Der Touring-Club der Schweiz (TCS) will vom Boden in die Luft: Jahrzehntelang hatte der TCS eng mit der Rega zusammengearbeitet. Das ist nun nicht mehr der Fall. Seit 2011 organisiert er Rückführungen aus dem Ausland selber und will eine eigene Ambulanzflotte aufbauen. Den Inhabern des ETI-Schutzbriefes verspricht der TCS neu eine «umfassende und professionelle Betreuung aus einer Hand».
«Kassensturz»-Rechechen zeigen, dass Betroffene und Experten an der Kompetenz der neuen Organisation zweifeln. Der TCS versuchte in den letzten Wochen vehement, die Berichterstattung über diese Fälle zu verhindern.
Fall 1: Unfall in Süditalien
Es geschieht am Karfreitag, Morgens um 6 Uhr, südlich von Rom, bei Frosinone. Auf der Autobahn kollidieren Vincenzo Vigliotti und sein Bruder mit einem Lastwagen. Ihr Auto ist schrottreif. Die beiden Männer kommen mit schweren Verletzungen ins Spital von Frosinone.
Vincenzo Vigliotti Nasenbein und Becken sind gebrochen. Er hatte grosse Schmerzen und war nicht mehr ansprechbar. «Dann haben sie ihm einen Katheter reingetan, damit sie ihn nicht waschen und putzen müssen. Er hat dann eine Infektion bekommen, weil sie ihn nicht versorft haben, sagt Vigliottis Frau.
Der TCS soll die Schwerverletzten schnell nach Hause fliegen. Denn die medizinische Versorgung im italienischen Spital ist katastrophal. Es vergehen vier Tage und viele Anrufe bis Frau Vigliotti endlich mit einem Arzt vom TCS reden kann. Sie fühlt sich völlig alleine gelassen.
Fünf Tage vergehen. Erst dann schickt der TCS eine Strassenambulanz nach Süditalien. Den Schwerverletzten steht ein langer stressiger Transport bevor. Plötzlich besinnt sich der TCS neu. Er chartert in Österreich einen Ambulanzjet. Eine Woche nach dem Unfall landen die Schwerverletzten endlich in Zürich.
Der TCS hat sich in Italien nie nach seinem Befinden erkundigt. Vincenzo Vigliotti wird im Unispital Zürich operiert. Vigliottis hätten vom TCS eine schnellere Rückführung und wesentlich bessere Betreuung erwartet.
«Einfach ein schlechter Service. Es ist denen gleich, was den Leuten passiert. Ich finde es einfach schlimm», sagt Susanna Vigliotti.
Spart TCS auf Kosten der Patienten?
Es sei über die Ferientage schwierig gewesen in Italien die richtigen Ansprechspersonen zu erreichen, schreibt der TCS. Und weiter: «Der TCS akzeptiert die Kritik von Herrn Vigliotti am Spital in Italien. Der TCS organisierte die Rückreise, welche nach der Stabilisierung der Patienten mit dem Flugzeug erfolgte. Medizinisch wurde damit die beste Lösung getroffen. Wir bedauern, dass die Kommunikation zwischen den Beteiligten und den Angehörigen nicht optimal war.»
Spart der TCS auf Kosten der Patienten? Jahrzehntelang arbeitete der TCS in medizinischen Notfällen mit der Rettungsflugwacht zusammen. Seit letztem Jahr führt der TCS die medizinischen Abklärungen in seiner Einsatzzentrale in Genf selbst durch.
Bei einem Notfall erteilt er der Firma «AAA», der «Alpine Air Ambulance», telefonisch den Auftrag für die Organisation des Rücktransports. Der TCS ist mit 49 Prozent beteiligt an «AAA». Eine Partnerschaft, um Kosten zu sparen.
Bluff: Flugzeuge nicht für Krankentransporte ausgerüstet
«AAA» wirbt auf seiner Homepage mit neun Helikoptern und neun Flugzeugen. Ein Bluff: Die Flugzeuge sind gar nicht für Krankentransporte ausgerüstet.
Der Anwalt von TCS und «AAA» schreibt zu diesem Vorwurf: «AAA» weist auf der Homepage transparent auf die Zusammenarbeit mit der Konzern-Gesellschaft «Lions Air Group» und anderen erfahrenen Partnern in diesem Bereich hin.» Insgesamt stehe eine grosse Flotte von Ambulanzflugzeugen zur Verfügung.
«Kassensturz» wird von einem Insider aus der Rettungsbranche kontaktiert. Er will anonym bleiben. Er sagt: «AAA» hat keine eigenen Flächenflugzeuge. Die Firma holt deshalb bei einer Rückführung zuerst Offerten bei Flugrettungsgesellschaften ein. Der günstigste Anbieter macht das Rennen.» Auch ein Blick ins Luftfahrzeugregister des Bundesamtes für Zivilluftfahrt bestätigt: TCS und «Alpine Air Ambulance» haben keine eigenen Ambulanzjets.
Der Brancheninsider sagt weiter: «AAA» fehlt die Erfahrung in der Luftrettung völlig. Ihre Qualität ist meilenweit von den Standards der Rega entfernt.
Bewilligung nur für Aargau
«Kassensturz»-Recherchen zeigen zudem: TCS-Partner «AAA» fehlen kantonale Betriebsbewilligungen als Transport- und Rettungsunternehmen. Sie hat nur eine provisorische Bewilligung im Aargau.
