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Shell und Migrolino dulden Hungerlöhne
Aus Kassensturz vom 21.06.2011.
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Umwelt und Verkehr Hungerlöhne bei Shell und Migrolino

Tankstellenshops sind eine Goldgrube – auch für Shell und die Migros-Tochter Migrolino. Doch ihre Angestellten kommen dabei unter die Räder: Hungerlöhne, unbezahlte Arbeitszeiten und illusorische Umsatzvorgaben. «Kassensturz» deckt haarsträubende Arbeitsbedingungen auf.

Tieflöhne im Hochpreisland Schweiz: Shell-Tankwartin J.A. verdiente bei einer 100-Prozent-Anstellung gerade mal 1400 Franken. Für diesen Hungerlohn tankte sie bei Shell in Zuchwil die Autos ihrer Kundschaft voll, füllte Motorenöl und Scheibenreiniger nach.

Der Verkaufsdruck war dabei enorm, denn ihr Arbeitsvertrag macht klare Vorgaben: Täglicher Verkauf von Motorenöl für 100 Franken, Scheibenreiniger für 50 Franken und die Abgabe von täglich 45 Trinkgeld-Karten zu zwei Franken an ihre Kunden.

Shell blufft seine Kunden

Die gelben Trinkgeld-Karten mit dem Smiley-Zeichen bitten den Kunden, an der Kasse zwei Franken zu zahlen. Ein Trinkgeld für den freundlichen Service, mag die Shell-Kundschaft glauben. In Wirklichkeit ist das «Trinkgeld» wichtiger Lohnbestandteil: Für jede Karte, die nicht an der Kasse eingelöst wurde, gabs für J.A. zwei Franken Abzug.

«An der Tankstelle in Zuchwil lief wenig», erzählt die ehemalige Shell-Tankwartin, «deshalb konnte ich den geforderten Umsatz nicht erreichen.» Das führte vergangenen September zu einem Strafabzug von 1600 Franken. Ausbezahlt wurden ihr noch 1400  Franken –  zuwenig zum Leben.

Ein Skandal für den Öl-Riesen

Für Unia-Gewerkschafter Claudio Marrari ist dieser Fall bestes Beispiel, dass es gesetzlich festgelegte Mindestlöhne braucht. «Wenn jemand für 100 Prozent Arbeit noch 1400 Franken ausbezahlt überkommt, dann wird er abgezockt», sagt Marrari. «Und wenn man bedenkt, dass hinter dem Ganzen ein internationaler Milliardenkonzern steckt, dann ist das nicht einfach nur Abzocke, sondern ein Skandal.»

Shell und Migros lagern Verantwortung aus

Über den Tankstellen prangen die Firmenlogos von Shell und Migrolino. Der Ölriese und der Detailhändler verkaufen gemeinsam ihre Geschäfts- und Vertriebskonzepte an selbständige Unternehmer, sogenannte Franchisenehmer. Franchiser der Gruppe «Shell Solothurn» ist Kemal Cifci. Er führt vier Tankstellen in Biel, Solothurn und Zuchwil mit den dazugehörenden Migrolino- und Shell-Shops.

Cifci schreibt Kassensturz: «Bei den Tankwarten besteht ein Anreizsystem, welches je nach Einsatz des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin zu zusätzlichen Lohnzahlungen oder auch zu Abzügen führen kann.»

Arbeitsrechtlich haarsträubend

Arbeitsrechtsexperte Roger Rudolph hat den Arbeitsvertrag der Shell-Tankwartin studiert und bezeichnet ihn als haarsträubend. «Ein solches Lohnsystem muss sicherstellen, dass das unternehmerische Risiko nicht auf den Arbeitnehmer überwälzt wird. Ausserdem muss der Arbeitnehmer einen  angemessenen Lohn erzielen können. Und das ist hier eindeutig nicht der Fall.

