Keine Frage: Dass Kinder sicher und gewaltfrei aufwachsen können, liegt in der Verantwortung der Erwachsenen. Selbstverteidigungskurse für Kinder können aber helfen, sich bei Grenzüberschreitungen adäquat abzugrenzen.
«Sie stärken ihre Intuition und die Kinder lernen, wo sie sich im Notfall Hilfe holen können», sagt Barbara Holzer, die als Teamleiterin der Organisation «Weg ohne Angst» seit über zwanzig Jahren Selbstverteidigungskurse für Frauen und Mädchen anbietet.
Sich selbst wahrnehmen
In ihren Kursen lernen die Kinder zwar ebenfalls Kampftechniken, mit denen sie sich im Notfall auch gegen Erwachsene wehren können. Wichtiger sei jedoch zunächst, dass Kinder lernten, ihrem Bauchgefühl zu vertrauen und «Nein» sagen zu können.
Denn Selbstverteidigung hat viel mit Selbstvertrauen zu tun und damit, zu spüren, wo die eigenen Grenzen liegen. Spielerisch lernen die Kinder Gefühle wahrzunehmen, sie zu benennen und ihnen Platz zu geben. Wie und wo im Körper spüre ich Angst? Oder Wut? Wann ist mir etwas zu viel?
Zeit, sich zu wehren
Wenn die Kinder dann ihre eigenen Grenzen erkennen, geht es einen Schritt weiter in den Kursen von Barbara Holzer und ihren Kolleginnen. «Sobald du im Herzen spürst: Es tut mir weh, es fühlt sich nicht gut an, dann ist es Zeit, dich zu wehren», sagt Holzer den jungen Kursteilnehmerinnen. Dies geschieht mit einer selbstsicheren Körperhaltung, aber auch mit einer klar ausgesprochenen Botschaft, etwa «Lass mich los! Geh weg!»
Übergriffe in der eigenen Familie
Besonders schwierig sei es, den Glaubenssatz «Sei anständig zu einer erwachsenen Person» zu durchbrechen und die Kinder darin zu bestärken, dass sie das Recht auf Gegenwehr hätten, sagt Barbara Holzer. Besonders, wenn man das Gegenüber kennt und mag, etwa jemanden aus der eigenen Familie.
Denn beim Stichwort Selbstverteidigung hat man möglicherweise ein Szenario mit einem Fremden vor Augen, der aus dem Nichts auftaucht und einem Kind Gewalt antut. Die Gefahr lauert aber meist im vermeintlich sicheren Umfeld eines Kindes. Fast die Hälfte aller Kinder in der Schweiz erfahren zu Hause körperliche und/oder psychische Gewalt , wie eine Befragung der Universität Freiburg im Auftrag von Kinderschutz Schweiz 2022 gezeigt hat.