Seit sechs Jahren wohnt «Espresso»-Hörerin Nicole Steiner in der 3-Zimmerwohnung im Berner Schosshalde-Quartier. Obwohl sie die aktuelle Miete als «fair» bezeichnet, schaut sie sich seit längerem nach einem neuen Zuhause um.
Sie hat Glück: Ab Oktober wohnt sie im Nachbarsblock in einer frisch renovierten Wohnung mit dem gleichen Grundriss. Was ihre aktuelle Wohnung ab diesem Zeitpunkt kosten soll, schockiert sie.
Schlichtungsstellen
«Ich habe das Inserat meiner aktuellen Wohnung entdeckt und war entsetzt», berichtet die Mieterin gegenüber dem Konsumentenmagazin «Espresso» von Radio SRF 1.
«Ab Oktober soll die gleiche Wohnung auf einen Schlag 260 Franken mehr kosten – von aktuell brutto 1563 Franken steigt die Miete auf 1820 Franken.» Das ist ein Anstieg von knapp 20 Prozent.
Dem Nachmieter gegenüber nicht fair
Eigentlich könne es ihr ja egal sein, meint Nicole Steiner. «Ich bin ja von der massiven Mietzinserhöhung nicht betroffen.» Nur sei es dem Nachfolge-Mieter gegenüber nicht fair, wenn der so viel mehr bezahlen muss.
«Zumal die Wohnung noch immer so aussieht wie vor 30 Jahren und in den letzten Jahren nichts Wesentliches renoviert wurde.» Das Bad ist im 80er-Jahre Look oliv-braun-beige und die Küche knallig rot. «Die Küchengeräte wurden wohl vor meiner Zeit, also vor sechs Jahren einmal ausgetauscht.»
«Skandalöse Erhöhung»
Es gebe absolut keinen vernünftigen Grund, den Mietzins nach dem Mieterwechsel derart stark zu erhöhen, enerviert sich Pièrre Zwahlen, stellvertretender Generalsekretär des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands. «Diese Mietzinserhöhung ist absolut skandalös!»
Gerade weil die Teuerung negativ sei und der Referenzzinssatz in den letzten Jahren stetig gesunken sei, könne der Vermieter eine Mietzinserhöhung um einen Fünftel der Nettomiete nicht vernünftig begründen.
«Marktüblicher Zins»
«Espresso» fragt bei der Zürich Versicherung (offizieller Name: «Zurich») nach, wie sie eine Steigerung des Mietzinses um knapp 20 Prozent begründet, gerade weil an der Wohnung keine wertvermehrenden Renovationen vorgenommen wurden.
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Mediensprecher Frank Keidel teilt in einer kurzen Mail mit, man könne ihn wie folgt zitieren: «Zurich orientiert sich bei der Neuvermietung am marktüblichen Mietzins.» Mehr gäbe es nicht zu sagen, erklärt der Mediensprecher auch auf Nachfrage.
Beim Berner Hauseigentümerverband (HEV Bern) reagiert man etwas anders. Eine 20-prozentige Mietzinserhöhung erscheine in der aktuellen Situation tatsächlich etwas hoch.
«Allerdings ist der prozentuale Anstieg bei Neuvermietungen die falsche Betrachtungsweise», gibt Hans Bättig vom HEV Bern zu bedenken. Es stelle sich die Frage: «Wie viel ist die Wohnung nach den heutigen mietrechtlichen Bandbreiten wert.»
Mit einem Beispiel versucht er Verständnis zu schaffen: «Wenn diese 3-Zimmerwohnung heute 700 Franken kosten würde, weil die letzten 30 Jahre die selbe Mieterin drin gewohnt hätte, würde es alle verstehen, wenn der Mietzins verdoppelt würde.» Deshalb sei die prozentuale Betrachtungsweise des Mietzinsanstiegs die falsche, meint Hans Bättig.
Gute Chanchen vor der Schlichtungsstelle
Der Nachmieter von «Espresso»-Hörerin Nicole Steiner kann sich gegen die massive Mietzinserhöhung wehren. Auch nachdem er den Mietvertrag unterzeichnet hat. Das Mietrecht sieht vor, dass ein Mieter 30 Tage nach Einzug bei der Schlichtungsstelle die Miete als missbräuchlich anfechten kann.
Dieser Schritt ist kostenlos. Und im vorliegenden Fall würde die Schlichtungsbehörde auch darauf einteten, denn die Mietzinserhöhung beim Mieterwechsel ist höher als zehn Prozent. Es ist empfehlenswert, sich dabei rechtliche Unterstüztung durch eine Fachperson zu holen.
«In einem solchen Fall lohnt es sich auf jeden Fall», ermuntert Pièrre Zwahlen vom Mieterinnen- und Mieterverband zu diesem Schritt. In der Westschweiz würde das viel öfter gemacht als in der Deutschschweiz. Man habe mehrheitlich positive Erfahrungen gemacht.
Missbräuchlichkeit nachweisen ist möglich
Fechtet ein Mieter die Anfangsmiete innerhalb von 30 Tagen nach Einzug an, muss er beweisen, dass die Miete «missbräuchlich» ist. Dies geschieht oft über die Orts- und Quartierüblichkeit, also über die Mieten, die im Quartier für gleiche Wohnungen bezahlt werden. Es liegt am Mieter, fünf vergleichbare Wohnungen vorzulegen, die einen billigeren Mietzins aufweisen. Davor schrecken viele zurück.
Das Bundesgericht hat in einem Urteil (BGer 4A-491/2012) vor zwei Jahren jedoch entschieden, dass der Beweis der missbräuchlichen Anfangsmiete auch erbracht ist, wenn der Mietzins angehoben wird, wenn eine moderate bzw. negative Teuerung besteht und der Referenzzinssatz sinkt. Beides ist in den letzten Monaten der Fall, was den Nachweis einer missbräuchlichen Mietzinserhöhung möglich machen sollte.