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Der Streit um die Farbe von tiergerechtem Kalbfleisch
Aus Kassensturz vom 27.08.2013.
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Umwelt und Verkehr Tiergerechtes Kalbfleisch: Der endlose Streit um die Farbe

Ab nächster Woche müssen Kälber tiergerecht gefüttert werden. Die Folge: Kalbfleisch wird in Zukunft eine rötlichere Farbe aufweisen. «Kassensturz» deckt auf: Nicht alle in der Fleischbranche wollen auf helles Fleisch verzichten. Ihnen ist der Profit wichtiger als das Tierwohl.

Die Fleischbranche war zum Handeln gezwungen. Am 1.September tritt die neue Tierschutzverordnung in Kraft. Bauern müssen ihre Tiere neu mit genügend Eisen füttern. Das heisst: Kalbfleisch bekommt dadurch eine dunklere Farbe, es wird rosa bis rötlich.

Ausgerechnet für artgerechtes, dunkles Fleisch bestraften die Metzger die Bauern aber bisher mit sogenannten Farbabzügen für rotes Fleisch. Nun verkündete die Branchenorganisation Proviande eine Einigung im Streit um die Kalbfleischfarbe.

Messung neu digital

Farbmessgerät.
Legende: Das Fleisch-Farbmessgerät. SRF

Künftig verwenden die Schlachthöfe demnach ein Farbmessgerät, um die Fleischfarbe zu bestimmen. Ein grosser Fortschritt. Bisher bestimmten Mitarbeiter im Schlachthof die Fleischfarbe von Auge. Die elektronische Messung schafft Transparenz - einen objektiven Farbwert für jedes Kalb. Ein tiefer Wert bedeutet rot, ein hoher Wert bedeutet Weiss.

Bauern erhalten neu Abzüge auch für weisses Fleisch, das eindeutig nicht tiergerecht gefüttert wurde. Bisher fütterten viele Mäster ihre Kälber nur mit Milch und Stroh, damit die Tiere weisses Fleisch erhalten. Dafür bekamen sie am meisten Geld.

Weiss wurden die Kälber aber nur, weil sie zu wenig Eisen im Futter hatten. Die Kälber waren mangelernährt und litten häufig an schmerzhaften Magengeschwüren. Das ist nun verboten und wird neu auch bestraft.

kalb
Legende: Kalb frisst Kraftfutter. SRF

Auch für rotes Fleisch gibt es nach wie vor Farbabzüge. Für weiss, rosa und Rot gibt es neu objektive Grenzwerte. «Wir wollen einen Unterschied zwischen Kalbfleisch und Rindfleisch», sagt dazu Peter Christen von Proviande.

Coop und Migros machen mit

Doch wann ist Kalbfleisch zu Rot? Proviande sagt, die Branche habe sich auf einen Farbwert von 39 geeinigt. Doch dieser Grenzwert ist höchst umstritten. Das zeigen «Kassensturz»-Recherchen bei den Fleischverarbeitern.

Hinter den Grenzwert 39 stellen sich zwar die grössten Fleischverarbeiter: Coop und deren Tochter Bell sowie Migros und deren Tochter Micarna. Dazu kommt die Firma FF Frischfleisch aus Sursee.

Andere Fleischproduzenten stellen sich quer

Doch mehrere Betriebe zögern: Der drittgrösste Fleischverarbeiter, die Fenaco-Tochter Ernst Sutter, wartet wie mehrere andere Firmen ab, was ihr Dachverband SFF empfiehlt. Andere Firmen wiederum stellen sich offen gegen die Branchenlösung.

Dazu gehört die Firma Lucarna-Macana mit ihrem Schlachthof im zürcherischen Hinwil. Heiner Birrer ist Miteigentümer des Schlachthofs und Verwaltungsrat von Proviande.

