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Biodiversität im Wald Fünf Menschen im Einsatz für unsere Wälder

Die Biodiversität ist weltweit unter Druck. Auch in der Schweiz schwindet die Vielfalt der Tiere und Pflanzen - ausser im Wald. Fünf Menschen, für die der Wald nicht nur Beruf, sondern auch Berufung ist, erzählen, wie wir den Wald und seine Bewohner noch besser schützen und fördern können.

Biodiversität in aller Munde

Ernst Vetsch
Legende: Ernst Vetsch Forstwart des Forstreviers Wartau/SG Ernst Vetsch

«Vor 40 Jahren, da gab es das Wort Biodiversität noch gar nicht», erzählt Ernst Vetsch von früher. Damals arbeitete er als Forstwart, besuchte schliesslich die Försterschule und betreut seit 1985 das Forstrevier Wartau in St. Gallen nördlich von Sargans. Der Wald als Lebensraum und Naherholungsgebiet sei auch für die Bevölkerung kein Thema gewesen, er wurde einfach genutzt und zwar sehr intensiv mit dichten Fichtenbeständen. Bis in die 80er Jahre habe das auch gut rentiert. Doch dann rutschten die Holzpreise immer tiefer in den Keller. «Heute kommt es uns in vielen Fällen günstiger, einen Baum stehen zu lassen. Oder wir fällen Bäume, um dem Jungwald mehr Licht zu verschaffen, lassen die Stämme aber liegen, weil sich der Abtransport im unzugänglichen Gelände nicht lohnt», meint Vetsch mit leiser Wehmut. Doch die Wehmut verschwindet augenblicklich, wenn er von dem zu erzählen beginnt, was heute ist.

«Biodiversität ist heute in aller Munde und das Bewusstsein für die Natur, für die Wichtigkeit der Böden und auch die vielen Vorteile von mehr Totholz im Wald ist gestiegen», nicht nur bei den Förstern, sondern auch in der Bevölkerung. Das schlage sich auch in seinem Berufsprofil nieder. Die Holznutzung mache heute noch etwas mehr als einen Viertel seiner Arbeit aus. Der Rest sei Schutzwaldpflege, Arbeiten für den Naturschutz, wie zum Beispiel die Aufwertung von Waldrändern, und nicht zuletzt die Kommunikation. «Die Leute erwarten heute vom Förster, dass er alles weiss über die Natur im Wald. Von den Vögeln über die Pilze bis hin zum Luchs.»

Ernst Vetsch betreut in Wartau ein Revier, von dem er mit Stolz sagt, dass es vor Biodiversität nur so strotzt. Das liege an der grossen Vielfalt von Lebenräumen, von feucht bis trocken, mit unterschiedlichen Höhenlagen und einer mosaikartigen Verteilung von Wald und offener Landschaft. «Dank dem grossen Engagement der Gemeinde Wartau können wir seit zwanzig Jahren immer wieder Naturschutzprojekte durchführen, nicht nur im Wald», freut sich Vetsch. Er schätzt diese Einsätze nicht zuletzt, weil so auch Aufträge gibt für ihn und seine Angestellten entstehen. Auch Waldreservate und Totholzinseln gibt es in seinem Revier, doch für die Zukunft plädiert Vetsch für den Dauerwaldgedanken. «Es reicht nicht, ein paar Prozent der Waldfläche sich selbst zu überlassen, wenn diese Flächen nicht miteinander vernetzt sind», ist Vetsch überzeugt. Viel mehr brauche es Totholz und alte Bäume, sogenannte Habitatbäume, auf der ganzen Fläche. «Überall, wo sich eine Gelegenheit bietet, kann ich so die Qualität des Waldes als Lebensraum verbessern.»

Waldbesitzer in der Mitverantwortung

Rita Bütler
Legende: Rita Bütler Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft Rita Bütler

Rita Bütler ist verantwortlich für die Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis in der Westschweiz. Im Auftrag der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft soll sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Waldbiodiversität dorthin bringen, wo diese zur Anwendung kommen können: zu den Kantonen, Förstern und Waldbesitzern. Im Vergleich zu anderen Lebensräumen wie Moore und Trockenwiesen stehe es zwar relativ gut um den Wald, doch es gebe auch hier noch sehr viel Potential, ist Bütler überzeugt.

