiger Zeit aus. Vermutlich waren ihm die sendefertigen Vorlagen ausgegangen. So lange musste er wohl selten ein Opfer bearbeiten. Von Geld war nie mehr die Rede. Hin und wieder jammerte er, weil er untätig in Malaysia sitzen müsse. Ich ignorierte das. Mittlerweile schrieben wir den 30. Tag der «Liebesgeschichte» und langsam wurde ich müde. Ich wollte die Sache zu Ende bringen und stellte Taylor ein weiteres, besonders nettes Fettnäpfchen vor die Nase:

Chat vom 31. Oktober

Er: «Hi Honey. Wie geht es dir? Ich habe dich so sehr vermisst.»

Ich: «Sag mal, bist du es nicht langsam leid? Wie lange willst du das noch durchziehen?»

Er: «Was meinst du?»

Ich: «Deine Lügen.»

Er: «Oh mein Gott! Was ist mit dir passiert! Warum beschuldigst du mich wieder? Was meinst du?»

Ich: «Erinnerst du dich an deine allererste Nachricht an mich?»

Er: «Ja.»

Ich: «Nun, genau dieselbe Nachricht haben drei meiner Freundinnen ebenfalls erhalten. Was sagst du dazu?»

Er: «Oh, bin ich froh, dass du das ansprichst. Es hat mich schon lange belastet. Ich habe nie etwas gesagt, weil ich Angst hatte, dich zu verlieren. Aber weisst du: Ich habe wirklich dringend eine Frau gesucht und daher einige angeschrieben. Jetzt gibt es aber nur noch dich!»

Ich bin die einzige, nebst 140 andern

Schlagfertig ist er ja, der liebe Taylor. Aber natürlich gab ich mich zickig. Eine solche Lüge verzeiht man nicht einfach so. Taylor musste sich da schon etwas einfallen lassen. Und das tat er. Er sagte mir, ich könne ihm blind vertrauen. Und als Beweis schickte er mir sein Facebook-Passwort! Unglaublich! Zwar war es falsch, dennoch schaffte ich es mit Leichtigkeit, in seinen Account einzusteigen und seine ganze Korrespondenz zu lesen. Was ich da zu sehen bekam, übertraf meine schlimmsten Erwartungen: Die erste Nachricht vom 3. Oktober hatte er an jenem Abend an sage und schreibe über 140 Frauen verschickt!

Die Ausbeute war allerdings nicht sehr gross. Nebst mir hatten sich nur zwei weitere Frauen auf den Kontakt eingelassen. Würden sie auf ihn hereinfallen? Sie waren auf dem besten Weg dazu. Deshalb warnte ich sie kurz per Facebook-Nachricht. Tja, Taylor, weitere 2000 Dollar futsch. Das alles behielt ich aber für mich.

Nachricht vom 3. November

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«Honey, es tut mir so leid wegen gestern. Bitte entschuldige. Ich brauche dich in meinem Leben. Willst du mich heiraten? Bitte!!»

Tyler schrieb nett weiter und arbeitete sich langsam und schnulzig vor zu einem weiteren Höhepunkt, der am 34. Tag folgte. Nach einem kleinen Streit im Chat erreichte mich folgende Nachricht.

Die virtuelle Blitzverlobung

Jetzt aber! Das wollte ich nun doch genauer wissen. Abends im Chat:

Chat vom 3. November

Ich: «War deine Frage von heute Morgen ernst gemeint?»

Er: «Willst du mich heiraten?»

Ich: «Das ist die Frage, die ich meine, ja.»

Er: «Oh mein Gott, Honey! Ich werde verrückt! Du hast ja gesagt! Natürlich war die Frage ernst gemeint. Oh, ich kann es kaum erwarten, dich für dein Ja zu küssen.»

Hoppla, was war jetzt passiert? Ohne es zu bemerken, war ich nun also auch noch verlobt! So schnell kann das gehen. Fortan chatteten wir also als künftige Eheleute. Da ich aber nicht nur Ehefrau, sonder auch Stiefmutter werden würde, bat ich Taylor am 40. Tag, mir etwas über seine 11-jährige Tochter Sandy zu erzählen. Taylor liess sich nicht lumpen: «Oh Honey, sie ist so süss. Bevor ich von zu Hause abreiste, kam sie immer zu mir und fragte: ‚Daddy, warum lächelst du immer?‘ Und ich erzählte ihr, dass sie bald eine neue Mamma haben würde. Dich. Ich erzählte ihr bereits, dass wir Weihnachten in der Schweiz feiern werden. Sie ist schon sehr aufgeregt und kann es kaum abwarten, dich zu sehen.»

Familien-Weihnachtsfeier in Switzerland

Meine Güte, das war ja an Kitsch kaum zu überbieten. Deshalb nahm ich an, dass nun auch bald wieder die Frage nach Geld kommen würde. Fünf Tage später war es dann soweit: Die 1000 Dollar müssten nun wirklich her, sonst werde nichts mit der harmonischen Familienfeier in Switzerland, meinte er verzweifelt. Und: Die muslimischen Malaysier würden Christen wie ihn sehr schlecht behandeln. Er hätte Angst.

