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Immuntherapie gegen Krebs: Hoffnung oder Hype?
Aus Puls vom 30.10.2017.
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Immuntherapie bei Krebs Hoffnungsträger mit Grenzen

Medikamente, die das eigene Immunsystem stärken im Kampf gegen den Krebs, bringen erstaunliche Erfolge. Aber noch sind die Ansprechraten zu tief. Die Forschung hat noch keine klare Antwort, warum jemand anspricht, andere nicht.

Immuntherapie ist momentan das Trend-Gebiet in der Onkologie: Kein Kongress, ohne dass neue Forschungsergebnisse vorgestellt werden, hunderte Studien laufen weltweit, Markt-Analysen prognostizieren zweistellige Wachstumsraten.

Anders als traditionelle Krebstherapien, die direkt auf den Tumor zielen, aktiviert die Immuntherapie das körpereigene Immunsystem zur Bekämpfung des Tumors. Olivier Michielin, Hautkrebs-Spezialist am Lausanner Universitätsspital CHUV, spricht von einer «Revolution, auf die alle lange gewartet haben», Christoph Driessen, Chefarzt am Kantonsspital St. Gallen, vom «langgehegten Traum der Onkologen».

Checkpoint-Inhibitoren lösen Bremswirkung

Für Patienten bedeutet Immuntherapie heute primär die Verabreichung von Infusionen mit sogenannten Checkpoint-Inhibitoren. Das sind künstlich hergestellte Antikörper, die eine von den Krebszellen ausgenützte Bremse des Immunsystems lösen. Diese Bremse verhindert bei gesunden Zellen eine überbordende Immunreaktion. Krebszellen machen sich diesen Mechanismus zunutze und verhindern so ihre eigene Zerstörung.

Das ist eine Revolution, auf die alle lange gewartet haben.
Autor: Olivier MichielinCHUV Lausanne

Erst in den 1990er-Jahren fanden Wissenschaftler wie Jim Allison in den USA und Tasuku Honjo in Japan heraus, dass dies ein Grund ist, weshalb unser Immunsystem Krebs oft nicht bekämpft. Denn im Grunde genommen könnten unsere Immunzellen Krebszellen ebenso zerstören wie fremde Viren oder Bakterien.

Es gibt verschiedene Proteine, die diese Bremswirkung verursachen. CTLA-4 und PD-1 sind die bekanntesten, und gegen sie sind bereits Antikörper auf dem Markt. Man erwartet, dass in den nächsten Jahren noch weitere solche Brems-Moleküle im Hinblick auf Medikamente abgearbeitet werden.

Immuntherapie erst bei Metastasen

In der Schweiz sind heute erst vier Checkpoint-Medikamente zur Behandlung in der Grundversicherung zugelassen. Praktisch alle nur gegen metastasierenden Krebs, das heisst als sogenannte Zweitlinien-Therapie, wenn Chemotherapie und Bestrahlung nicht mehr helfen.

Sie können ein Fortschreiten von Krebs über mehrere Jahre verhindern und Metastasen zum Verschwinden bringen. Genaue Langzeitdaten fehlen oft noch, da die Medikamente noch jung sind.

In der Schweiz zugelassene Checkpoint-Medikamente

Wirkstoff (Produktename)
Hersteller
MechanismusZulassungEinsatz
Ipilimumab (Yervoy)Bristol Myers SquibbCTLA-42011
Melanom. Erst- und Zweiltlinientherapie
Pembrolizumab (Keytruda)Merck
PD-1
2014
Haut- und Lungenkrebs. Erst- und Zweitlinientherapie
Nivolumab (Opdivo)Bristol Myers SquibbPD-1
2015
Haut-, Lungen- und Nierenzellkrebs
TecentriqRoche
PD-L1
2017
Lungenkrebs
BavencioMerckPD-L12017Hautkrebs: metastasiertes Merkelzellkarzinom (mMCC)

Nur 20 bis 50 Prozent der Patienten sprechen an

Doch es gibt ein Problem. Nur ein Bruchteil der Patienten spricht an: beim Lungenkrebs etwa 20 Prozent, beim Hautkrebs immerhin gut 50 Prozent. Forscher vermuten, dass dies von der Anzahl der Mutationen im Tumor der Patienten abhängt.

