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Die medizinischen Besserwisser - 20 Jahre Cochrane Collaboration
Aus Kontext vom 03.04.2013.
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Die medizinischen Besserwisser

Das unabhängige Expertennetzwerk «Cochrane Collaboration» bewertet seit zwanzig Jahren medizinische Therapien – und tritt damit nicht selten dem einen oder anderen Akteur im Gesundheitswesen auf die Füsse.

Die Medizin hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Doch von vielen medizinischen Therapien weiss man bis heute schlicht nicht, ob sie wirklich wirksam sind. Zu unübersichtlich und widersprüchlich sind oft die Forschungsresultate. Das will das unabhängige Expertennetzwerk Cochrane Collaboration ändern, indem es die Flut medizinischer Studien sichtet, zusammenstellt und bewertet.

Wie gut wirkt Vitamin C?

Wirkt zum Beispiel Zink oder Vitamin C wirklich gegen Erkältungen? Können Cholesterinsenker Herzkreislaufkrankheiten vorbeugen? Wie schädlich ist Salz? Wie gut sind die gängigen Antidepressiva? Und nützt Tamiflu tatsächlich gegen die Schweinegrippe?

Die Antworten auf diese Fragen sind frei zugänglich in der Datenbank der Cochrane Collaboration auf www.thecochranelibrary.com. Und trotzdem ist die Cochrane Collaboration noch immer sehr vielen unbekannt, sagt Gerd Antes, der das deutsche Cochrane Zentrum leitet, eines der weltweit 14 Zentren der Organisation.

Weltweites Netzwerk

Die Cochrane Collaboration ist nach dem britischen Epidemiologen Archibald Cochrane benannt, einem Pionier der sogenannten evidenzbasierten Medizin. Mehr als 28'000 Forscher aus über 100 Ländern arbeiten für die gemeinnützige Organisation, die 1993 als kleine Gruppe einiger Dutzend Gleichgesinnter begonnen hat. Der Mitbegründer der Cochrane Collaboration, der Brite Sir Iain Chalmers, erinnert sich noch gut an die Gründung: «Es herrschte eine sehr gute Atmosphäre. Die Teilnehmer waren grosszügig im Geiste. Das ist wichtig zu erwähnen, weil Akademiker oft sehr individualistisch, egoistisch und kompetitiv sind. Die Cochrane Collaboration hingegen schien Menschen anzuziehen, die daran glaubten, dass man mit Zusammenarbeit mehr erreichen kann.»

Seit 2010 hat auch die Schweiz eine eigene kleine Zweigstelle der Cochrane Collaboration, die an der Universität Lausanne beherbergt ist.

Systematische Übersichtsstudien

Forscher, die für die Cochrane Collaboration arbeiten möchten, müssen unabhängig bleiben, dürfen keine Interessenkonflikte haben und zum Beispiel kein Geld von Pharmafirmen annehmen. Um ihre Tätigkeit auszuüben müssen die Forscher entsprechend selber auf Geldsuche gehen bei Regierungen, bei internationalen staatlichen und nicht-staatliche Organisationen, bei Universitäten, bei Krankenhäusern, bei Stiftungen oder auch bei privaten Spendern.

Die Cochrane Collaboration hat sich mit ihrer unabhängigen Tätigkeit eine hohe Glaubwürdigkeit erarbeitet. Eine Übersichtsstudie der Cochrane Collaboration gilt in der Fachwelt als Gütesiegel – auch, oder gerade wenn die Cochrane-Forscher dabei mächtigen Interessenvertretern in die Quere kommen.

Der «Fall Tamiflu»

Einen Namen gemacht hat sich die Cochrane Collaboration zum Beispiel im Fall des Antigrippe-Mittels «Tamiflu», hergestellt von der Pharmafirma Roche. Cochrane-Forscher fanden heraus, dass nur ein Bruchteil der Daten zur Wirksamkeit von Tamiflu veröffentlicht worden war. Als sie sich die unveröffentlichten Daten anschauten, kamen sie zum Schluss: Tamiflu führe – anders als behauptet – weder zu weniger Krankenhausaufenthalten, noch schütze es vor der Verbreitung der Grippe. Hingegen seien schwere Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen.

Roche widerspricht dieser Darstellung zwar, doch die Geschichte zeigt: Die Cochrane Collaboration scheut nicht davor zurück, mächtige Gegenspieler wie Pharmafirmen anzugreifen. Das hat ihr das Image des Davids eingetragen, der gegen Goliath kämpft.

Missionarischer Eifer

Doch die Cochrane Collaboration muss auch Kritik einstecken. Nicht zuletzt für ihren missionarischen Eifer. Und auch die Übersichtsstudien der Cochrane Collaboration sind nicht unfehlbar.

Das zeigte eine Recherche der Wochenzeitung «Die Zeit». Sie deckte auf, dass in einer Übersichtsstudie der Cochrane Collaboration Zink als Erkältungsmittel wohl etwas voreilig positiv bewertet wurde. Denn es waren zwei Studien in die Übersichtsarbeit eingeflossen, die von einer Firma für Zink-Lutschtabletten finanziert wurden und entsprechend verzerrungsanfällig waren. Rechnete man diese beiden kleinen Studien heraus, blieb von der behaupteten positiven Wirkung von Zink gegen Erkältung nur noch wenig übrig.

Kritischer Blick

Wie gut sind Übersichtsarbeiten der Cochrane Collaboration also? Wissen es die Cochrane-Forscher wirklich immer besser? Nein. Zu diesem Schluss kommen selbst Cochrane-Forscher, die alle Übersichtsstudien der Cochrane Collaboration aus einem bestimmten Jahr probehalber unter die Lupe genommen haben. Resultat: Fast ein Drittel hatte in irgendeiner Form Mängel. Allerdings schnitten die Übersichtsstudien der Cochrane Collaboration beträchtlich besser ab als solche von anderen Gruppen. Ein kritischer Blick schadet also bei keiner Studie.

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