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Umstrittenes Glyphosat: Bund belohnt Spritzen mit Subventionen
Aus Kassensturz vom 08.03.2016.
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Umwelt und Verkehr Umstrittenes Glyphosat: Bund belohnt Spritzen mit Subventionen

Rund die Hälfte der Schweizer Bauern spritzen Glyphosat, den meistgebrauchten Unkrautvernichter. Das Herbizid ist hoch umstritten, gemäss WHO wahrscheinlich sogar krebserregend. «Kassensturz» zeigt: Die Schweizer Behörden missachten Warnsignale und fördern Glyphosat sogar indirekt mit Subventionen.

Der Widerstand gegen das Herbezid Glyphosat wächst. Heute hätte die EU das umstrittene Spritzmittel verlängern wollen. Doch hinter den Kulissen rumort es. Offensichtlich sprechen sich Frankreich, Italien, Schweden und Holland gegen das Spritzmittel aus. Der Entscheid wird auch in der Schweiz beachtet werden.

Jeder zweite Schweizer Bauer spritzt Glyphosat

Jeder zweite Bauer spritzt GlyphosatSchweizer Bauern versprühten 2014 266'700 Kilogramm, mehr als von jedem anderen Unkrautvertilger. Glyphosat ist heute das Mittel der Wahl, ist Standard. Jeder zweite Bauer setzt es ein, schätzen Fachleute.

«Im Moment ist es undenkbar, dass wir das Mittel nicht mehr zur Verfügung hätten», sagt Bauer Fritz Trachsel im «Kassensturz». Er führt einen 47 Hektaren grossen Betrieb im luzernischen Zell. 30 Hektaren davon sind Ackerland, auf 10 Hektaren wird er dieses Jahr das Totalherbizid mit dem Wirkstoff Glyphosat einsetzen.

Sein Land ist hügelig, die Erde locker und sandig, es besteht Erosionsgefahr. Er pflügt die Erde nicht um, weil Wind und Regen die leichte Erde forttragen könnten. Stattdessen sät er direkt in das bestehende Feld ein. Damit diese sogenannte Direktsaat funktioniert und er nicht pflügen muss, spritzt er die alte Pflanzendecke, eine Wiese, mit Glyphosat. So sterben die Grashalme ab.

Zweifelhafte Anreize mit Subventionen

Dieses Direktsaat-Verfahren gilt als bodenschonend. Der Bund fördert es gar mit 250 Franken pro Hektare trotz Chemie-Einsatz. So subventioniert der Bund indirekt den Einsatz von Glyphosat, ein Stoff, der höchst umstritten ist: Die WHO stufte das Pestizid letztes Jahr als «wahrscheinlich krebserregend» ein.

Eine verfehlte Subventionspolitik? Eva Reinhard, Vize-Direktorin des Bundesamtes für Landwirtschaft, räumt im «Kassensturz» selbstkritisch ein: «Wenn wir hier falsche Anreize setzen, dann müssen wir die überdenken. Unser Ziel ist es, dass so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig gebraucht wird, von allen Pflanzenschutzmitteln, nicht nur von Glyphosat.»

Risikobewertung basiert auf Studien der Agrarchemie

Doch was die Gefahr von Glyphosat betrifft, wiegelt sie ab: Die WHO habe zwar sehr offen und transparent dargestellt, wie sie zur Glyphosat-Bewertung «wahrscheinlich krebserregend» gekommen sei. Doch die gleiche Gruppe habe auch schon andere Sachen angeschaut und sei beispielsweise zum Schluss gekommen, dass Alkohol ganz sicher krebserregend sei.

Noch unproblematischer stufte das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung BfR Glyphosat ein. Die erneute Zulassung der EU stützt sich auf die Einschätzung dieser Behörde. Doch was ist diese Risikobewertung wert? Im Bewertungsbericht des BfR steht, man habe sich eng an die Vorlage der Industrie gehalten. Es gäbe viel zu viele toxikologische Studien, die man nicht alle selber lesen und bewerten könne. Stattdessen übernahm die deutsche Sicherheitsbehörde die Risikoeinschätzung zum Teil wortwörtlich von der Glyphosat-Taskforce der Agrarchemie.

Beistoffe nicht untersucht

Was weiter erstaunt: Die EU hat nur den Wirkstoff Glyphosat angeschaut, nicht aber die Beistoffe, die auch noch im Pestizid drin sind und beispielsweise für die Wirkstoff-Aufnahme in der Pflanze verantwortlich sind. Beistoffe, die die Hersteller nicht öffentlich deklarieren. Der renommierte Wissenschaftler Gilles-Eric Seralini von der französischen Universität Caen hat einige analysiert und ist auf Stoffe gestossen, die ein x-faches giftiger sind als der eigentliche Wirkstoff Glyphosat. Solche, die schon bei geringen Dosen hormonelle Wirkung hätten und zu Brustkrebs und anderen Krankheiten führen könnten.

Auch hier räumt Eva Reinhard vom Bundesamt für Landwirtschaft noch Forschungsbedarf ein. «Ja, diese Meldungen schrecken uns auch auf. Deshalb sitzen wir zusammen und müssen risikobasiert vorgehen. Wir haben jetzt eine Arbeitsgruppe Beistoffe gebildet. Wir erwarten in wenigen Monaten Resultate.»

So geht es ohne Glyphosat

Dass es ohne oder mit viel weniger Glyphosat in der Landwirtschaft geht, auch in der konventionellen, zeigt Andreas Chervet vom Berner Amt für Landwirtschaft und Natur. Chervet sucht seit Jahren nach Alternativen, untersucht Methoden, wie konventionelle Bauern auch ohne Glyphosat dem Unkraut Herr werden. «Der Boden muss immer gut abgedeckt sein.» Das seine wichtigste Erkenntnis.

Chervet arbeitet viel mit Gründüngungen, Pflanzenmischungen, die den Boden über den Winter vollständig bedecken und dem Unkraut keine Chance zum Aufkommen lassen. Andreas Chervet: «Man muss über die gute landwirtschaftliche Praxis hinaus denken und neue Überlegungen machen, ausprobieren. Dann geht es.»

«Billig und narrensicher»

Warum trotzdem so viele Bauern noch Glyphosat einsetzen? Nicht nur Bauern, die direkt säen, auch normale Ackerbauern, die pflügen. «Der Glyphosateinsatz ist einfach, billig und narrensicher», sagt Andreas Chervet. Bauern ständen oft unter finanziellem Druck und müssten kostengünstig wirtschaften. Alternativen zur Chemie seien zeitaufwändiger und kostspieliger.

Auch Bauer Trachsel sucht nach Alternativen. Die Fahrten mit der Spritze machen ihn auch nachdenklich. Doch im Moment hat er für seinen Betrieb noch keine andere Lösung. Dass die Spritzerei eine Gefahr für die Gesundheit sein könne, ist ihm bewusst. Er als Bauer ist davon ganz direkt betroffen. Ein gross angelegtes amerikanisches Forschungsprogramm kommt zum Schluss: Bauern haben ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken.

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