«Espresso»-Hörerin Michelle Waldispühl braucht nur in Ausnahmefällen das Auto ihrer Eltern. Insgesamt, übers Jahr gerechnet, sind das rund 20 Mal. Damit sie in einem Schadensfall abgesichert ist, hat sie bei der Visana eine spezielle Versicherung für das Führen fremder Fahrzeuge abgeschlossen.
Als Michelle Waldispühl im Februar dieses Jahres einen Unfall verursachte, gab sie dies auf dem Schadensformular auch genauso an.
Schwammige Versicherungsbedingungen
Zu ihrem grossen Erstaunen will die Visana die Kosten des Unfalls allerdings nicht übernehmen. Die Begründung: Bei der Visana gilt 20 Mal Fahren innerhalb eines Jahres bereits als regelmässig. Dies entspreche auch der Rechtsprechung und Praxis, schreibt die Versicherung der Kundin.
Michelle Waldispühl wehrt sich, und auch ihr Vater schaltet sich ein. Es folgen Gespräche und Briefwechsel. Alles bringt nichts: Auch nach einer zweiten Beurteilung des Falles beharrt die Visana auf ihrem Standpunkt und will nicht bezahlen.
Experte kritisiert knausriges Verhalten der Versicherung
Gemäss Versicherungsexperte Ruedi Ursenbacher lehnt sich die Visana weit aus dem Fenster: «Wenn man die Rechtsprechung anschaut, sieht man, dass eine ein- bis zweimalige Nutzung pro Monat noch nicht als regelmässig gilt.»
Ausserdem sei es sehr kundenunfreundlich, dass bei der Visana in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und den Zusatzbedingungen nicht klar definiert sei, was «regelmässig» bedeutet: «Der Kunde ist dann der Versicherung völlig ausgeliefert, ob sie die angegebene Zahl als gelegentlich auslegt oder nicht.»
Das Verhalten der Visana sei ausserdem nicht branchenüblich, so Ursenbacher weiter. Die meisten grossen Versicherer wie Axa, Mobiliar oder Zürich schreiben Zahlen in die AVB und definieren die Anzahl Tage klar.
Michelle Waldispühl hätte vor Gericht gute Chancen: Es existiert ein Bundesgerichtsurteil, das die Konsumentenrechte in diesem Punkt stärkt. Es besagt, dass die Versicherungen ihre unklaren Klauseln nicht einfach so zum Nachteil des Kunden auslegen dürfen.
Visana entschuldigt sich für veraltete Bedingungen
Erst als sich Michelle Waldispühl an «Espresso», wendet, lenkt die Versicherung ein. Visana zeigt sich bereit, den Schaden von 2000 Franken doch zu übernehmen. Der Grund für den Fehler: veraltete Geschäftsbestimmungen.
Der Leiter Unternehmenskommunikation der Visana, David Müller, erklärt: «Es gibt Produkte, die nicht mehr ganz zeitgemäss sind. Dies werden wir nun korrigieren. Diesbezüglich entschuldigen wir uns bei unserer Kundin.» Man sei derzeit daran, die Geschäftsbestimmungen zu überarbeiten.
In diesem Zug werde man ebenfalls mehr Klarheit für die Kunden schaffen, so David Müller. Er verspricht: «Es wird neu sicher eine Zahl drinstehen und damit auch definiert, was regelmässig ist und was nicht. Aber ob es 24 oder 22 ist, das kann ich noch nicht sagen.» Diese Korrektur werde so schnell wie möglich umgesetzt. Einen genauen Zeitpunkt konnte Müller allerdings nicht nennen.