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Datenschnüffler: So werden Mieter ausspioniert
Aus Kassensturz vom 13.05.2008.
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Wohnen Datenschnüffler: So werden Mieter ausspioniert

Eine Firma schnüffelt in der Privatsphäre der Mieter und verkauft die Daten an Hausverwalter und Immobilienfirmen. Wohnungswechsel, Nachbarn, Wohnungspartner samt ihrer finanziellen Situation – per Mausklick bekommen Vermieter alle Infos. «Kassensturz» zeigt haarsträubende Beispiele.

Simon Geiser studiert Geschichte an der Berner Uni. Seit zwei Jahren wohnt er im alten Direktorenhaus im Felsenauquartier. Er wohnt mit neun Freunden zusammen. Simon Geiser ist überzeugt, ein guter Mieter zu sein: «Ich habe meine Rechnungen und die Miete immer bezahlt und hatte noch nie Probleme mit einem Nachbarn.»

Zugang zu Millionen von Daten

Simon Geiser konnte nicht ahnen: Ein Mieter-Check der Firma Deltavista stempelt ihn mit einer roten Ampel als schlechten Mieter ab. Der Mieter-Check von Deltavista ist eine Online-Datenbank für Vermieter. Wer sich als Vermieter ausgibt, bekommt von Deltavista ganz leicht einen Zugang zu Millionen von Daten über Privatpersonen.

Das ist dem Mieterverband ein Dorn im Auge, denn der Mieter-Check übers Internet vermischt persönliche und allgemeine Daten. Diese beeinflussen die Gesamtnote.

 Eine Wohnadresse in einem schlechten Quartier führt zur Abwertung. Das ist diskriminierend, sagt Niklaus Scherr vom Zürcher Mieterverband und reichte Beschwerde beim Datenschützer ein.

Simon Geiser wird für etwas bestraft, worauf er gar keinen Einfluss hatte: Ein junger Mann, der vor acht Jahren an der selben Adresse wohnte, ging Konkurs. Und das mache Simon Geiser zum untragbaren Mieter, urteilt der Mieter-Check.

Auch Prominente abgestempelt

Der Mieter-Check stempelt viele ab, zum Beispiel Schauspieler Mike Müller. Seine Bewertung: Nur gelb, die Zahlungsmoral in seinem Umfeld sei nicht die beste. Oder Musiker Udo Jürgens: Auch gelb, weil noch weitere Familienmitglieder bei ihm wohnen würden. Aufgepasst auch bei Alt-Bundesrat Christoph Blocher: Der Mieter-Check nennt Firmenbeziehungen mit negativen Daten als Abwertungsgrund.

Der Firmensitz von Deltavista liegt in Küsnacht an der Zürcher Goldküste. Die Firma bietet Vermietern und Immobilienverwaltungen eine immense Datensammlung. Nahezu alle Privatpersonen in der Schweiz seien hier gespeichert, sagt Deltavista. Deltavista kombiniert nach eigenen Aussagen Daten aus über 100 Quellen, von der Post, aus Handelsamtsblättern und von Inkassofirmen, ohne die Betroffenen zu informieren. Das sei legal, behauptet Deltavista.

Untersuchung gegen Deltavista

Der eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür widerspricht. Er führt eine Untersuchung gegen Deltavista. Denn das neue Datenschutz-Gesetz nimmt Datenschnüffler endlich in die Pflicht: «Datensammler müssen die Betroffenen zu informieren.» Machen sie das nicht, sei das ein Verstoss gegen das Datenschutzgesetz, stellt Thür klar.

Auch Catherine Weber ist eine Mieterin mit weisser Weste: Sie habe immer alle Rechnungen bezahlt, nie einen Kleinkredit aufgenommen und keine Schulden. Trotzdem ist das Verdikt des Mieter-Checks gelb. Die Bonität eines Familienmitglieds sei fragwürdig. «Wenn ein Familienangehöriger eine Betreibung hatte oder eben Schulden hat und sich das auf das Rating der Geschwister und Angehörigen auswirkt, ist das wirklich haarsträubend», ärgert sich Weber.

Sie wollte von Deltavista genau wissen, welche Daten über sie gespeichert sind. Und was Deltavista daraus ableitet. Die Antwort von Deltavista ist lausig: Zu Ihrer Person seien keine negativen Bonitätsdaten bekannt. Deltavista verschweigt die Abwertung für die Gesamtbeurteilung.

Es bleibt meistens unklar, aus welchen Quellen die Informationen im Mieter-Check stammen und wie die einzelnen Kriterien gewichtet werden. Am Schluss stehen ein pseudo-wissenschaftliches Rating und eine Ampel.

Kriterium Sippenzughörigkeit

Mit ihrem Datenmix verstösst Deltavista ein weiteres Mal gegen das Datenschutzgesetz. Datenschützer Thür: «Es müssen Kriterien herbeigezogen werden, die wirklich eine Aussage zur Kreditwürdigkeit dieser Person erlauben. Wenn Kriterien wie Sippenzughörigkeit eine Rolle spielen, dann muss ich ganz klar sagen, das erfüllt die Anforderung nicht.»

Deltavista rechtfertigt sich: «Unser statistisches Verfahren ist frei von diskriminierenden Vorurteilen und deshalb genauer als die von Vermieterseite angewendeten Methoden.» Und wie steht die Deltavista Geschäftsleitung da? Mitglied Harald Huber, Finanz-Chef René Felder und Präsident Thomas Stämpfli: sie alle sind gelb. Begründung: Firmenbeziehungen mit negativen Daten. Darunter auch die Deltavista Holding.

Vor die Kamera wollten die Verantwortlichen von Deltavista nicht stehen. Sie schreiben «Kassensturz», dass sie dem eidgenössischen Datenschützer widersprechen und sich an das Datenschutzgesetz halten würden.

Musterbrief Auskunftsbegehren

Tipp: Wer selbst wissen will, ob und welche Informationen die Firma Deltavista über die eigene Person sammelt, kann einen Musterbrief des eidgenössischen Datenschützers herunterladen (siehe Box «Mehr zum Thema») und das ausgefüllte Formular schicken an: Deltavista AG, Gustav-Siber-Weg 4, 8700 Küsnacht.

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