YB reist mit einem knappen 3:2-Polster zum Champions-League-Playoff-Rückspiel nach Istanbul zu Galatasaray. In der türkischen Metropole am Bosporus haben sich schon ganz andere Teams schwer getan. Allen voran Xamax 1988.
3:0 hatten die Neuenburger das Hinspiel im Achtelfinal des Europacup der Landesmeister zuhause gegen Galatasaray gewonnen. Da konnte eigentlich nicht mehr viel schief gehen – dachte man.
In der Westschweizer Zeitung Le Temps erinnerten sich der damalige Xamax-Präsident Gilbert Facchinetti und Trainer Gilbert Gress 17 Jahre später an den Horror-Ausflug nach Istanbul.
Es hagelt Steine und Münzen
«Schon bei unserer Ankunft am Flughafen sind wir durch die Hölle gegangen», sagte Facchinetti. «In der Nacht vor dem Spiel konnte niemand ein Auge schliessen. Hunderte von Menschen hupten, spielten Musik und schossen Feuerwerkskörper unter den Fenstern unseres Hotels ab. Das war aber nicht viel im Vergleich zu dem, was uns im Stadion erwarten würde ...»
Alle Spieler hatten Schiss. Unser Kapitän Heinz Hermann kam zu mir und sagte: ‹Präsident, wir kommen hier nicht lebend raus. Wir können dieses Spiel nicht spielen.›
So wurde der Neuenburger Bus bei der Ankunft am Stadion Ali Sami Yen, ein Hexenkessel mit 30'000 Zuschauern, mit Steinen beworfen. Auf dem Platz hagelte es Münzen und andere Wurfgeschosse auf die Xamax-Akteure.
Niemand griff ein, auch nicht der Uefa-Delegierte, der die Geschehnisse als «Routine» abtat. Adrian Kunz wurde von einer Münze getroffen und musste sich einen Kopfverband umbinden lassen, noch bevor für ihn das Spiel begonnen hatte.
Auch der Schiedsrichter greift nicht ein
«Alle Spieler hatten Schiss. Unser Kapitän Heinz Hermann kam zu mir und sagte: ‹Präsident, wir kommen hier nicht lebend raus. Wir können dieses Spiel nicht spielen.› Ich musste ihn schubsen, damit er auf das Spielfeld ging», erzählte Facchinetti.
Es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich in einem Stadion Angst hatte.
Auch der französische Schiedsrichter Joël Quiniou wagte es aber nicht, dem Treiben auf den Rängen Einhalt zu gebieten. Zu aufgeheizt war die Stimmung. Xamax ging schliesslich 0:5 unter. «Unsere Spieler waren nur noch elf Geister», fasste Facchinetti zusammen.
Das Stossgebet von Gilbert Gress
Gilbert Gress verfolgten die Ereignisse von Istanbul noch lange, wie er in Le Temps sagte: «Es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich in einem Stadion Angst hatte.»
Als sein Team 3 Minuten vor Schluss mit 0:4 in Rückstand lag und Admir Smajic allein vor dem gegnerischen Torwart aufgetaucht sei und diesen überlobt habe, habe er gebetet. «Ich war noch nie so erleichtert wie in dem Moment, als der Ball die Latte berührte.» Obwohl Xamax mit diesem Tor zu diesem Zeitpunkt weitergekommen wäre.
Juristisches Nachspiel ebenfalls mit fragwürdigem Ausgang
Die Skandalpartie hatte ein juristisches Nachspiel. Die Disziplinarkommission der Uefa entschied in erster Instanz auf einen Forfait-Sieg von Xamax, zog das Urteil aber kurze Zeit später seltsamerweise wieder zurück.
Jahre später wurde bekannt, dass die Mitglieder der Kommission Morddrohungen erhalten hatten. Auch Schiedsrichter Quiniou und Facchinetti selbst hatten ihre Aussagen zurückgezogen, weil sie massiv bedroht worden waren.
Auch die Nati muss in Istanbul unten durch
Denkwürdige Erfahrungen in der Türkei machte auch die Schweizer Nationalmannschaft 2005. Im Sükrü Saraçoglu, dem Stadion von Galatasaray-Rivale Fenerbahce, erlebte sie im WM-Relegationsrückspiel die Partie, die als «Schande von Istanbul» in die Geschichte einging.