«Gut ist die grosse Vielfalt an einheimischen Baumarten und die geringe Zahl an Monokulturen in den meisten Wäldern, schlecht ist der Mangel an Pionierwäldern und an Wäldern, die sich in der Alters- und Zerfallsphase befinden». Pionierwälder, das sind Wälder, die eben erst aufkommen und sich durch viele junge Bäume auszeichnen. Ein Pionierwald entsteht beispielsweise nach dem Niedergang einer Lawine oder nach einem Sturm. Pionierwälder beherbergen lichtbedürftige Arten, wie zum Beispiel verschiedene Orchideen oder Schmetterlinge. Die Alters- und Zerfallsphasen hingegen zeichnen sich durch einen hohen Anteil an sehr alten oder gar toten Bäumen aus. Sie sind wertvoll für zahlreiche Totholzinsekten und -pilze sowie Vogelarten wie den Specht, dessen Höhle dann wiederum den Fledermäusen als Unterschlupf und Kinderstube dient.

Ein grosses Potential für Massnahmen zugunsten der Biodiversität sieht Bütler bei den privaten Waldbesitzern. «Knapp 30% des Waldes ist in Privatbesitz. Viele Besitzer nutzen den Wald kaum noch und teilweise sind so echte Hotspots der Biodiversität entstanden», erklärt Bütler. Andererseits seien die privaten Waldparzellen oft sehr klein, was die Errichtung grösserer Waldreservate erschwere. Waldbesitzer können sich aber auch aktiv für mehr Biodiversität einsetzen, indem sie beispielsweise an Förderprojekten teilnehmen, Altholzinseln einrichten oder einzelne alte Bäume erhalten, Waldränder aufwerten oder Feuchtgebiete fördern. «Hierbei lohnt sich die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Förster, der sich auch mit den kantonalen Richtlinien gut auskennt», rät Bütler. Zudem gebe es diverse Internet-Seiten, wie man als Waldbesitzer die Biodiversität aktiv fördern kann. Auch die WSL hat eine solche aufgeschaltet: www.totholz.ch .

Die Strategie des Bundes für mehr Waldbiodiversität

Claudio de Sassi
Legende: Claudio de Sassi Sektion Biodiversitätspolitik beim Bundesamt für Umwelt Claudio de Sassi

Claudio de Sassi arbeitet beim Bundesamt für Umwelt und ist dort für die Waldbiodiversität zuständig. Die nationale Entwicklung des Waldes sei positiv, ist er überzeugt. Der Wald gewinne an Struktur und das Volumen des Totholzes nehme zu. «Der Wald wird an vielen Orten natürlicher.» Das hänge einerseits damit zusammen, dass der Wald oft gar nicht mehr oder weniger intensiv genutzt wird. Das hängt nicht zuletzt mit den tiefen Holzpreisen zusammen. Andererseits sorge die Forstwirtschaft für eine nachhaltige Nutzung, und gehe auch zur Anpassung an den Klimawandel immer mehr in Richtung naturnah.

Die Förderung der Biodiversität ist integrales Ziel der Schweizer Waldpolitik. Seit dem Jahr 2008 ist das aktuelle Programm Waldbiodiversität in Kraft: Bis im Jahr 2030 sollen 10% der Schweizer Waldfläche Reservate sein, in welchen der Natur freier Lauf gelassen wird. «Bis heute liess sich die Fläche der Waldreservate von ursprünglich rund 3% auf 6.5% steigern», berichtet de Sassi. «Wir sind also auf gutem Weg». Doch der Bund bietet nur finanzielle und strategische Unterstützung, für die Umsetzung sind die Kantone selbst in der Pflicht. Projekte zur Förderung der Waldbiodiversität erhalten bis zu 50% der Kosten vergütet. Das Programm verfügte zuerst jährlich über 10 Millionen Franken, 2016 hat der Bundesrat diese Gelder zugunsten der Biodiversität auf 20 Millionen Franken pro Jahr erhöht.

Die Ausscheidung von Waldreservaten erfolgt aber nicht überall gleich schnell. Spitzenreiter sind die Kantone Zug, Aargau und Genf, am wenigsten weit sind die beiden Kantone Fribourg und Bern. «Bedauerlich», findet de Sassi, «denn der Kanton Bern verfügt über besonders viel Waldfläche». Über viel Waldfläche verfügen aber auch die Kantone Tessin und Graubünden, wo die Errichtung von Waldreservaten seit ein paar Jahren Fahrt aufnimmt. Diese beiden Kantone hätten in den letzen Jahren starkt aufgeholt. Alles in allem ist Claudio de Sassi zuversichtlich, dass das Ziel von 10% Waldreservaten bis Ende 2030 erreicht werden kann.

Mehr Informationen des BAFU zum Thema Waldbiodiversität gibt es unter www.wald-vielfalt.ch .

