Zum Inhalt springen

Versicherungen Zinstrick: Pensionskassen kürzen heimlich Rente

Diverse Pensionskassen legen einen Teil der Pensionkassengelder in einem zweiten, dem sogenannten überobligatorischen Spartopf an. Für die Versicherungen lohnt sich das neue Modell, den Versicherten aber beschert es eine tiefere Rente.

Mehr zum Thema

Eigentlich wollte sich Helmuth Huettenegger per Ende Jahr frühpensionieren lassen. Doch daraus wird für den 63Jährigen nichts. Seine Pensionskasse, die Winterthur-Versicherung, hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Ohne Vorwarnung musste Huettenegger aus dem Versicherungsausweis eine massive Rentenkürzung herauslesen: Seine Rente beträgt neu mit 65 nicht mehr 35'900 Franken pro Jahr, sondern fast 6000 Franken weniger. Eine Frühpensionierung kann er sich nicht mehr leisten. "Ich hatte als erstes eine schlaflose Nacht und fragte mich, wie ist das möglich", erzählt der Hobby-Gärtner.

Schlechtere Verzinsung im neuen Spartopf

Rentenkürzungen aus heiterem Himmel: Wie Helmuth Huettenegger geht es Tausenden anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Grund: Vorsorgestiftungen, die von Versicherungen geführt werden, rechnen plötzlich neu. Sie unterscheiden zwischen obligatorischem und sogenannt überobligatorischem Spartopf. "Das ist absolut neu. 20 Jahre lang hat man nicht unterschieden. Jetzt in der Börsenkrise haben die Versicherer Löcher stopfen müssen und haben zwei Gefässe geschaffen. Das meiste Geld, also etwa die Hälfte, das man typischerweise hat, ist in einem neuen Spartopf versorgt worden. Und dieser Spartopf wird erstens schlechter verzinst und zweitens hat man deutlich schlechtere Renten auf diesem Topf", sagt Stefan Thurnherr, Pensionskassenexperte des Vermögenszentrums.

In den obligatorischen Topf kommt der obligatorisch versicherte Lohn von 25'000 bis 76'000 Franken. In den überobligatorischen fliesst, was darunter oder darüber liegt. Soviel ist klar. Aber: Betroffen sind auch Einzahlungen, die die Versicherten freiwillig leisten.

Freie Fahrt für die Versicherung

Den Versicherungen bringt das Vorteile. Denn die vorgeschriebenen Zinssätze - der Mindestzinssatz (in diesem Jahr 2,25%) und der sogenannte Rentenumwandlungssatz (aktuell 7,2%) gelten nur für das Geld im Obligatorium. Ganz anders im Überobligatorium: Hier sind die Pensionskassen frei. Der Zins kann schlechter sein, sogar 0 Prozent. Ganz entscheidend ist der Rentenumwandlungssatz, der die Höhe der Rente festlegt: Einige Versicherungen haben ihn für das Überobligatorium auf 5,8 Prozent gesenkt. Einige Versicherer für Frauen sogar auf 5,4 Prozent.

Doch klare Regelungen, welches Geld in welchen Topf kommt, fehlen in vielen Fällen. Das nützen die Versicherungen zu ihren Gunsten aus, kritisiert SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner. "Mich dünkt, es gibt Versicherungsgesellschaften, die ganz bewusst für den Versicherten stets den schlechten Fall anwenden und sich so Rentenleistungen entledigen. Für die Betroffenen ist das ausserordentlich dramatisch. Die verlieren einen Drittel der Rente einfach so, weil man es vom Obligatorium ins Überobligatorium verschiebt." Pech auch für Helmuth Huettenegger. Er hat schon vor dem Pensionskasse-Obligatorium 1985 viel Geld einbezahlt und später mit freiwilligen Zahlungen seine Rente aufgebessert. Beides teilt die Winterthur dem überobligatorischen Teil zu. "Es hat nie jemand erwähnt, dass es einen Unterschied gibt zwischen Obligatorium, Vorobligatorium und Überobligatorium", sagt Huettenegger.

Tatsächlich haben die Winterthur und andere grosse Versicherungen im Pensionskassengeschäft das Modell mit den zwei Spartöpfen Knall auf Fall eingeführt. Andere ziehen ab Januar 2005 mit ähnlichen Bedingungen nach. Die Renten auf dem obligatorischen Teil seien viel zu hoch, meinen die Versicherungen. Damit rechtfertigt die Winterhur die verschlechterten Bedingungen. Ruedi Hefti, Chef der Abteilung Kollektivleben, begründet die massiven Rentenkürzungen mit der Langlebigkeit: "Die Tatsache, dass wir unterschiedliche Umwandlungssätze haben, ist Folge des Politversagens. Politiker haben es verpasst, die Rentensätze an die gesteigerte Lebenserwartung anzupassen."

Existenzängste geschürt

Auch Susanne Wälti ist Opfer der neuen Berechnungsart. Bei ihrer Scheidung erhielt sie wie vom Gesetz verlangt die Hälfte des Pensionskassenguthabens ihres Mannes. Die 55Jährige glaubte, damit sei ihre Rente gesichert. Doch als der neue Versicherungsausweis kam, musste sie lesen, dass sie monatlich fast 1000 Franken weniger Rente erhalten soll als noch vor kurzem versprochen. Der Grund: Die Winterthur hat das gesamte Pensionskassen-Kapital in den schlechteren, also den überobligatorischen Topf fliessen lassen. "Ich bekam wirklich Existenzängste", erzählt Susanne Wälti. Wohin gehören Pensionskassenguthaben aus Scheidungsfällen: Ins obligatorische oder überobligatorische Spartopf? Eine verbindliche Regelung existiert nicht

 Einige Versicherungen nutzen das aus und verbuchen das Geld immer in überobligatorischen Teil. Das führt für die Frauen zu tieferen Renten. "Das finde ich einen Skandal, und das Bundesamt macht nichts, sondern schützt diese Praxis", sagt Rechsteiner. Die Winterthur-Versicherung gibt sich ungerührt: "Der Mann hat das obligatorische Geld erarbeitet. Ich weiss, das tönt kompliziert, aber so interpretieren wir das geltende Gesetz. Und unsere Reglemente wurden vom Bundesamt genehmigt", sagt Hefti. Für geschiedene Frauen ist die Argumentation des Versicherungskonzerns ein Hohn. Wer jahrelang für Haus und Kinder gesorgt hat, wird trotz modernem Scheidungsrecht bestraft.

Meistgelesene Artikel