Francesco Totti hat in seiner Karriere viele laute Stadien erlebt. Doch die Atmosphäre, welche dem Captain der AS Roma und seinem Team im März 2002 in Liverpool entgegenschlug, war zu viel für die Römer. «Es war unglaublich. Die Roma-Spieler wussten nicht mehr, wo ihnen der Kopf stand. Sie sahen in der Startphase keinen Ball», erinnert sich Stéphane Henchoz, damals Verteidiger bei den «Reds», an das Spiel.
Die Ausgangslage war ähnlich jener von heute: Liverpool und die Roma trafen sich zum Direktduell um den Einzug in die K.o.-Phase der Champions League, wobei die Gäste mit drei Punkten Reserve anreisten und gar eine knappe Niederlage hätten kassieren dürfen. Es kam anders: Angepeitscht vom Heimpublikum dominierte Liverpool die Italiener und siegte 2:0.
Der Stolz der kleinen Leute
«Die Zuschauer können für den Unterschied sorgen.» Die Aussage von Henchoz ist keine Floskel, sondern die feste Überzeugung eines Fussballers, der selbst sechs Jahre an der Anfield Road auflaufen durfte.
Die Stimmung nährt sich aus der Tradition des Klubs und dem Mythos Anfield Road. Der FC ist das Aushängeschild der Arbeiterstadt, mit entsprechender Hingabe identifizieren sich seine Bewohner mit dem Klub. «Ausser den Beatles und dem FC Liverpool gibt es nicht viel, für das die Stadt bekannt ist», erklärt Henchoz. «Vielmehr gilt Liverpool als Stadt ohne Geld und ohne Jobs. Umso stolzer sind die Leute, wenn Liverpool gegen die Teams aus London gewinnt.»
Hillsborough als Bruch für «The Kop»
Vorbei an einer Tafel mit der Aufschrift «This is Anfield» geht es für die FCB-Spieler am Dienstagabend auf den Rasen, wo sie von Zehntausenden Anhängern mit der Hymne «You’ll Never Walk Alone» empfangen werden. Die Tafel wurde vom legendären Trainer Bill Shankly angebracht. In seinen Jahren (1959-1974) erlebte die Stimmung auf «The Kop», wie die Tribüne der treuesten Fans genannt wird, ihren Höhepunkt.
Vor 20 Jahren wurde die damals mit 28‘000 Plätzen grösste Stehplatz-Tribüne Europas abgerissen, als Folge der Hillsborough-Katastrophe, welche ebenso Teil des Mythos FC Liverpool geworden ist. Heute sitzen noch knapp halb so viele Anhänger auf der neuen Tribüne. Die Stimmung lebt und zehrt von der gloriosen wie der tragischen Vergangenheit des Klubs.
Applaus für den FC Basel?
«Einzigartig» sei die Stimmung aber immer noch, versichert Philipp Degen, der zwischen 2008 und 2010 in Liverpool agierte. Er wünscht sich, dass der FCB davon nicht gehemmt wird, sondern die Atmosphäre «als Extra-Motivation» wahrnimmt.
Bestehen Degen und seine Teamkollegen anders als Totti und Co. vor bald 13 Jahren den Härtetest, dürften sie nach dem Schlusspfiff selbst in den Genuss einer Würdigung durch «The Kop» kommen: «Die Fans sind äusserst respektvoll. Sollte Basel weiterkommen, werden sie applaudieren.»
Sendebezug: Radio SRF 1, Morgenbulletin 9.12.2014, 6:00 Uhr.