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Schlüsseldienst-Gauner: Deutsche Bande nimmt Schweizer Kunden aus
Aus Kassensturz vom 03.03.2015.
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Wohnen Schlüsseldienst: Deutsche Bande nimmt Schweizer Kunden aus

Ein Netzwerk mobiler deutscher Schlüsseldienste zockt Schweizer Kunden ab. «Kassensturz» liegen mehrere Fälle von überrissenen Rechnungen und unnötig ausgeführten Arbeiten vor. Eine zentrale Rolle spielen die Briefkastenfirma «M.S Dienstleistungen» in Alpnach und ihr Geschäftsführer Michael Seibel.

Fritz Vetter aus Pratteln erhielt von einem Schlüssel-Notdienst eine horrende Rechnung: Für einen simplen Austauschzylinder aus dem Baumarkt verrechnete der Monteur 270 Franken, insgesamt verlangte er 712.80 Franken. Fritz Vetter meint: «Das ist nach meiner Meinung total übertrieben!»

Achtung, Falle: www.not24.ch

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«Kassensturz» deckt auf: Egal, für welche Ortschaft ein Kunde einen Schlüsseldienst im Internet sucht, als erstes Suchresultat erscheint die Seite www.not24.ch und bewirbt unzählige lokale Schlüsseldienste. Doch das sind keine lokalen Betriebe. Hinter der 0800er-Nummer steckt ein Callcenter einer deutschen Firma, die mobile Handwerker vermittelt.

Was war passiert? Fritz Vetters Tür stand zwar offen, doch das Schloss war blockiert. Er suchte im Internet nach einem Schlüsseldienst aus der Region. Rasch wurde er fündig: Ein Schüsseldienst Pratteln mit kundenfreundlicher 0800er-Nummer bot seine Dienste an. Service-Mann Michael versprach: In 20 bis 40 Minuten sei ein Fachmann vor Ort. Fritz Vetter glaubte, einen lokalen Schlüsseldienst aufgeboten zu haben. Er sagt: «Auf der Internetseite unter dieser 0800er-Nummer steht Schlüsseldienst Pratteln, und da bin ich der Meinung gewesen, der kann nicht weit weg sein.»

Eine Stunde Anfahrt für «lokalen» Handwerker

Seltsam war: Der Monteur brauchte mehr als eine Stunde für die Anfahrt und hatte eine deutsche Autonummer. 20 Minuten später war die Arbeit erledigt. Ehefrau Stefanie Vetter war allein zu Hause. Erst jetzt nannte der Mann den überrissenen Betrag von 712 Franken und drängte auf Barzahlung.

Stefanie Vetter berichtet: «Ich habe gesagt, so viel Geld hab ich nicht Zuhause. Der Monteur erwiderte, ich könne das Geld ja bei den Nachbarn holen. Darauf schlug er vor, mich zur Bank zu führen. Er meinte, Sie haben ja eine Bankkarte.» Stefanie Vetter bezahlte schliesslich 550 Franken, alles was sie zu Hause hatte.

«Kassensturz» kennt weitere Fälle der Schlüsseldienst-Abzocke: 850 Franken für den Wechsel eines Schlosses oder fast 1000 Franken für eine simple Türöffnung.

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Walter K. Distel vom regionalen Schlüsseldienst Oppliger kritisiert an den Rechnungen die überrissenen Stundenansätze, undurchsichtige Pauschalen und unnötige Arbeiten. Walter K. Distels Schlüsselservice hätte vom Ehepaar Vetter für die Reparatur des blockierten Schlosses deutlich weniger verlangt: 1,5 Stunden Arbeit mit Expresszuschlag, Fahrzeugpauschale und Wegpauschale zum Gesamtpreis von 275 Franken. Der deutsche Schlüsseldienst hat mehr als doppelt so viel verlangt.

Walter K. Distel fügt hinzu: «Beim Ehepaar Vetter hätte ich kostenlos einen Leihzylinder gegeben. Es war völlig unnötig, den alten Zylinder zu zerstören und einen neuen einzusetzen!»

