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Teure Renten für Junge
Aus ECO vom 23.11.2015.
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Noch nicht 30 und schon Rentner

Sind sie erst einmal IV-Rentner, verursachen junge Erwachsene enorme Kosten für die Invalidenversicherung. Fachleute glauben, die Zahl der jungen Rentner könnte viel kleiner sein. Denn: Bei zwei Dritteln der Jungen sind psychische Probleme der Grund für die Berentung.

Die psychiatrische Versorgung unseres Landes könnte nicht besser sein. In der Schweiz arbeiten drei Mal so viele Psychiater wie im Durchschnitt aller OECD-Länder. Und trotzdem ist nicht alles zum Besten bestellt. Die OECD-Studie zur psychischen Gesundheit und Beschäftigung der Schweiz von 2014 nennt Schwachstellen:

  • Die mangelnde Zusammenarbeit der psychiatrischen Dienste mit der Invalidenversicherung, den regionalen Arbeitsvermittlungsstellen sowie Sozialdiensten.
  • Arbeitgeber, die für den Umgang mit psychisch erkrankten Arbeitnehmern nicht optimal gerüstet sind
  • Die Invalidenversicherung, die Arbeitgeber zu wenig miteinbezieht und zu geringe Anreize für die Arbeitnehmer bietet
  • Ressourcen im Schulsystem, die zu wenig wirkungsvoll eingesetzt werden, um Schulabbrüche zu verhindern

Der Basler Psychologe Niklas Baer ist Mitverfasser der OECD-Studie und fundierter Kenner der Materie. Er leitet die Fachstelle für psychiatrische Rehabilitation der Psychiatrie Baselland. «Die Hälfte aller psychischen Störungen fängt spätestens in der Jugendzeit an», sagt er.

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Niklas Baer über Renten für junge Erwachsene
Aus ECO vom 20.11.2015.
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«Das sind häufig sehr junge Menschen, die aus der Schule fliegen oder die Berufsausbildung nicht abschliessen können.» Was dann folge, seien oft unterstützende Massnahmen durch die Invalidenversicherung. Aber: «Wenn sie keinen Erfolg bringen, erhalten viele Jugendliche am Schluss eine Invalidenrente.»

13 Milliarden für junge IV-Rentner

Ein wesentlicher Teil der Renten geht an gering qualifizierte junge Menschen, deren Chancen im Arbeitsmarkt schlecht stehen. Ein fataler und teurer Weg für die Gesellschaft. Denn die Erfahrung zeigt: Wer einmal IV-Rente bezieht, schafft den Weg zurück in den Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr.

Jedes Jahr erhalten rund 3000 junge Erwachsene, die unter 30 sind, neu eine Invalidenrente. Zwei Drittel davon aus psychischen Gründen. Damit sind junge Menschen eines der Hauptprobleme der Invalidenversicherung. Wer in jungen Jahren zum IV-Rentner wird, erhält samt Ergänzungsleistungen rund 36‘000 Franken jährlich. Hochgerechnet auf alle jungen IV-Rentner bis zur Pensionierung macht das über 13 Milliarden Franken.

Rente setzt falsches Signal

Niklas Baer kritisiert diese Situation: «Nur junge Menschen mit schwersten Behinderungen sollten eine IV-Rente erhalten.» Bei allen anderen sei es möglich, dass sich ihr Zustand wieder stabilisiere. In solchen Fällen setze die IV-Rente ein falsches Signal. Viel wichtiger sei, dass man junge Menschen in der Krise beruflich besser unterstütze und ihnen viel mehr Zeit bei der Ausbildung gebe. «Das lohnt sich viel stärker als die Alternative zu einer 40-jährigen IV-Rente», sagt Niklas Baer.

Damit dies gelingen kann, sind Arbeitgeber und Invalidenversicherung stärker gefordert. Seit Anfang Jahr haben die kantonalen IV-Stellen den Auftrag, Arbeitgeber zu beraten und stärker zu unterstützen.

Ausbildner müssen mit Krisen umgehen können

Sandra Reichen von der IV-Stelle Solothurn, leitet die Fachstelle Iradis. Die Beratungsstelle wurde zur Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz geschaffen. Ihre Angebote richten sich an Führungskräfte, HR-Verantwortliche und Ausbildner. «Ausbildner liegen uns besonders am Herzen», sagt Sandra Reichen, «weil wir zunehmend Jugendliche haben, die sich bei uns mit einer psychischen Diagnose anmelden.»

Iradis schult Ausbildner, mit Krisen ihrer Lehrlinge besser fertig zu werden um die Jungen möglichst im Arbeitsprozess zu halten. Die Ausbildung bringe eine sehr grosse Anforderung mit sich, weil in der Entwicklungsphase Jugendlicher sehr viel geschehe, sagt Sandra Reichen: «Es ist wichtig, dass die Arbeitgeber Fachpersonen zu Rate ziehen können, wenn dies ausserhalb der Norm ist.»

Auch die Politik hat den Handlungsbedarf erkannt: Noch in diesem Jahr will Bundesrat Alain Berset seine Massnahmen zur besseren Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt vorstellen.

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