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Gericht fällt Urteil zu Ungunsten der Schweizer Flugpassagiere
Aus Espresso vom 15.11.2016. Bild: Colourbox
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Familie und Freizeit Verwirrende Urteile zu Fluggast-Entschädigungen

Wenn Flüge annulliert, verspätet oder überbucht sind, haben Passagiere ein Anrecht auf eine Entschädigungszahlung – zumindest in der EU. Die Schweiz hat sich der europäischen Regelung zwar angeschlossen. Aber die Rechtsauslegung ändert von Gericht zu Gericht.

Im Dezember 2006 wurde die EU-Verordnung EG 261/2004 von der Schweiz übernommen. Die Absicht war, dass Schweizer Passagiere die gleichen Fluggastrechte erhalten sollten wie Passagiere in der EU: Reisende haben bei einer Annullierung Anrecht auf eine Entschädigung, die sich nach der Reisestrecke richtet.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg setzte später eine entscheidende Präzisierung durch, indem er Flugverspätungen von mehr als drei Stunden einer Annullierung gleichsetzte.

Was gilt in der Schweiz?

EU-Flugpassagiere erhielten dadurch eine sehr konsumentenfreundliche Lösung, doch in der Schweiz hat sich die Situation verkompliziert. Selbst unter Rechtsgelehrten ist umstritten, was denn nun gilt: Die EU-Verordnung, die kein Recht auf Entschädigung bei Verspätung vorsieht oder das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das eine solche für die EU einführte.

Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) argumentiert, das Urteil des Gerichtshofs sei in der Schweiz nicht anwendbar, weil es erst nach der Übernahme der EU-Regelung erfolgte. Deshalb gehen die Bazl-Beamten nur gegen Fluggesellschaften vor, die eine Entschädigung für Überbuchungen oder Annullationen reklamieren – nicht aber bei Verspätungen.

Allerdings haben Schweizer Richter in Einzelfällen auch schon Fluggesellschaften zur Entschädigungszahlung bei Verspätungen verdonnert. Nochmals anders sieht es das Bülacher Bezirksgericht. Der «Tages Anzeiger» veröffentlichte ein Urteil, das wiederum der Sichtweise des Bazl folgte – und eine Zahlungspflicht verneinte.

Wie weiter?

Vito Roberto, Rechtsprofessor an der Uni St.Gallen, kritisiert die Haltung des Bazl als zu zögerlich. Entweder setze die Aufsichtsbehörde die europäische Richtlinie nach EuGH konsequent um, ansonsten könne man sie gleich ganz aufheben: «In der Schweiz haben wir diese Regelung seit Jahren, doch leider blieb sie bis heute weitgehend ein toter Buchstabe.»

Urs Holderegger, Mediensprecher beim Bundesamt für Zivilluftfahrt widerspricht: «Das ist eine sehr spezielle Aussage. Wir setzen die Verordnung 1:1 um. Das Thema Verspätungen ist dort nicht dabei.»

Klarheit könnte ein Musterprozess bringen, der bis zu einem letztinstanzlichen Urteil des Bundesgerichts weitergeführt würde. Ein solcher ist nicht in Sicht.

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