Die deutsche Studentin Victoria Rass lebt bei ihrem Verlobten im bernischen Belp. Eines Tages muss sie nach einer Zehenoperation zu einer Arztkontrolle nach Deutschland. Da sie mit dem lädierten Fuss die Auto-Kupplung nicht betätigen kann, leiht sie sich den Automaten ihres Freundes aus. Hätte sie gewusst, welchen Ärger das verursacht, hätte sie das wohl gelassen.
Auto soll beschlagnahmt werden
Denn kurz nach der Grenze gerät sie bei Lindau in eine mobile deutsche Zollkontrolle. Die Beamten kontrollieren die Papiere – und wollen den Wagen auf der Stelle konfiszieren. Victoria Rass erinnert sich: «Ich habe mich zuerst gefragt, wo die versteckte Kamera ist.»
Doch den Grenzbeamten ist nicht zum Scherzen zumute. Für sie ist klar, dass Rass als deutsche Staatsbürgerin das Schweizer Auto ihres Freundes in die EU einführt. Die Beamten verlangen deshalb von ihr Zollgebühr und Mehrwertsteuer, insgesamt mehr als 1600 Euro. Kaputter Fuss und Notsituation hin oder her.
Geliehene Autos im Zollkatalog nicht vorgesehen
Die junge Frau ist hilflos: «Ich bin ehrlich gesagt in Tränen ausgebrochen, weil ich mir einfach keinen Rat mehr wusste. Als Studentin kann ich nicht so viel Geld auf einmal bezahlen.» In ihrer Not ruft sie ihren Verlobten an. Dieser erreicht immerhin, dass seine Freundin weiterfahren kann. Doch die Beamten bestehen auf der Zollrechnung, obschon das Handicap von Frau Rass auf den ersten Blick erkennbar ist.
Europarechts-Experte Andreas Kellerhals findet, die Zöllner hätten in dieser Situation ruhig eine Ausnahme machen können. Doch diese hielten sich stur an den Zollkatalog. «Dort heisst es: Wer ein Auto aus dem Ausland importiert, muss es grundsätzlich verzollen. Dass jemand ein Auto vorübergehend mitnimmt, ist im Zollrecht nicht vorgesehen», erklärt Kellerhals. Grundsätzlich gelte daher: Wer ein Auto über die Grenze nimmt, löst einen Zollvorgang aus und muss entsprechend Zoll bezahlen.
Der deutsche Zoll lenkt schliesslich ein
Victoria Rass bekommt also vom deutschen Zoll den Einfuhrabgabebescheid mit einer Rechnung von 1672 Euro. Sie erhebt sofort Einspruch, schickt Ausweiskopien, Arztzeugnisse, Steuererklärungen und Bilder vom operierten Fuss mit. «Ich wollte beweisen, dass ich aus einer Notsituation heraus gehandelt habe.»
Doch erst nachdem sich «Kassensturz» einschaltet, hat der deutsche Zoll ein Einsehen. Victoria Rass bekommt einen neuen Entscheid. Der Zoll erkennt nun eine Notsituation und verzichtet auf Gebühren und Strafanzeige. In diesem Schreiben heisst es weiter, dass die Beamten vor Ort kaum die Möglichkeit hätten, eine Notsituation zu erkennen. Und: Weitere Ausnahmen gäbe es nicht.
Schweizer Verfahren ist einfacher
In der Schweiz ist man laut Andreas Kellerhals diesbezüglich etwas kulanter. «Bei uns kann man bei der Grenzüberfahrt ein Depot hinterlegen und es bei der Rückfahrt wieder abholen.» Kellerhans würde sich ein Gleichziehen der deutschen Zollbehörden wünschen. Ob sie dies tun wollen, sei aber alleine ihnen überlassen.
Victoria Rass ist erst einmal erleichtert. Der gesunde Menschenverstand hat gesiegt. Doch eine gewisse Beunruhigung bleibt, denn die kaum bekannte Zollregelung gilt weiterhin.