Zum Inhalt springen

Umwelt und Verkehr Umweltsünder: Gotteshäuser verheizen Millionen

In der Schweiz gibt es rund 5000 reformierte und katholische Kirchen. Obwohl die meisten wöchentlich nur während Stunden genutzt werden, heizen viele Kirchgemeinden durch. Sie verschwenden eine Unmenge Energie und beschädigen die Gebäude. Ein Drittel der Kosten könnte gespart werden.

Zur Webseite

Eine kalte Nacht in Tiefencastel, Graubünden: Architekt und Energieexptere Emil Giezendanner misst mit seiner Wärmebildkamera, wo bei der Kirche Wärme entweicht. Emil Giezendanners Büro analysierte in der Schweiz über 250 Kirchen. Mit diesen Zahlen konnte er erstmals den Energieverbrauch der rund 5000 Landeskirchen hochrechnen. Tiefencastel entspricht einer durchschnittlichen Schweizer Kirche: Vor 1900 gebaut, Platz für 300 Personen und nie dafür gedacht, beheizt zu werden.

30 Liter Heizöl pro Sitzplatz

Die Kirche Tiefencastel wird nur drei Mal pro Woche genutzt – für eine Messe. Dafür verheizt die Kirche jährlich 72’000 Kilowattstunden. Das entspricht umgerechnet der Energie von 30 Litern Heizöl pro Sitzplatz, der aber fast immer leer bleibt.

Ohne bauliche Massnahmen, alleine durch das Regulieren der Heizung, könnte die Kirche 30 Prozent der Energie einsparen. Doch der Kirchgemeindepräsident lässt weiterhin auf mindestens 13 Grad durchheizen. Eine kontrollierte Aufheizung sei fast nicht möglich, ohne dass einer dortbleibe und kontrolliere, sagt Kirchengemeindepräsident Baltermia Cola.

Pausenloses Heizen ist die Regel – das zeigt die Studie von Emil Giezendanner. Der Grossteil der Schweizer Kirchen verschwendet sinnlos Energie. Giezendanner: «Man kann davon ausgehen, dass 80 bis 90 Prozent der Kirchen durchgeheizt werden wie in Tiefencastel.»

Das verschlingt viel Geld und Energie. Pro Gottesdienst kostet das Heizen von Kirchen mit geringer Auslastung bis zu 30 Franken für jeden einzelnen Kirchgänger. Würden die Kirchen nicht durchheizen, könnten sie schweizweit jedes Jahr 100 Millionen Kilowattstunden Energie sparen. Damit könnte Schaffhausen ein halbes Jahr mit Strom versorgt werden. Jährlich verschwenden die Kirchen so 15 Millionen Franken Steuergelder – für sinnloses Heizen.

Kommt dazu: Die viel zu hohen Temperaturen zerstören Kunstwerke und schwärzen die Gebäude. Die Schäden kosten den Steuerzahler ein Vielfaches der Energiekosten.

Kirchenmauern ausgetrocknet

Emil Giezendanner visualisiert mit einem Dampfgenerator, was passiert, wenn die Kirche beheizt wird. Die warme Luft steigt nach oben zum Gewölbe. Entlang den kalten Wänden sinkt sie wieder nach unten. Ein permanenter Luftstrom entsteht. Diese ständige Luftumwälzung führt zu einer raschen Schwärzung der ganzen Kirche. Tiefencastel wurde erst 1982 renoviert. Und bereits steht die nächste Renovation bevor.

Klosterkirche Müstair in Graubünden: Sie gehört zum Unesco Weltkulturerbe. 1950 legten Archäologen dort weltweit einzigartige karolingische Fresken frei. Zur gleichen Zeit baute das Kloster eine Heizung ein. Vor 20 Jahren wurde sie wieder entfernt – doch zu spät. Der Schaden war angerichtet. Der Archäologe Jürg Goll studiert die katastrophalen Folgen der Beheizung: Jedes Erwärmen der Luft im Kircheninnern führt zum Absinken der Luftfeuchtigkeit. Die trockene Innenluft saugt die Feuchtigkeit aus dem Gemäuer. Salzkristalle aus dem Mauerwerk kristallisieren an der Oberfläche und stossen die Fresken ab.

Das ständige Heizen hat innert weniger Jahre zerstört, was sonst Jahrhunderte überdauert hätte. Trockene Luft und die ständige Zirkulation verursachen in der Schweiz Schäden von 100 bis 200 Millionen Franken pro Jahr. Jürg Goll: «Alle Kirchen haben das gleiche Problem wie Müstair.»

Die Landeskirchen haben bis anhin viel zu wenig gegen die Energieverschwendung getan. Kurt Aufdereggen ist Umweltbeauftragter vom ökumenischen Verein Oeku-Kirche und Umwelt. Der Verein hat einen CO2-Rechner aufgeschaltet, um die Kirchgemeinden für das Thema zu sensibilisieren. Doch Heizungen abstellen lehnt Kurt Aufdereggen ab.

Predigt im Thermoanzug

Dass es auch umweltfreundlicher geht, zeigt die St. Salvatorkirche in Nördlingen Deutschland. Die Kirche ist fünf Grad kalt. Eine Viertelstunde vor Messebeginn stellt Pfarrer Paul Erber die Heizung in der Kirche an. Vor drei Jahren liess Erber die herkömmliche Heizung ausbauen und eine Kirchensitzheizung installieren, eine Art Heizkissen. Der Vorteil sei, dass nicht die ganze Kirche, sondern nur die Besucher gewärmt würden, sagt der Pfarrer.

In der Sakristei bereitet sich der Pfarrer für die Messe in der kalten Kirche vor. Er predigt in einem speziellen Thermoanzug. Im Gegensatz zu den Kirchenbesuchern wärmt ihn keine Sitzheizung, nur die Thermoalbe unter dem Messegewand.

In Deutschland haben fast 100 Kirchen Sitzheizungen eingebaut. Bei den Gläubigen sind sie breit akzeptiert. Doch in der Schweiz schrecken die Kirchenverantwortlichen vor solchen Lösungen zurück.

Meistgelesene Artikel