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Handy-Metalle aus Kriegsgebieten
Aus Kassensturz vom 07.06.2011.
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 37 Sekunden.
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Multimedia Warlords verdienen an Handy-Rohstoffen

Wer ein Handy kauft, macht sich mitschuldig an einem der brutalsten Bürgerkriege in Afrika: Im Ostkongo bauen Minenarbeiter unter erbärmlichen Bedingungen Metalle ab, ohne die kein Handy funktioniert. Kriegsherren finanzieren über den Rohstoffhandel ihre Waffen.

Die Handyindustrie boomt. Allein im letzten Jahr wurden weltweit 1,6 Milliarden Mobiltelefone verkauft. Eine Zunahme von über 30 Prozent. Für die Produktion braucht die Industrie immer mehr Rohstoffe. Über 40 Metalle sind nötig, damit ein Handy funktioniert. 

Viele Metalle stammten aus Zentralafrika: Zum Beispiel rund 70 Prozent des weltweit abgebauten Kobalts, rund 60 Prozent des Tantals sowie bedeutende Mengen Zinn. 

Rohstoffreiches Kongo 

Sehr reich an Rohstoffen ist mitten in Zentralafrika die demokratischen Republik Kongo. Neben industriellen Minen im Süden arbeiten Hunderttausende von Schürfern auf eigene Faust. Zu einem Hungerlohn. Trotz immensem Reichtum an Mineralien ist die Bevölkerung sehr arm. Besonders rohstoffreich sind die Ostprovinzen des Landes, Nord- und Südkivu, mit hunderten von Tantal- und Zinn-Minen. Metalle, die vor allem von der Elektronikindustrie verarbeitet werden.

In den Ostprovinzen herrscht seit über 15 Jahren Bürgerkrieg. Die Bilanz: Fünf Millionen Tote, hunderttausende Vergewaltigte. Trotz starker Präsenz der Uno-Blauhelme ist kein Ende in Sicht. Militärs und Rebellen kämpfen um die Kontrolle des lukrativen Rohstoffhandels.

In der riesigen Zinn- und Tantal-Mine Bisie zum Beispiel stehen bewaffnete Männer am Eingang. Jeder Schürfer, der die Mine betreten oder verlassen will, muss ihnen Schutzzoll bezahlen: fünf bis zehn Dollar vom ohnehin geringen Verdienst. Mit dem erpressten Geld, hunderttausende Dollar pro Jahr, kaufen die Rebellen und ehemaligen Regierungssoldaten Waffen für den Bürgerkrieg.

Über 15‘000 Menschen schuften in der Mine. Jeden Monat sterben Dutzende, weil die Konstruktion der Gruben nicht hält und einstürzt. Weil der Abstieg in die Grube äusserst beschwerlich ist, bleiben viele jeweils bis zu einer Woche unter Tage. Weil sie keine andere Wahl haben.

Viele Vertriebene

Global Witness, eine Hilfsorganisation aus London, ist spezialisiert auf Menschenrechtsverletzungen bei Konflikten um Rohstoffe. Annie Dunnebacke reist immer wieder in die kongolesischen Kriegsgebiete. Die Mehrheit der Minen werde von Bewaffneten kontrolliert, erklärt sie. «Der Bevölkerung bleibt nur eine Wahl: Der Bergbau. Auch Kinder und Jugendliche arbeiten als Schürfer, wenn ihre Eltern sie nicht mehr ernähren können». 

Lange Lieferketten

In ihrem letztjährigen Bericht beschreibt Global Witness wie der Rohstoffhandel funktioniert: Zu Fuss, per Lastwagen oder Flugzeug bringen Zwischenhändler die Metalle in die Exportstädte Goma und Bukavu. Von da werden die Roherze nach Ruanda und andere benachbarte Länder gebracht. Das Zusammenmischen der Rohstoffe verschleiert ihre Herkunft. Afrikanische Erze sind auf dem Weltmarkt begehrt, denn sie sind billig

Das meiste kongolesische Zinnerz kaufen laut Global Witness derzeit malaysische Zinnschmelzen. Der grösste Importeur von Tantal aus dem Ostkongo ist China. Unternehmen weltweit kaufen die fertigen Metalle für die Produktion elektronischer Bestandteile, welche dann die Elektronikindustrie in ihre Geräte einbaut – ohne genau zu wissen, woher die Rohstoffe ursprünglich stammen.

Die Handy-Produzenten nehmen Stellung

Zehn Jahre ist es her, seit die Uno zum ersten Mal berichtet hatte, wie der Rohstoffhandel den Bürgerkrieg mitfinanziert. Was haben die Unternehmen bis jetzt dagegen getan? «Kassensturz» hat bei den weltweit fünf grössten Handyherstellern nachgefragt.

Weltleader Nokia, neuer Europamarktführer Samsung, LG Electronics, Apple und RIM, der Hersteller von Blackberry - antworten alle ähnlich: Alle Firmen verurteilen die Menschenrechtsverstösse im Ostkongo. Sie verfügten über ausführliche ethische Standards. Diese würden ihre Zulieferer verpflichten, keine Rohstoffe aus Kriegsgebieten zu verwenden. Zudem seien sie laufend daran, die Kontrolle über die Lieferwege zu verbessern.

Sorgfaltspflicht bis zur Ursprungsquelle

Einige Elektronikfirmen wie Handy- oder Computerhersteller hätten bereits viel unternommen, anerkennt Dunnebacke. Sie hätten Prozesse in die Wege geleitet, die für eine sozialverantwortliche Herkunft von Rohstoffen sorgen sollen. Doch das alles genüge noch nicht.

Die Industrie hätte mit der sorgfältigen Wahl ihrer Rohstoffquellen die besten Möglichkeiten, um den Geldhahn für die Kriegsherren zuzudrehen. Doch keine der Firmen wende die sogenannten Sorgfaltspflicht-Massnahmen ausnahmslos an. Deshalb sagt die Kongo-Expertin: «Wir fordern die Hersteller auf, diese Standards wirklich durchgehend einzuführen und nur von sauberen Minen im Kongo Rohstoffe zu kaufen.»

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