Jeannine Gmelin ist die erfolgreichste Schweizer Ruderin. Zwei Weltmeistertitel, vier EM-Medaillen, zwei olympische Diplome – eine Karriere, die sie mit Disziplin, Ausdauer und Herz aufgebaut hat. An ihrer Seite: ihr Trainer und Lebenspartner Robin Dowell.
Zusammen bilden sie ein unschlagbares Team, auf und neben dem Wasser. «Er war nicht nur mein Partner im Sport, er war auch mein Lebenspartner.»
Zwischen Sieg und Verlust
Doch am 16. Dezember 2022 bricht ihr Leben auseinander. Während einer Trainingseinheit auf dem Sarnersee erleidet Robin, 40 Jahre alt, einen Zusammenbruch und stirbt. Gmelin ist dabei und versucht, ihn zu reanimieren – vergeblich. Im Rückblick sagt sie, dass dieser Moment ein entscheidender Teil ihres Trauerprozesses war. Sie habe sehen müssen, was geschehen ist, um die neue Realität überhaupt begreifen zu können.
Sie beginnt in dieser Zeit, sich intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen, was einen Menschen im Kern ausmacht. Für sie wird deutlich, dass Körper, Geist und Seele untrennbar verbunden sind. «Sein Körper war noch da, also fragte ich mich: Wer ist Robin denn?», sagt sie. Jeannine versucht zu begreifen, wo das Wesen eines Menschen hingeht, wenn der Körper aufhört zu funktionieren – und findet darin eine neue, tiefere Perspektive auf das Leben.
Vom See zur Weltspitze
Schon als Kind verbringt Jeannine viel Zeit am Greifensee. «Ich war nicht super sportlich, ich habe das einfach probiert», erinnert sie sich. Ihr Start ins Rudern ist unspektakulär – ein kleiner Club ohne Infrastruktur, kein Ort für grosse Träume. Und doch wird daraus der Beginn einer Weltkarriere.
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Bild 1 von 3. Jeannine (rechts) ist die Älteste von drei Geschwistern. Sie sind auch heute noch ein wichtiger Teil ihres Lebens. Bildquelle: ZvG.
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Bild 2 von 3. Jeannines sportliche Karriere beginnt im Ruderclub Uster (ZH). Bildquelle: ZVG.
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Bild 3 von 3. Jeannine wächst in der Nähe des Greifensees auf – das Wasser gehört von Anfang an zu ihrem Leben. Bildquelle: ZVG.
Anfangs hasst sie das wackelige Einer-Boot (Skiff). Doch bald merkt sie, dass ihr genau diese Herausforderung entspricht. «Alles, was ich mache, hat einen direkten Impact auf den Outcome.»
Trotz ihrer geringen Körpergrösse setzt sie sich durch. Gegen Vorurteile, gegen Erwartungen. «Dass ich mit dem Rudern so weit gekommen bin, hätte damals niemand gedacht.»
Der Tag, der alles verändert
Der Tag, an dem Robin stirbt, reisst ihr den Boden unter den Füssen weg. «Meine ganze Realität wurde in einem einzigen Moment weggenommen.» Wochenlang bleibt ihre Familie an ihrer Seite, ihre Schwester und Nichte wichen nicht von ihr. «Sie haben mich im Hier und Jetzt behalten und mir gezeigt, dass es im Leben noch Schönes gibt.»
Von aussen bekommt sie viele gut gemeinte Ratschläge – etwa, sie solle für Robin weitermachen. Doch für die Zürcherin ist klar: «Es geht nicht.» Sie zieht sich aus dem Spitzensport zurück. Zum ersten Mal seit Jahren hat sie keinen Plan, keinen Takt, keine Richtung. «Es gibt kein Handbuch, kein Trainings- oder Reha-Plan, der mir sagen konnte, wie ich das bewältigen soll.»
Was bleibt
Heute, zwei Jahre später, hat Jeannine Gmelin wieder ein Stück Ruhe gefunden. Für die 35-Jährige bleibt das Wasser ein Ort der Kraft. Es erinnert sie an ihre Kindheit, an den Sport und an Robin. «Mein Bezug und meine Liebe zum Wasser hat sich nicht verändert, auch weil ich weiss, dass er das Wasser liebte.»
Die Momente, in denen sie sich ihm nahe fühlt, seien seltener geworden. Sie vermutet, dass das auch daran liegt, dass sie heute einen neuen Partner hat und mehr im Jetzt lebt. Gleichzeitig empfindet sie Dankbarkeit – für das, was war, und dafür, dass sie einen Weg gefunden hat, sich auf ihre Art weiterhin mit ihm verbunden zu fühlen. «Ich würde es rückgängig machen wollen, aber das kann ich nicht.»