Tieflöhne auch im Tankstellen-Shop

Nicht nur an der Zapfsäule auch in den Tankstellenshops von Shell Solothurn sind die Arbeitsbedingungen lausig. Shop-Angestellte J.C. arbeitete zuerst im Migrolino-Shop, dann ein paar Monate im Shell-Shop von Kemal Cifci. Arbeit auf Abruf für einen Netto-Stundenlohn von 16 Franken 65. Sie verdiente zwischen 1500 und  2500 Franken. «Es war schrecklich. Ich habe sicher einmal im Monat geweint, weil ich wusste: So kann ich meine Rechnungen nicht zahlen»,  erzählt J.C.

Gratisarbeit für Shell und Migrolino

Vor Schichtbeginn und nach Schichtende leistete J.C. stundenlang  Gratisarbeit: Auffüllen der Regale, Brot backen, Shop Putzen, Kasse abrechnen. «Dafür war eine Viertelstunde vor Schichtbeginn und eine Viertelstunde nach Schichtbeginn vorgesehen. Aber diese Zeit reichte nie. Ich war nach Ladenschluss immer viel länger mit Aufräumen und Nachfüllen und Abrechnen beschäftigt», sagt die Shopangestellte. Für Arbeitsrechtler Roger Rudolph ist klar: Geleistete Arbeitszeit muss bezahlt werden, wenn nichts anderes im Vertrag abgemacht ist.

Arbeit ohne Pause

Unhaltbar waren die Arbeitsbedingungen der Shop-Angestellten auch in weiteren Punkten: Arbeitete J.C. alleine im Laden, konnte sie keine Pause machen. Das ist illegal, denn der Pausenanspruch ist zwingend im Arbeitgesetz geregelt. Stimmte die Kasse nicht, durfte der Arbeitgeber laut Vertrag, die Differenz vom Lohn abzuziehen. «Auch das geht nicht», sagt Arbeitsrechtler Roger Rudolph. Nacht- und Sonntagsarbeit ist an im mickerigen Stundenlohn inbegriffen.

«Auch das ist unzulässig», kommt Rudolf zum Schluss: «Der Vertrag verletzt verschiedene zwingende arbeitsrechtliche Bestimmungen.» Kemal Cifce schreibt Kassensturz: «Die Entlöhnung unserer Angestellten entspricht den Empfehlungen eines von uns beigezogenen Arbeitsrechtsspezialisten und den mit jedem Mitarbeiter getroffenen Abmachungen.»

Keine Nacht- und Sonntagszulage

Shell macht einen Milliardenumsatz in der Schweiz. Doch bei arbeitsrechtlichen Verstössen ist der Konzern durch das Franchisingsystem nicht in der Verantwortung. Shell schreibt Kassensturz: «Shell Switzerland AG hat kein Recht, direkt in die Führung eigenständiger Unternehmen einzugreifen. Erhalten wir Kenntnis von der Nichteinhaltung von rechtlichen Vorschriften seitens unserer Tankstellen-Vertragspartner, leiten wir diejenigen Schritte ein, welche uns rechtlich offenstehen.»

Migros-Mediensprecher Urs Peter Naef sagt, die Verletzung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen seien inakzeptabel.  Doch: «In diesem Fall haben wir eine Partnerschaft mit Shell. Und Shell hat einen Vertrag mit dem Shop-Betreiber. Deshalb ist es Sache von Shell, durchzusetzen, dass das Arbeitsgesetz eingehalten wird. Wir können nur im Gespräch mit Shell dafür sorgen, dass dies auch wirklich durchgesetzt wird.»

Shell muss eingreifen

Unia-Gewerkschafter Claudio Marrari: «Auch wenn der Franchisenehmer gerade stehen muss,  entbindet dies Shell Schweiz überhaupt nicht der Verantwortung. Es muss doch den Konzern interessieren, was der Franchisenehmer mit seinem Namen macht. Und wenn Angestellte über den Tisch gezogen werden, dann muss der Konzern eingreifen.»

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