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«Mehr Zeit für Gespräche könnte Nebenwirkungen lindern»
Aus Puls vom 16.04.2012.
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Nocebo – «Zeit für Gespräche könnte Nebenwirkungen lindern»

Ohne ein gutes Arzt-Patient-Verhältnis und eine möglichst angenehme Atmosphäre ist die beste Behandlung nur halb so viel wert. «Puls» hat mit Dr. Peter Krummenacher, Neuropsychologe an der Universität Basel, besprochen, wieso schon der Anblick der falschen Wandfarbe krank machen kann.

SRF: Der Placebo-Effekt – also schon allein der Glaube an eine positive Wirkung heilt – ist inzwischen hinlänglich bekannt. Weniger bekannt ist der Nocebo-Effekt: Selbst die beste Behandlung wirkt nicht richtig, wenn sie negativ besetzt ist. Wie kommt das?

Neuropsychologe Dr. Peter Krummenacher: Der Nocebo-Effekt ist ein aktives und messbares neurobiologisches Ereignis im Hirn. Grundsätzlich entsteht er immer durch Lernen. Bisher am besten untersucht sind negative Erwartungen, die Angst erzeugen. Entweder hat ein Patient bereits selber negative Erfahrungen gemacht, diese bei anderen Personen beobachtet oder in den Medien gehört oder er hat eine kritische Haltung gegenüber bestimmten Medikamenten und Behandlungen und hat Angst vor ihnen. Manche Patienten sind einfach grundsätzlich ängstlicher veranlagt. Diese negative Haltung aktiviert verschiedene Hirnregionen und löst eine Ausschüttung verschiedener Botenstoffe aus. DIese können bei gewissen Erkrankungen Symptome verstärken, so zum Beispiel Schmerzen.

Gibt es Faktoren, die eine solche Reaktion zusätzlich verstärken?

Die gibt es.Worte – was und wie etwas dem Patienten mitgeteilt wird – sind ein starker Auslöser. Auslöser können aber auch schon so einfache Dinge wie Gerüche sein. Wenn Menschen eine Behandlung bekommen haben, die schmerzhaft und mit bestimmten Gerüchen verbunden war, kann es sein, dass die Symptome schon ausgelöst werden, nur wenn der Patient diesen Geruch wieder wahrnimmt. Aber auch andere Reize wie Farben oder Geräusche spielen eine Rolle. Das ist mittlerweile auch durch Studien belegt. Für eine solche mussten Probanden beispielsweise eine Flüssigkeit schlucken, die Nebenwirkungen auslöste. Als sie dann in einen Raum der gleichen Farbe kamen, hat allein der Wandanstrich die Symptome wieder ausgelöst. Das heisst, der Patient ist konditioniert, die Symptome sind verknüpft mit Hinweisreizen. Das Gehirn hat zum Beispiel gelernt: Die giftgrüne Farbe oder ein strenger Geruch sind schlecht. Diese Erinnerungsspuren können jederzeit durch ähnliche Reize wieder abgerufen werden und die Symptome dann wieder auftreten. Das kann natürlich positiv und negativ genutzt werden.

Inwiefern?

Der Arzt kann seine Praxis zum Beispiel mit Farben gestalten, die üblicherweise positiv besetzt sind, oder er kann akustisch positive Reize setzen. Natürlich gibt es da neben den individuellen auch kulturelle Unterschiede. Und – ganz entscheidend – er kann durch ein gutes Arzt-Patient-Verhältnis dafür sorgen, dass eine Behandlung nicht mit schlechten Erinnerungen verknüpft wird.

Was sind die häufigsten «Fehler», die Ärzten gegenüber Patienten unterlaufen?

Zum Beispiel sollte ein Arzt in Gegenwart des Patienten nicht einfach leichtfertig Verdachtsdiagnosen aussprechen, die verunsichern und sich dann nicht erhärten, oder mit Begriffen spekulieren, die dem Patienten Angst machen können.

Wie soll ein Patient reagieren, wenn ein Arzt mit solchen Begriffen um sich wirft?

Am besten sollte er nachfragen, was das ganz konkret für ihn bedeutet – und wenn die Zeit zu knapp ist, nachfragen, ob man ihm Literatur dazu empfehlen kann. Sonst besteht die Gefahr, dass der Patient im Internet eigenhändig recherchiert und dann nicht beurteilen kann, was relevant und vertrauenswürdig ist und was nicht.

Das gute Arzt-Patient-Verhältnis spielt also eine tragende Rolle?

Ja. Vertrauen, Empathie und Zuwendung sind sehr wichtig. Je mehr ein Arzt über das Werte- und Bedeutungssystem seines Patienten erfährt, desto besser kann er die Kommunikation abstimmen. Eine zentrale praktische Erkenntnis der Placebo- und Nocebo-Forschung ist, dass die sprechende Medizin, vor allem die Beratung und Anamnese, zu wenig Raum hat, weil die Krankenkassen sie zu wenig unterstützen. Man könnte so aber Kosten sparen, die Wirkung der Medikamente verstärken und Nebenwirkungen abschwächen. Im Verhältnis dazu sind die klassische Diagnostik und Apparatemedizin sehr teuer. Diese können aber problemlos abgerechnet werden, weil sie objektiv und messbar sind und man am Ende genaue Zahlen hat. Aber ob das dem Patienten wirklich immer hilft, ist eine andere Frage. Mit einer Stärkung der psychologischen Faktoren kann man aus relativ wenig Aufwand einen hohen Nutzen ziehen und die Wirkung von medizinischen Behandlungen optimieren.

Ist das ein reines Bauchgefühl?

Früher hat man diese Beobachtungen abgetan mit «Das bilden sich die Patienten ein». Aber heute kann man definitiv belegen, dass sich Körper und Psyche aus medizinischer Sicht nicht voneinander trennen lassen. Mit verschiedenen neurowissenschaftlichen Methoden, wie bilgebenden Verfahren oder transkranieller Magnetstimulation, lassen sich heute die Wirkung von psychosozialen Faktoren im Gehirn und im restlichen Körper genau beobachten und messen. Ich bin zuversichtlich, dass sich dieses Wissen in Zukunft stärker niederschlagen wird – es braucht jetzt einfach Zeit, bis die neuen Erkenntnisse den Weg in die Praxis finden.

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