SRF Sport: Die Stadt Bergamo hat eine zentrale Rolle gespielt in der Corona-Krise. Wie haben Sie die letzten 13 Monate erlebt?
Remo Freuler: Es war sehr tragisch. Bergamo war die erste Stadt in Europa, die von Covid-19 betroffen war. Niemand verstand, was vor sich ging. Deshalb hat es Bergamo wohl so hart getroffen. Es war eine sehr harte Zeit für alle hier. Aber ich denke, es gibt der Stadt Kraft und schweisst die Leute zusammen.
Der Fussball spielte anfangs überhaupt keine Rolle mehr.
Es gab einen Bericht, in dem der Bergamo-Trainer sagte, man hörte während dem Training alle paar Minuten Sirenen. Corona war allgegenwärtig. Konnte man sich da überhaupt auf den Fussball konzentrieren?
Nein, in dieser Zeit nicht. Alle zwei Minuten hörte man einen Krankenwagen. Es drehte sich alles nur um Corona, auch in den Medien. Der Fussball spielte da anfangs überhaupt keine Rolle mehr. Es war einfach wichtig, dass es dem eigenen Umfeld gut ging.
Ausgerechnet in diesem schicksalhaften Spiel in Mailand gegen Valencia gelang Ihnen ein wunderbares Tor. Ist das ein Widerspruch?
Ich weiss es nicht. Es war das Spiel, das danach als «Partie X» bezeichnet wurde, als Superspreading-Event. Aber während dem Spiel kannte niemand im Stadion das Virus. Trotzdem schaue ich positiv auf dieses Tor zurück, es war wichtig für mich und den ganzen Klub.
Zu Ihrer sportlichen Entwicklung: Sie hatten bisher in jeder Mannschaft eine wichtige Rolle. Wie konnten Sie in Bergamo noch dazulernen?
Trainer Gian-Piero Gasperini hat mein Gesamtpaket nochmals verbessert, in der Persönlichkeit, im Positionsspiel und vor allem in der defensiven Phase. Ich spiele unter ihm nicht mehr so offensiv. Er hat mich in Italien gross gemacht und hat mir viel beigebracht.
Selbst Neugeborene werden gleich ins Atalanta-Trikot gesteckt.
Er wird als zentrale Figur für Atalantas sportlichen Aufstieg angesehen. Er lässt attraktiven Offensivfussball spielen mit hoher Intensität, wird aber auch als strenger Typ beschrieben. Wie sehen Sie ihn?
Er ist ein Trainer, der sich nichts sagen lässt. Er ist der Chef, der Boss. Noch nie in meinem Leben habe ich so hart trainiert wie hier in Bergamo – das ist eines unserer Erfolgsrezepte. Mit ihm zu trainieren ist kein «Schoggileben». Er will offensiven Power-Fussball spielen. Und auf unserem Trikot steht: «La maglia sudata sempre». Also: Das Trikot muss immer verschwitzt sein. Er will, dass man immer alles gibt und einen guten Fussball spielt.
Wie ist die Verbindung des Fussballklubs Atalanta zu den Menschen in Bergamo?
Wenn du hier eine Gruppe mit 10 Menschen findest, die nicht Atalanta-Fan sind, gratuliere ich dir. Hier werden alle zum Atalanta-Fan erzogen. Selbst Neugeborene werden gleich ins Trikot gesteckt. Die Verbindung zwischen Klub und Menschen ist sehr stark.
Atalanta ist als Vierter der Serie A wieder auf CL-Kurs und steht im Cupfinal. Ist das letzte Kapitel von Bergamos Erfolgsgeschichte noch nicht geschrieben?
Ich hoffe nicht. Vor zwei Jahren haben wir den Cupfinal verloren. Nun wollen wir endlich mal einen Titel nach Bergamo holen. Das würde unseren Stellenwert in der Stadt noch erhöhen. Und Champions League zu spielen, ist natürlich das Grösste für jeden Spieler. Diese Saison ist die Liga besonders umkämpft, Milan und die Roma spielen wieder vorne mit. Wir müssen bis zum Schluss alles geben, um unser Ziel, die Champions League, zu erreichen.
Sie sind mittlerweile fünf Jahre in Italien. Sie werden zu den besten Mittelfeldspielern in der Serie A gezählt. Es gibt einen Markt für Sie. Machen Sie sich da Gedanken?
Man macht sich immer Gedanken. Es gibt immer Optionen, den Klub zu wechseln. Aber es muss das richtige Angebot zum richtigen Zeitpunkt kommen. Dann ist alles möglich.
Das Gespräch führte Rainer Maria Salzgeber.