Das Nebeneinander von Wildtieren und Menschen

Fabian Kern
Legende: Fabian Kern Wildhüter der Stadt Zürich Grünstadt Zürich

Fabian Kern ist fast täglich im Wald. Homeoffice gab es für den obersten Wildhüter der Stadt Zürich auch während der Corona-Krise nicht. Und doch hat sich seine Arbeit in den letzten Monaten stark verändert, denn plötzlich ist der Wald voller Menschen. Viele haben den Wald neu entdeckt, sei es zum Joggen, Spazieren oder als Alternative zum Verweilen im Park. Dieses neue grosse Interesse der Bevölkerung am Wald freut Fabian Kern. Doch für die Wildtiere sei das eine Belastung.

Besonders problematisch sei, dass sich die Leute vermehrt abseits der offiziellen Wege aufhalten. «Sie wollen sich aus dem Weg gehen, um Abstand zu halten», weiss Kern und hat dafür auch ein gewisses Verständnis. Doch für die Rehe, Füchse und auch Vögel bedeut das Stress. Denn auch wenn sich die Stadtwaldtiere eigentlich an Menschen im Wald gewohnt sind, ist für sie neu, dass die Menschen so oft die Wege verlassen. Kommt hinzu, dass der Frühling eine besonders heikle Zeit ist. «Rehgeissen sind in dieser Jahreszeit hoch trächtig und finden kaum noch Ruhe», sorgt sich der Wildhüter.

Die Zürcher Wildhüter versuchen nun vermehrt, Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie sprechen die Menschen im Wald direkt an. «Die Reaktionen sind durchwegs positiv und einige Leute tragen sogar die Botschaft weiter, dass man die Wege den Tieren zuliebe nicht verlassen soll», freut sich Kern. Er wolle den neuen Besuchern im Wald auch keinesfalls die Freude nehmen, sondern aufzeigen, wie ein friedliches Miteinander von Mensch und Wildtier am besten funktioniere. Dazu gehöre auch, dass Feuer nur an offiziellen Feuerstellen entfacht würden und Hundehalter dafür sorgen, dass ihre Tiere die Wege ebenso wenig verlassen wie die Menschen.

Das älteste Waldgesetz der Welt

Daniela Pauli
Legende: Daniela Pauli Leiterin «Forum Biodiversität Schweiz» Daniela Pauli

Gäbe es in der Schweiz eine Miss Biodiversität, so wäre das Daniela Pauli. Als langjährige Leiterin des «Forum Biodiversität Schweiz», dem wissenschaftlichen Kompetenzzentrum für Biodiversität bei der Akademie der Naturwissenschaften, weiss sie aus erster Hand um den Zustand der Artenvielfalt und der Ökosysteme in der Schweiz und weltweit. Und dieser sei schlecht, wenn nicht gar dramatisch. Von insgesamt 8 Millionen bekannten Arten weltweit sind bis zu einer Million vom Aussterben bedroht. Der Grund: Ihre Lebensräume sind verschwunden oder stark beeinträchtigt. «Auch die Schweiz hat einen Grossteil der natürlichen Lebensräume verloren», bedauert Pauli. Ausgedehnte Moore, Trockenwiesen und auch Auen seien durch Entwässerungen, die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung, Versiegelung und Gewässerverbauungen auf ein paar klägliche Resten zusammengeschrumpft.

«Unser Wald gibt mir aber Hoffnung, denn er ist vielerorts noch recht naturnah», ist Pauli überzeugt. Im Unterschied zu den Wäldern weltweit gehe es dem Schweizer Wald heute relativ gut. Zu verdanken hätten wir das unseren Vorfahren, die vor bald 150 Jahren den Wald per Gesetz unter Schutz gestellt haben. Das Schweizerische Waldgesetz ist aus einer grossen Notlage entstanden, denn die unkontrollierte Abholzung der Wälder führte im 19. Jahrhundert zu Erdrutschen und katastrophalen Überschwemmungen. In kaum einem anderen Land sei heute das Bewusstsein um die Vorteile einer nachhaltigen Nutzung des Waldes so stark verankert wie in der Schweiz.

«Immer mehr steigt auch die Erkenntnis, wie wichtig eine hohe Biodiversität für den Wald ist», sagt Pauli, denn je vielfältiger ein Wald, desto robuster sei er. Und robust, das muss der Wald sein, wenn er mit den steigenden Temperaturen und der zunehmenden Trockenheit zurechtkommen soll. «Nur ein robuster Wald kann uns auch in Zukunft vor Naturgefahren schützen, uns mit sauberem Wasser und frischer Luft versorgen, als Erholungsraum dienen und Rohstoffe wie Holz liefern», ist Pauli überzeugt. Biodiversität wirkt dabei als Versicherung – und dies gilt nicht nur für den Wald, sondern auch für alle anderen Ökosysteme wie Wiesen, Äcker, Moore, Auen oder Meere.

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