Der Berner Fahrlehrer und TCS-Experte Peter Plüss kritisiert seit Jahren den Schilderwald in seiner Stadt: «Alle Planungsdirektoren wollten abrüsten und die Anzahl Tafeln halbieren. Aber es wurde immer mehr aufgerüstet.» Hundert Millionen Franken werden pro Jahr für Markierungen und Schilder ausgegeben. Es werden immer mehr. Beispiel Bern: Dort stehen rund 18'000 Tafeln. Zuwachs innerhalb 10 Jahren: über 50 Prozent.
Verwirrung statt Klarheit
Der Schilderwald wuchert im ganzen Land und beschäftigt auch die Wissenschaft. Mit Hilfe eines Fahrsimulators erforscht Professor Lutz Jäncke an der Universität Zürich, was beim Autofahren im Gehirn passiert. Mit dem Simulator lassen sich viele reale Situationen nachstellen. Der Neuropsychologe warnt vor zu vielen Schildern: «Je mehr Verkehrsschilder pro Zeiteinheit auftauchen, desto mehr wird die Wahrnehmungskapazität auf diese Schilder gezogen. Demzufolge bleibt für den Rest, das heisst für den Strassenverkehr oder für Kinder, die über die Strasse laufen, weniger übrig.»
Problematisch ist nicht nur die Anzahl der Schilder. Viele Schilder schaffen keine Klarheit, sie verwirren. Für den Professor ist klar: Schilder mit Zusatzangaben wie Zeiten und Ausnahmen sind sinnlos. Ab einem bestimmten Punkt könne dieses Zuviel an Information gar nicht mehr verarbeitet werden. «Dann werden Kurzschlussreaktionen ausgelöst, so dass wir nicht mehr richtig hinschauen – als hätten wir überhaupt kein Verkehrsschild gesehen», sagt Jäncke.
Bundesamt ist machtlos
Schilder, die man nicht sieht, das kann nicht im Sinn des Bundesamtes für Strassen Astra sein. Unnötige Schilder sind laut dem Strassenverkehrsrecht sogar verboten. Verantwortlich wären primär die Kantone und Gemeinden, dem Astra seien darum die Hände gebunden, sagt Thomas Rohrbach vom Bundesamt für Strassen.
Neue Schilder produziert unter anderem die Signal AG in Büren an der Aare. Der Marktführer fertigt teilweise in Handarbeit jährlich rund 60'000 Schilder an. Sie kosten je nach Signal und Grösse im Schnitt zwischen 100 und 200 Franken. Das sind bloss die Herstellungskosten. Hinzu kommt der Aufwand für Transport, Montage und allfällige Beleuchtung. Der Schilderwald geht ins Geld.
«Tafel weg» im Aargau
Unter dem Motto «Tafel weg» reduzierte der Kanton Aargau seinen Bestand an Schildern. Jede achte Tafel war überflüssig und wurde abmontiert. Die Staatskasse sparte zwei Millionen Franken. «Pro Schild, das wir weggenommen haben, und das sind doch gegen 2000, kann man mit rund 1000 Franken Einsparungen rechnen. Auch der Signalunterhalt ist entsprechend kleiner», sagt der Aargauer Verkehrsplaner Kurt Grauwiller.
Bei der Sicherheit gab es keine Abstriche. Grauwiller: «Wir haben nur doppelte Signale weggenommen. Ich weiss nicht, ob dies die Automoblisten überhaupt bemerkt haben. Aber wir hatten keine negative Meldungen.»
Alle Schilder abmontiert
Mehr Sicherheit ganz ohne Schilder ist das Ziel eines EU-Projekts. Mehrere Städte, so wie das norddeutsche Bohmte, montierten gleich alle Schilder ab. Auch Zebrastreifen und Lichtsignale sind weg. Die Verkehrsteilnehmer reagieren verunsichert: «Sie sind überrascht, wissen nicht genau, was auf sie zukommt. Durch die gezielte Verunsicherung wird jeder vorsichtiger und langsamer», sagt Gemeinderätin Sabine de Buhr-Deichsel.
Die Resultate in mehreren EU-Städten zeigen sinkende Unfallzahlen. Man muss ja nicht gleich alle Tafeln und Signale abschrauben, aber für TCS-Experte Plüss ist klar, die Hälfte der Tafeln muss weg: «Dann kann eine Durchschnittsperson die Signale überhaupt wieder erfassen.»