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Autocrash in der Familie: Versicherung zahlt nicht
Aus Espresso vom 02.07.2015. Bild: Colourbox
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Versicherungen Autocrash in der Familie: Versicherung zahlt nicht

Fährt eine Mutter ins Auto des erwachsenen Sohnes, ist dieser Schaden bei den meisten Schweizer Versicherern nicht gedeckt. Obwohl Schäden an Motorfahrzeugen sehr schnell teuer werden, drücken sich die Versicherungen mit einer Verwandten-Klausel ums Zahlen. Nur die Vaudoise ist kundenfreundlich.

Sylvia Suter aus dem Kanton Luzern wird den 28. Mai wohl nie mehr vergessen: An diesem Tag fährt sie ihren 27-jährigen Sohn zum Autohändler, damit er sein neues Auto abholen kann. Im Autobahntunnel auf der Rückfahrt passiert es: Die Mutter ist eine Sekunde unaufmerksam und bemerkt nicht, dass die Autos vor ihr scharf abbremsen. Sie knallt mit voller Wucht in den vorderen Wagen – ausgerechnet ins neue Auto des Sohnes.

Zürich Versicherung zahlt nicht

Zum Glück ist Mutter und Sohn nichts Schlimmes passiert. Doch die beiden Autos sind schwer beschädigt. Noch auf der Unfallstelle ruft Suter deshalb ihre Autohaftpflichtversicherung an, um den Schaden zu melden. Als sie der Zürich Versicherung den Fall schildert und dabei erwähnt, das beschädigte Auto gehöre ihrem Sohn, ist der Fall für die Zürich schnell klar: Der Schaden wird nicht übernommen. Dies, obwohl Sohn Marcel schon längst einen eigenen Haushalt führt und nicht mehr bei den Eltern wohnt. Wäre Sylvia Suter ins Auto einer wildfremden Person gekracht, würde ihre Haftpflicht hingegen klaglos bezahlen.

20 Jahre bezahlt – «und jetzt im Stich gelassen»

Sylvia Suter versteht die Welt nicht mehr. Seit 20 Jahren hat sie mehrere Versicherungen bei der Zürich, nicht nur die Motorfahrzeughaftpflicht. Sie zahlt ihre Prämien pünktlich und hatte nie einen Schaden. «Und jetzt, wo mal etwas ist, lässt mich die Zürich Versicherung hängen!» Dies wegen einer Ausschluss-Klausel für nahe Verwandte in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen.

Die Zürich Versicherung will zu den konkreten Fragen des Konsumentenmagazins «Espresso» von Radio SRF 1 nicht Stellung nehmen und schreibt in einer generellen Stellungnahme: «Es ist bei der Autohaftpflichtversicherung seit vielen Jahren branchenübliche Praxis, dass Ansprüche aus Sachschäden zwischen Eltern und Kindern nicht gedeckt sind.»

Nur Vaudoise ist kundenfreundlich

Tatsächlich bestätigen auch Mobiliar, Baloise, Allianz Suisse, Helvetia, Axa Winterthur und Generali diese Verwandten-Klausel. Von den sieben Versicherungen, die «Espresso» angefragt hat, macht einzig die Vaudoise keine solchen Ausschlüsse in der Autohaftpflicht. Als Begründung für die Klausel verweisen die Unternehmen lapidar auf das Strassenverkehrsgesetz. Im Artikel 63.3 StVG ist festgehalten, dass Versicherer diesen Ausschluss machen können – aber natürlich nicht müssen.

«Ein alter Zopf»

Für Versicherungsexperte Stefan Thurnherr vom Vermögenszentrum VZ ist dieser mehr als 80-jährige Gesetzesartikel ein alter Zopf: «Ich kann mir vorstellen, dass dieser Passus irgendwann ins Gesetz rutschte und für die Versicherungen natürlich sehr bequem ist. Offensichtlich hat sich noch keine Konsumentenschutzorganisation dafür stark gemacht, dass diese Klausel verschwindet.»

Unentdeckte Versicherungslücke

Schäden können an Motorfahrzeugen schnell sehr teuer werden. Bei nahen Verwandten besteht durchaus immer wieder die Möglichkeit, dass sie sich auf der Strasse begegnen. Deshalb ist Stefan Thurnherr vom VZ überzeugt: «Das ist eine unentdeckte Lücke in der Haftpflichtversicherung, die in diesem Fall wirklich ein grosses Ausmass annimmt.»

Statt Geld gibt’s Blumen

7000 Franken kostet allein der Schaden am Auto des Sohnes. Und obwohl der Unfall Kundin Sylvia Suter in finanzielle Schwierigkeiten bringt, will die Zürich Versicherung auch nicht aus Kulanz einspringen. Sie schreibt: «Da es sich bei Frau Suter um eine langjährige Kundin handelt, die Pech gehabt hat, haben wir sie persönlich angerufen, und ihr als kleine Geste einen Blumenstrauss zukommen lassen.»

Versicherungsverband sieht keinen Handlungsbedarf

Während sich die Stiftung für Konsumentenschutz SKS an solch kundenunfreundlichen Regelungen schon länger stösst, sieht der Schweizerische Versicherungsverband SVV keinen Handlungsbedarf. Die Regelung sei «sachgerecht». Auch eine Versicherungslücke sieht der SVV nicht: Man müsse halt eine Vollkaskoversicherung abschliessen, um finanzielle Risiken zu vermeiden. Den umstrittenen Artikel aus dem Strassenverkehrsgesetz kippen könnte nur das Parlament.

«Suchen Sie das persönliche Gespräch»

Immerhin: Eine Versicherung gibt inoffiziell zu Protokoll, dass man die Verwandten-Klausel überdenke. Der Grund: Man habe immer wieder Beschwerden von Betroffenen erhalten. Der Versicherungsexperte Stefan Thurnherr rät Betroffenen, in so einem Fall sofort das persönliche Gespräch mit seinem Versicherungsberater zu suchen und zu versuchen, doch noch eine gütliche Lösung zu finden.

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