Konzentrationslager, besetzte Städte, Massaker und flüchtende Menschen: In den 1990er-Jahren ist dies mitten in Europa die Realität. In Jugoslawien kommt es zu den schlimmsten Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg. Die internationale Gemeinschaft will Gerechtigkeit schaffen. Aber wie?
Gerechtigkeit statt Siegerjustiz
Die Kriege fordern rund 130'000 Tote und zwingen über 3 Millionen Menschen zur Flucht. Die Bilder aus den Kriegsgebieten gehen um die Welt. Kriegsreporter Aernout van Lynden ist zu dieser Zeit in Sarajevo: «In jedem Krieg sind Zivilisten Teil des sogenannten Kollateralschadens. Zivilipersonen sterben, sind aber nicht das eigentliche Ziel. Aber in Bosnien waren sie das Ziel.» Die internationale Gemeinschaft ist gezwungen zu handeln.
Das Jugoslawien-Tribunal hat die Denkweise der Menschen verändert.
1993 gründet die UNO den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag. Das erste internationale Tribunal für Kriegsverbrechen seit 1945. Ziel ist es, Kriegsverbrecher:innen aller Kriegsparteien anzuklagen – ein Novum. Es soll keine Siegerjustiz geben, sondern Frieden durch Gerechtigkeit. «Das Jugoslawien-Tribunal hat die Denkweise der Menschen verändert», sagt Ankläger Geoffrey Nice.
Der lange Weg zur Gerechtigkeit
Die Arbeit des Gerichtshofs ist zu Beginn beschwerlich, erinnert sich Ankläger Peter McCloskey: «Niemand rechnete damit, dass wir etwas erreichen würden». Die Behörden liefern Täter:innen nicht aus, viele tauchen unter. Erst als die Nato erste Kriegsverbrecher verhaftet, beginnen die Prozesse.
2001 beginnt mit der Auslieferung von Slobodan Milošević, ehemaliger Präsident Serbiens, eine neue Ära der internationalen Justiz. Später folgen zwei weitere Hauptschuldige: Radovan Karadžić und Ratko Mladić. Mehrere Hauptverantwortliche werden in den Prozessen zur Rechenschaft gezogen.
«Dass das, was du durchmachst, anderen erspart bleibt»
Über 5000 Zeugen und Zeuginnen sagen vor Gericht aus. Zwischen 1996 und 2017 werden 161 Menschen angeklagt, 84 verurteilt. Viele von ihnen erkennen das Gericht nicht an, andere entziehen sich der Justiz.
Sie können nicht aufstehen und auf dich schiessen, weil du darüber sprichst, was sie getan haben.
Die Prozesse machen das Leid der Opfer sichtbar. Saranda Bogujevci verliert im Krieg viele Familienangehörige. Vor Gericht sagt sie gegen Slobodan Milošević aus. Eine Situation, in der die Täter den Opfern zuhören müssen. «Sie können nicht aufstehen und auf dich schiessen, weil du darüber sprichst, was sie getan haben.» Für sie ist klar: «Man hofft immer, dass die Gesellschaft und die Täter ihre Taten einsehen. Dass das, was du durchmachst, anderen erspart bleibt.»
Kriegsverbrechen auf der Anklagebank
In zwei Episoden schildern Überlebende, Medienschaffende, Ankläger:innen und Ermittelnde ihre Erfahrungen aus den Kriegen und den Prozessen. Auch Verurteile wie Biljana Plavšic und Esad Landžo kommen zu Wort. Die Dokumentation zeigt die Widerstände, mit denen das Tribunal konfrontiert war und welche Auswirkungen die Prozesse hatten.