Krebs entsteht durch Veränderungen im Erbgut gesunder Zellen, wenn sich durch Umweltfaktoren oder schlicht das Altern Fehler in der DNA-Vervielfältigung einschleichen. Denn unsere Körperzellen werden im Verlaufe des Lebens ständig erneuert. Vor kurzem haben Forscher festgestellt, dass es sehr wenige solcher Mutationen braucht, bis Krebs entsteht: Zellen mit einem unbändigen Drang zu wachsen.

Lungenkrebs-Patienten, die geraucht haben, aber auch Hautkrebs-Patienten, besitzen Tumore mit vielen solchen Mutationen. Das macht es den Immunzellen einfacher, sie aufzuspüren und zu vernichten. Deshalb wirken Immuntherapien bei diesen Krebs-Arten vorläufig besonders gut. Andere Krebsarten müssen zuerst für das Immunsystem sichtbar gemacht werden.

Ob jemand auf Checkpoint-Behandlung anspricht, kann ungenau vorhergesagt werden. Es gibt einen Test, der den Tumor darauf untersucht, ob sogenannte PDL1-Molküle vorhanden sind. Diese sind in die Bremswirkung involviert. Aber die Tests sind nicht zuverlässig.

Kritik an hohen Kosten

Immuntherapien sind teuer: pro Jahr und Patient gut 100'000 Franken, bei einer Anwendungsdauer von circa zwei Jahren. Werden in Zukunft verschiedene Medikamente miteinander kombiniert, um den Tumor an noch mehr Fronten zu bekämpfen, werden die Kosten noch viel höher schnellen. Auch in Kreisen der Onkologen sind heute viele der Meinung, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen, dass etwas getan werden müsse gegen die immer höheren Preise.

Doch Martin Früh, der den Fachbereich Onkologie in St. Gallen leitet, ist überzeugt: «Die Hoffnung in die neue Medikamentenklasse ist sehr hoch und von mir aus gesehen gerechtfertigt. Weil wir bei einem Teil der Patienten Resultate erreichen, die bisher nicht da waren».

Ungenügende Wirkungs-Bilanz?

Weil nur so wenige Patienten ansprechen, wird oft auch die mangelnde Wirkung der Immuntherapeutika kritisiert. Tatsächlich verbessert sich das sogenannte mediane oder durchschnittliche Überleben aller Krebspatienten damit nur um wenige Monate im Vergleich mit Chemotherapie. In Kombination mit den hohen Preisen führt das zu einem hohen Kosten-/Nutzen-Verhältnis.

Wir werden noch einige Jahre brauchen, bis wir wissen, wo und wie die verschiedenen Systeme am besten zusammenspielen.
Autor: Christoph DriessenKantonsspital St. Gallen

Befürworter verweisen hingegen auf die gestiegene Überlebens-Chance: beim weit verbreitetsten Lungenkrebs etwa sind in Studien , Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnennach drei Jahren noch 18 Prozent Immuntherapie-Patienten am Leben, verglichen mit 9 Prozent Chemotherapie-Patienten.

Immuntherapie wird in den nächsten Jahren bei immer mehr Krebsarten erhältlich sein und wohl auch in einem früheren Stadium der Krebserkrankung. Doch gemäss Prof. Christoph Driessen, Chefarzt am Kantonsspital St. Gallen, wird Immuntherapie auch in Zukunft keine Solo-Behandlung sein: «Die Dinge werden zusammenspielen müssen und wir werden noch einige Jahre brauchen, bis wir wissen, wo und wie die verschiedenen Systeme am besten zusammenspielen».

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