Der Rechtsprofessor Ueli Kieser kritisiert: Die Bewilligung eines einzigen Kantons genüge nicht. «Wenn man Leute aus dem Ausland in die CH zurückbringt, braucht man für alle Kantone eine Bewilligung. Weil man manchmal jemand nach Lausanne, nach St. Gallen, manchmal nach Zürich fliegt. Und das weiss man ja nicht im voraus», sagt Kieser. Wenn ein Transport- und Rettungsunternehmen keine Betriebsbewilligung hat, verstösst es gegen das Gesundheitsgesetz.
Die Firma «AAA»schreibt: «AAA weist auf der Homepage transparent auf die Zusammenarbeit mit der Konzerngesellschaft Lions Air Group und anderen erfahrenen Partnern in diesem Bereich hin." Insgesamt stehe eine grosse Flotte an Ambulanzflugzeugen zur Verfügung.
Keine REGA-Flüge mehr
«Wenn der TCS einen Schutzbrief anbietet, übernimmt er natürlich eine riesige Verantwortung gegenüber den Leuten, die den Schutzbrief kaufen, möglicherweise auch finanzielle Verantwortung, wenn etwas schief geht. Und der TCS ist natürlich verpflichtet, ein Unternehmen zu suchen, das auf jeden Fall alle rechtliche Vorschriften einhält. Wenn man jetzt ein Unternehmen dabei hat, das nur gerade eine kantonale Bewilligung hat, ist es für mich eine ziemlich kritische Sache für den TCS», sagt Ueli Kieser.
In der Vergangenheit holte die Rega jährlich rund 200 Patienten für den TCS aus dem Ausland zurück. Dieses Jahr waren es nur noch 50. Der Service der Rega ist nicht mehr gefragt. Alle Aufträge würden künftig von AAA übernommen, verkündet der TCS in einer Medienmitteilung. Der TCS wirbt derzeit intensiv für seinen ETI-Schutzbrief und den eigenen Ambulanzdienst. Doch es gibt Zweifel an der Qualität der neuen Organisation.
Fall 2: Angeschossen in Äthiopien
Das zeigt ein weiterer Fall Ende Mai in Äthiopien. Das Fahrzeug eines Schweizer Arztes wird beschossen. Eine Kugel bleibt im Oberarm stecken und zersplittert den Knochen. Der Chefarzt will anonym bleiben. Seine Mail beschreibt den Horrortrip: Nach dem Überfall nimmt er telefonischen Kontakt mit dem TCS auf. Er will rasch in die Schweiz zur Operation und ruft als TCS-Kunde die ETI-Zentrale an.
Der TCS sagt ihm: Er soll sich in einem koreanischen Spital in Addis Adeba die Kugel in Lokalanästhesie entfernen lassen. Der verletzte Mediziner weigert sich. Denn die Infektionsgefahr ist enorm. Unter grossen Schmerzen organisiert er sich die ärztlichen Zeugnisse für die Rückreise selber. Das dauert Tage.
«Inkompetente ärztliche Betreuung»
Heinz Zimmermann, Chefarzt vom Notfallzentrum des Inselspitals in Bern, schaut sich die Unterlagen zu den TCS-Fällen an. Der Professor kritisiert den Rat des TCS, die Kugel in Lokalanästhesie entfernen zu lassen.
«Das ist eine völlig inkompetente Betreuung und natürlich denn auch was daraus entsteht. Der Patient musste sich alles selber organisieren, damit er wieder zurück in die Schweiz gehen kann. Und das ist völlig klar: Man erwartet, dass das für einem gemacht wird und dass man innert nützlicher Zeit zurückgeflogen wird», sagt Zimmermann.
Der TCS bezahlt die Repatriierungs-Kosten. Der Verletzte bedankt sich für den Rücktransport. Als Arzt aber kritisiert er «die medizinische Fehleinschätzung, die telefonische Kommunikation und den fehlenden Ansprechpartner».
Der TCS gibt zu, dass er dem Angeschossenen geraten habe, sich in Äthiopien operieren zu lassen: «Der TCS hat mit Herrn C. darüber gesprochen, allenfalls vor Ort die Kugel entfernen zu lassen.» Erst nachdem sich der Arzt geweigert hatte, sich operieren zu lassen, lenkte der TCS ein. Herr C. solle sich ein medizinisches Dokument beschafft, damit der TCS den Rückflug organisieren kann.
Geht ein Ambulanzjet in die Luft, kostet das pro Stunde Tausende von Franken. Flugrettung ist teuer. Deshalb bietet keine Assistance-Versicherung einen Jet wegen einer medizinischen Lappalie auf. Doch von der Einsatzzentrale dürfen Versicherte erwarten, dass sie bei einem medizinischen Notfall am Telefon kompetent beraten werden und vor Ort Unterstützung bekommen.
Fall 3: Unerträgliche Schmerzen in Mittelamerika
Doch auch bei einem weiteren Fall, den Kassensturz aufdeckt, beklagen sich die Betroffenen über schlechte Betreuung. Während der Ferien in Mittelamerika treten bei einer Versicherten plötzlich unerträgliche Schmerzen auf, Taubheitsgefühle im linken Arm, sie kann sich kaum bewegen. Ihr Ehemann ist Arzt und vermutet eine Diskushernie. Auch sie wollen frühzeitig nach Hause. Und auch sie sind enttäuscht vom Service des TCS. Schliesslich fliegen sie regulär mit dem gebuchten Flug heim. Nachträglich übernimmt TCS einen Teil der Rückreisekosten.
Für Professor Heinz Zimmermann ist klar: All diese Fälle sind keineswegs medizinische Bagatellen. Er kritisiert: «Kommunikation, die nicht funktioniert. Man muss x-mal telefonieren, man kann nicht mit einem Arzt sprechen. Der TCS ist aufgefordert, seine Qualitätsstandards zu überprüfen. Vielleicht muss er auch mit einem anderen Partner zusammenarbeiten.»