So funktioniert die Abzock-Masche

«Kassensturz»-Recherchen zeigen, wie die Masche funktioniert: Egal, für welche Ortschaft ein Kunde einen Schlüsseldienst im Internet sucht, als erstes Suchresultat erscheint die Homepage www.not24.ch. Diese bewirbt viele lokale Schlüsseldienste. Doch die Aufmachung täuscht, denn das sind keine lokalen Betriebe. Hinter der 0800er-Nummer steckt ein Callcenter einer deutschen Firma, die mobile Handwerker vermittelt.

Es besteht ein undurchsichtiges Geflecht aus einer englischen Tarn-Adresse und der Briefkastenfirma M.S. Dienstleistung in Alpnach. Auf der Homepage wird ein Slava Zytlenok als Geschäftsführer genannt, im Handelsregister steht als Geschäftsführer von M. S. Dienstleistungen ein Michael Seibel, der Michael von der Homepage.

«Kassensturz» will wissen, wie der Schlüsseldienst-Nepp funktioniert und zieht Walter K. Distel als Experten bei. In der Wohnung von Ehepaar Vetter wartet er im Nebenzimmer.

Fritz Vetter spielt den Lockvogel. Er meldet bei der 0800er-Nummer erneut einen Notfall. Und wieder verspricht der Call-Agent, es dauere bloss zwanzig Minuten. Walter K. Distel präpariert die Türe so, dass sie ein seriöser Schlüsseldienst innert kürzester Zeit öffnen kann.

Der Schlüsseldienst tappt in die Falle

Nach geschlagenen 70 Minuten trifft der Monteur mit deutschem Auto-Kennzeichen ein und behauptet sofort, er müsse den Zylinder auffräsen. Der Monteur stellt sich als Slava Zytlenok vor, der angebliche Geschäftsführer von der Homepage.

Experte Walter K. Distel widerspricht. Ein Fachmann öffne diese Tür innert fünf Minuten, ohne den Zylinder zu zerstören. Wenn er ausbohre, dann verdiene er doppelt: für seine Arbeit und fürs Material.

Nach 15 Minuten hat der deutsche Monteur die Tür geöffnet und einen neuen Zylinder eingebaut. Der «Kassensturz»-Reporter schreitet ein. Monteur Zytlenok rechtfertigt sich dafür, dass er den Zylinder ausgefräst hat. Er sei lediglich Angestellter der Firma M.S. Dienstleistungen und führe das aus, was ihm sein Vorarbeiter sage.

Fantasie-Gebühren auf der Rechnung

Auf seinem Arbeitsrapport zählt er die einzelnen Posten zusammen: Eine Pauschale pro Viertelstunde Arbeitszeit, eine allgemeine Betriebspauschale, eine Fräser-Einsatzgebühr und der Preis des Zylinders: Insgesamt happige 420.- Franken! «Kassensturz» weiss: Dieser Zylinder kostet beim Hersteller 40 Franken: Billige Importware. Monteur Zytlenok verlangte dafür 140 Franken. Er zieht ab, den teuren Zylinder und sein Arbeitsprotokoll nimmt er mit. «Kassensturz» beharrt auf einer fairen Rechnung. Die werde geschickt, sagt der Monteur. Bis heute ist sie nicht eingetroffen.

Das sagt die Firma zu den Vorwürfen

Hinter der Firma M.S. Dienstleistungen in Alpnach stehen zwei Geschäftsführer: Christoph Rey und Michael Seibel. Christoph Rey schreibt «Kassensturz», er habe mit dem operativen Geschäft überhaupt nichts zu tun. Er distanziere sich von jeglicher Abzocke, und in der Zwischenzeit sei er von seinem Geschäftsleitungsmandat zurückgetreten. Michael Seibel schreibt «Kassensturz» zu den überrissenen Preisen, seine Firma sei noch nicht lange auf dem Schweizer Markt und müsse das richtige Preisniveau noch finden. Man sei sich aber bewusst, dass einige Geschäftspraktiken falsch waren. In Zukunft werde man die Aufträge an lokale Schlüsseldienste vermitteln, die dann nach den eigenen Massstäben abrechnen. Und zum Vorwurf der Täuschung sagt er: Es sei allgemein bekannt, dass eine 0800er-Nummer nicht zwingend zu einem lokalen Betrieb gehöre.

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