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Asthma-Therapie – Ein Drittel zu Unrecht verordnet
Aus Puls vom 23.01.2017.
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Die Diagnose «Asthma» wird oft zu schnell gestellt

Bei Atembeschwerden diagnostizieren Ärzte oft fälschlicherweise Asthma als Ursache – das haben jüngst zwei Studien bei Kindern und Erwachsenen im Ausland gezeigt. Experten gehen von einer vergleichbaren Situation in der Schweiz aus. Hauptgrund: Zeitmangel.

Asthma ist in der Schweiz weit verbreitet: Jedes zehnte Kind und rund sieben Prozent der Erwachsenen sind betroffen. Neuere Studien aus Kanada und Holland lassen nun aber Zweifel aufkommen, ob diese Zahlen tatsächlich stimmen. Bei 33 Prozent der Erwachsenen und bei über 50 Prozent der Kinder konnten die Studienleiter die Asthma-Diagnose mit gängigen Diagnose-Methoden nicht bestätigen.

Auch wenn die Gesundheitssysteme von Kanada und Holland nicht eins zu eins auf die Schweiz übertragbar sind, so gehen die Lungenspezialisten in der Schweiz doch davon aus, dass der Anteil der Asthma-Überdiagnosen hierzulande auch bei 20 bis 30 Prozent liegen dürfte. «Natürlich ist das auch bei uns am Kinderspital Zürich ein Thema. Wir beobachten solche Asthma-Überdiagnosen seit Jahren, das ist unser Alltag und die Situation präsentiert sich auch schon seit einigen Jahren so», erklärt Kinder-Lungenspezialist Alexander Möller. Die Tatsache an sich habe ihn also keineswegs überrascht, mehr der Umstand, dass die Zahlen teilweise derart hoch seien.

Verdachtsdiagnose Asthma

Erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen sind die Haus- und Kinderärzte. Bei Kleinkindern und Kindern im Vorschulalter ist die Diagnose Asthma schwierig zu stellen. Komplizierte Tests zur Überprüfung der Lungenfunktion, wie sie bei Teenagern und Erwachsenen gut durchgeführt werden können, sind bei ihnen kaum durchführbar.

Husten, Atemnot und andere Asthma-Symptome können zudem sehr unterschiedlich sein. Auch für Jugendliche ist es nicht immer einfach, genau zu schildern, wie sich eine Atemnot anfühlt, wo sie sich manifestiert und wann sie hauptsächlich auftritt. Und bei Erwachsenen können andere Erkrankungen wie saures Aufstossen, Herzinsuffizienz oder eine Raucherlunge sehr ähnliche Symptome machen.

Oft stellt der Arzt deshalb eine «Verdachtsdiagnose Asthma» und behandelt entsprechend mit Medikamenten zur Erweiterung und Entzündungshemmung der Bronchien. «Die Therapie muss anschliessend aber immer wieder überprüft werden», betont Jörg Leuppi, Lungenspezialist am Kantonsspital Baselland. Ein Asthma könne sich ja auch auswachsen.

Zeitnot macht Abklärung nicht einfacher

Neben der Krux der schwierigen Diagnose scheint mangelnde Zeit bei der Befragung und detaillierteren Abklärung der Patienten ins Problem der fragwürdigen Diagnosen mit hineinzuspielen. Kinderarzt Charles Etterlin konkretisiert: «Wir werdet zum Teil regelrecht überrollt mit Anfragen, ob wir neue Patienten aufnehmen. Was wir im Moment ablehnen müssen. Auch so hören wir immer wieder mal den Vorwurf, dass wir zu wenig Zeit für die Patienten hätten.»

Für den Zürcher Kinderarzt ist das Problem auch ein Zeichen dafür, dass es in der Schweiz dringend mehr Kinderärzte und Hausärzte braucht. Dass der Kern des Problems tatsächlich in einer Unterversorgung liegen könnte, bestätigt auch Lungenspezialist Möller: «Das hat in der Schweiz nicht mit der Ausbildung zu tun, das hat auch nicht mit der Qualität der Arbeit zu tun, sondern mit der schieren Masse und der Zeit, die einem zur Verfügung steht, respektive mit den Gerätschaften, die Haus- und Kinderärzten allenfalls für eine tiefer gehende Untersuchung fehlen.»

Therapie regelmässig überprüfen

Scheint eine angeordnete Asthma-Therapie keine Wirkung zu zeigen oder haben sich Symptome merklich verbessert, so dass die Medikamente allenfalls reduziert werden können, kann es sich für Patienten also durchaus lohnen selber aktiv zu werden und eine bereits in der Vergangenheit gemachte Asthma-Diagnose erneut überprüfen zu lassen.

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