Ein letztes Mal versprach ich, mich darum zu kümmern. Und wieder sollte ich das Geld direkt an den malaysischen Steuerbeamten überweisen. Ich teilte ihm mit, dass ich diesem Menschen nicht traue. Was, wenn dieser das Geld in die eigene Tasche steckt und behauptet, nichts erhalten zu haben? Taylor hatte auch dafür eine Lösung bereit: Der Steuerbeamte Ezekiel Osas Omoruyi sei nicht mehr zuständig. Er sei bereits in den Weihnachtsferien.

Muslime feiern Weihnachten?

«Seit wann gehen Muslime in die Weihnachtsferien?», fragte ich erstaunt. «Honey, nicht schon wieder! Du misstraust mir! Ich kann nicht mehr!», erwiderte Taylor. Ok, ok. Ich gab Ruhe und fragte nach dem Namen des neuen Steuerbeamten. Dieses Mal hiess er Dan Gladstone. Wieder sehr malaysisch, dieser Name. Und auch dieses Mal: Facebook zeigte mir einen jungen schwarzen Mann. Solche sozialen Netzwerke haben definitiv ihre Nachteile, das hat Taylor wohl noch nicht erkannt.

Mein «zukünftiger Ehemann» wartete dann geduldig drei weitere Tage, mit der Gewissheit, dass seine 1000 Dollar nächstens eintreffen werden.

Doch er hatte wieder Pech: Am 10. November teilte ich ihm mit, dass ich versucht hätte, das Geld zu überweisen. Die Western Union Bank (WUB) hätte sich aber geweigert, den Transfer vorzunehmen. Weil ich diesen Dan Gladstone nicht kenne. Das ist durchaus möglich, denn die Mitarbeiter von WUB kennen solche Betrugsfälle zur Genüge und sind entsprechend geschult.

Taylor, ich komme!

Taylor war alles andere als erfreut, schien am Ende zu sein. Doch ich hatte eine Lösung bereit. Auf dieses Fettnäpfchen freute ich mich schon lange!

Ich verkündete ihm voller Freude: «Verzweifle nicht. Ich habe die Lösung. Ich bringe das Geld persönlich vorbei.» Was gab es besseres? So käme das Geld sicher an und wir hätten endlich die Gelegenheit, uns zu sehen. «Ich habe mich bereits erkundigt. Mein Flugzeug landet am 9. November um 14.30 Uhr in Kuala Lumpur. Sei am Flughafen. Ich freu mich so!» ─ Schweigen. Langes Schweigen.

Der spanische Engländer Taylor Martinez, der ja in Wirklichkeit ein Afrikaner ist, kam wohl ins Rudern. Verständlich! Wie würde ich reagieren, wenn mein zukünftiger Ehemann plötzlich die Hautfarbe gewechselt hat? So viel Bräune würde man sich nicht einmal in der brütenden Sonne Malaysias zulegen können.

Also versuchte er, mir das auszureden. «Das geht auf keinen Fall, Honey. Du darfst erst kommen, wenn ich mit meiner Arbeit praktisch fertig bin.» Ich fragte immer wieder nach dem Grund. Das machte ihn sauer. Während zwei Tagen beschimpfe er mich und drohte: «Wenn du mir bis am 11.11. das Geld nicht überweist, ist es aus mit uns! Ich verlasse dich! Das meine ich ernst!»

Genug jetzt – Time to say goodbye

Ich erwiderte nur, das sei für mich unmöglich und zog mich beleidigt zurück. Taylor sprach auch nicht mehr mit mir. Schickte mir lediglich jeden Tag traurige Liebeslieder, wie «You broke my heart» (Du hast mein Herz gebrochen). Das war unsere einzige Kommunikation. Als ich ihn nach dem Sinn fragte, meinte er nur, ich solle die Texte beachten.

Doch heute – Tag 48 der «Liebesgeschichte» - meldete er sich erneut zu Wort. Seine SMS-Botschaft an mich: «Ich bin in grossen Schwierigkeiten. Ich habe einen Vertrag unterschrieben und kann ihn nicht einhalten. Ich werde ins Gefängnis müssen. Ich hoffe, du bist glücklich darüber!»

Tja, lieber Taylor, oder Dan oder Ezekiel oder was auch immer. Ins Gefängnis, da gehörst du ja eigentlich hin. Aber genug jetzt. Ich bin es leid, mir deine Lügengeschichten anzuhören. 48 Tage reichen. Ich wünschte, du hättest etwas aus unserer Geschichte gelernt. Vermutlich nicht. Ich hoffe aber, durch diese "Liebesstory" seien viele Frauen vor Betrügern wie dir gewarnt. Auf dass dein übles Geschäft bald nicht mehr rentiere. Bye Bye Honey.

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