«Wer das vorausgesehen hat, ist ein grosser Fussballweiser – oder ein Narr.» Christoph Biermann kann den raschen Aufstieg von Union Berlin noch immer kaum fassen. In der Saison 2018/19 mass sich der Klub aus dem Berliner Stadtteil Köpenick noch in der 2. Bundesliga mit Sandhausen oder Erzgebirge Aue. Am Mittwoch geben die «Eisernen» im Bernabeu gegen Real Madrid ihr Debüt in der Champions League.
Biermann muss es wissen. Der Journalist und Autor hat Union Berlin in der Saison 2019/20 hautnah begleitet und das Innere des Kultklubs kennengelernt, auf Mannschafts- und Führungsebene. Analysieren kann der 62-Jährige den Siegeszug durchaus: Die Spielanlage, die Transferpolitik oder die Energie und Kontinuität im Vorstand nennt Biermann im SRF-Interview als Gründe.
«Warum ist Urs Fischer noch in Berlin?»
Eine Schlüsselrolle gesteht Biermann Trainer Urs Fischer zu. Der Schweizer pflanze seinen Spielern das angestrebte Spielsystem mit einer grossen Detailgenauigkeit und Hartnäckigkeit ein – «wie früher in der Schule». Wer sich dem nicht habe anpassen können, habe den Klub jeweils bald wieder verlassen. Mit extensivem Videostudium bereiten sich die Berliner auf jeden Gegner vor.
Fischers Erfolge hätten andernorts Begehrlichkeiten wecken müssen. Laut Biermann wird der Schweizer «für mich rätselhafterweise noch immer unterschätzt». Zum anderen habe Fischer mehrfach das Umfeld bei Union Berlin gerühmt, das ihm erlaube, nach seinen Vorstellungen zu arbeiten.
«Offene Münder vor dem Bernabeu»
Nun also die Champions League, ausgerechnet auswärts bei Real Madrid, mit seinen 14 Titeln der Inbegriff der «Königsklasse». «Da werden am Mittwoch viele mit offenen Mündern vor dem Estadio Santiago Bernabeu stehen», glaubt Biermann. «Aber es wird wichtig, in Madrid ein ordentliches Spiel zu machen und sich nicht zu sehr beeindrucken zu lassen.»
Eine der Stärken der «Eisernen» sei es, ihr Spiel auch unter besonderen Bedingungen durchzubringen, macht Biermann dem Fischer-Team Hoffnung. «Es haben sich schon viele Teams gegen Union Berlin schwergetan, etwa die Bayern.» Am Ende der CL-Gruppenphase, in der es zudem gegen Napoli und Braga geht, müsse allerdings schon ein 3. Gruppenrang als grosser Erfolg gewertet werden, dämpft Biermann im «Fischer-Understatement-Stil» die Erwartungshaltung.
Besonderes Fan-Lineup im Olympiastadion
Seine Champions-League-Heimspiele wird Union nicht im eigenen Stadion austragen, sondern im Berliner Olympiastadion, der Heimstätte von Erzrivale Hertha. Einerseits sei dies zwar bedauerlich, weil man das Erstaunen des Gegners über die Fan-Nähe in der «Alten Försterei» mit Stehplätzen auf drei Seiten nicht ausnutzen könne.
Zum anderen gebe es viele Union-Fans in Berlin, die sonst keine Gelegenheit hätten, ihren Klub in der Bundesliga zu sehen (die Alte Försterei hat nur 22'000 Plätze), dies nun aber im Olympiastadion (über 74'000 Plätze) tun könnten. «Ich bin überzeugt, dass alle drei Heimspiele ausverkauft sein werden», so Biermann.
Die Rivalität zur Hertha hat im Olympiastadion zudem eine Besonderheit zur Folge: Weil die Herthaner nicht wollen, dass Union-Fans in der Champions League in «ihrer» Ostkurve stehen, werden sich laut Biermann die Union-Fangruppen auf den Seiten installieren – eine besondere Stimmung ist also garantiert.