Am Weltwirtschaftsforum WEF in Davos wurde diese Idee als «Markt der Zukunft» bezeichnet: Strom über ein App dem Nachbarn verkaufen. Im thurgauischen Gachnang ist das bereits seit rund einem Jahr möglich. Im Pilotprojekt «Change 38» kann man den überzähligen Strom von der Solarzelle oder Photovoltaikanlage des Nachbarn kaufen.
Konkret: Wer überschüssigen Strom auf seinem Dach produziert, gibt ihn in einen Pool. Dort kann ihn der Nachbar beziehen. Und zwar für einen Aufpreis.
Strom «aus der Region, für die Region»
Via App auf dem Smartphone können die Teilnehmer selber bestimmen, von wem sie den Strom beziehen wollen – und wann. Ganz nach dem Motto «aus der Region, für die Region».
Mit diesem Argument liess sich der Gachnanger Andreas Aeberhard für «Change 38» gewinnen: «Im Projekt kenne ich die einzelnen Produzenten persönlich. Deshalb versuche ich auch, den Strom zeitgerecht dann zu brauchen, wenn er anfällt.» Bei Solarzellen ist das meist am Mittag, wenn die Sonne am stärksten vom Himmel strahlt. Selbstverständlich kann Andreas Aeberhard auch weiterhin ganz normalen Strom beziehen, wenn in der Nachbarschaft nicht genügend verfügbar ist.
Strompreis wird Nebensache
Dass nie 100 Prozent sicher ist, ob wirklich der Strom des Nachbarn aus der Steckdose kommt, ist Andreas Aeberhard bewusst. Dennoch meint er: «Wenn ich zeitgleich Strom brauche, den der Nachbar nebenan produziert, dann kann ich guten Gewissens sagen, ich brauche seinen Strom.»
Deshalb achtet Aeberhard heute auch nicht mehr auf den Preis: «Ich verzichte jetzt bewusst auf Günstigstrom und konsumiere den Strom dann, wenn er teuer ist. Aber dafür weiss ich: Er ist hier aus der Gemeinde!»
Genau solche Verhaltensänderungen seien das Ziel von «Change 38» sagt der Zürcher Wirtschaftsinformatiker Robert Bühler. Wenn die Konsumenten genau wissen, woher ihr Strom kommt, seien sie eher bereit, sich für grünen Strom zu entscheiden.
Auch Solarzellen- und Photovoltaikbesitzer profitieren
Und auch die Strom-Produzenten haben etwas davon. Leute mit Solarzellen oder Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach erhalten dank «Change 38» von ihren Nachbarn einen besseren Preis als vom Elektrizitätswerk. So werden ihre Investitionen in grüne Energie rentabler.
Service:
Mitgliedschaft kostet 27 Franken pro Monat
Für die Strom-Konsumenten ist das Ganze allerdings nicht gratis. Wer mitmacht, zahlt rund 27 Franken pro Monat für die Mitgliedschaft – und damit ist der Strom noch nicht bezahlt. Dennoch ist «Change 38»-Initiator Robert Bühler überzeugt, dass sein Modell funktioniert. «Die Konsumenten können damit ihren ganz persönlichen Strommix wählen. Und so dazu beitragen, dass es mit der Energiewende bzw. der Abkehr vom Atomstrom endlich vorwärts geht.»
Expertin ist vom Stromteilen überzeugt
Die Stromexpertin Christina Marchand vom Online-Stromvergleichsdienst My new Energy ist überzeugt, dass Modelle dieser Art Zukunft haben: «Das sind wichtige Projekte. Wenn die Leute eine persönliche Beziehung zum Stromproduzenten haben, sind sie tatsächlich auch mehr dazu bereit, Öko-Strom zu kaufen.»