Trotzdem stellt er sich gegen die eigene Branchenorganisation: «Wir wollen helleres Kalbfleisch als Proviande, damit es sich farblich und geschmacklich vom Rindfleisch unterscheidet.» Es gebe Rindfleisch, das relativ hell sei und sich farblich nicht von Kalbfleisch unterscheide.

Kalbfleisch soll nicht wie Rindfleisch aussehen

Fleisch
Legende: Weisses, rosa und rotes Fleisch. SRF

«Wenn ich das jemandem verkaufen will, sagt er, das ist Rindfleisch, ich zahle dir 30% bis 40% weniger dafür», so Heiner Birrer. Ihm geht es ums Geschäft. Konsumenten würden das dunkle Kalbfleisch in der Theke liegen lassen. Heiner Birrer will helleres Fleisch: Heller, das bedeutet einen höheren Grenzwert für rotes Fleisch: 42. Und nicht 39, wie Proviande vorschlägt.

Ein kleiner Unterschied mit gravierenden Folgen - für das Tierwohl. Dieser Wert sei für die Tiergesundheit nicht tragbar, sagt die Tierärztin Corinne Bähler. «Die meisten von diesen Tieren leiden an einem Eisenmangel.»

Bauern konnten sich 5 Jahre vorbereiten

Corinne Bähler hat letztes Jahr die Fleischfarbe von 500 tiergerecht gefütterten Kälbern untersucht. Zwei Drittel der Kälber lagen über dem Wert 42. Für Heiner Birrer aber wären alle diese Tiere zu rot.

Der Wert 42 wäre zudem eine finanzielle Katastrophe für Bauern, die artgerecht füttern, sagt Jörg Oberle. Oberle ist Präsident der IG Kalbfleisch. Seit fünf Jahren wissen die Bauern, dass das Gesetz ändert und dass sie die Fütterung umstellen müssen.

Oberle hat deshalb die Fütterung umgestellt. Neben Stroh und Milch fressen seine Kälber nun neu ein eisenhaltiges Raufutter und haben immer Wasser zur freien Verfügung «Man stellt alles zur freien Verfügung, damit die Kälber wählen können. Das wäre das Optimum», sagt Oberle.

Der Streit um den Grenzwert

Bei einem Wert von 42 ist dies aber nicht möglich. Ihm liegt eine aktuelle Abrechnung des Schlachthofs Hinwil vor. Unter der Branchenlösung mit Grenzwert 39 wären sieben Kälber zu Rot und bekämen Abzüge.

Umfrage: Farbe egal

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Eine Umfrage zeigt: Über der Hälfte der Konsumenten achten beim Kauf von Kalbfleisch nicht auf die Farbe. Zum Artikel

Würde der Grenzwert 42 von Heiner Birrer angewendet, wären es 60 von 100 Kälbern - eine untragbare finanzielle Einbusse. «Der Bauer würde massiv unter Druck kommen. Er könnte das neue Tierschutzgesetz nicht anwenden. Er müsste verzichten auf die Zugabe von Raufutter», sagt Jörg Oberle.

Umfrage: Nur 4 Prozent bestellen weisses Fleisch

Kälber müssten also weiter für helleres Fleisch leiden. Dabei zeigt eine repräsentative Umfrage, die «Kassensturz» in Auftrag gegeben hat: Mehr als der Hälfte der Konsumenten ist die Farbe des Kalbfleisches egal.

Und auch rotes Kalbfleisch würde sich verkaufen. Jeder Sechste Kalbfleisch-Esser sucht im Regal danach. Nur 4 Prozent hingegen sagen, dass sie helles möglichst weisses Fleisch bevorzugen.

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Studiogespräch mit Peter Christen von Proviande
Aus Kassensturz vom 27.08.2013.
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Kälber leiden für weisses Fleisch

Dass die Fleischbranche das quälerische weisse Fleisch behalten will, darüber berichtete «Kassensturz» schon im September 2012.

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Tierquälerei für weisses Kalbfleisch
Aus Kassensturz vom 25.09.2012.
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