Der Abend des 2. Turniertags. Soeben ist die Schweiz gegen die Philippinen mit einem 2:0 erfolgreich in die WM gestartet. Unmittelbar nach dem Schlusspfiff wird es hektisch im Inneren des Dunedin Stadiums. Journalistinnen und Journalisten wuseln durch die Gänge, suchen wahlweise Mixed Zone oder Medienkonferenzraum. Dass letztlich alles problemlos funktioniert, liegt an den gleichermassen freundlichen wie geduldigen Volunteers.
Eine, die diese Geduld zwangsläufig mitbringt, ist Anna Steiner. Aktuell arbeitet auch sie als Volunteerin, ansonsten geht die Schweizer Auswanderin einer exklusiven Tätigkeit nach: Sie sucht an der Westküste der neuseeländischen Südinsel nach Gold. Zusammen mit ihrem Lebenspartner, den sie auf einer Reise in Kanada kennengelernt hatte, erwarb sie 2018 an einem Strandabschnitt am Sandfly Beach Schürfrechte.
«Wie es halt ist, du folgst der Liebe», schmunzelt sie im Gespräch. Der Liebe zum Mann mit den Gold-Träumen und dem Ausbruch aus dem Bekannten. Den Zürcher Alltag als Sportlehrerin liess sie für ein Leben abseits der Zivilisation hinter sich.
Das klingt abenteuerlich – und ist es auch. Westlich vom durch Tourismus bekannt gewordenen Franz-Josef diktiert die Natur das Leben. Das musste das Paar auch feststellen, als am Strand nebenan ein Pottwal strandete. Das 15 Meter lange Tier wurde dann von einem Maori-Stamm einem Ritual («karakia») unterzogen. Aus kulturellen Gründen werden dabei die Zähne des Tieres entfernt. Anschliessend verweste der Kadaver über viele Monate – und unter grossem Gestank.
Internet, Telefonempfang, Strom, – all das tauschte sie ein für ihre «Cabin» direkt am Strand. Sie bereut es nicht, beim Erzählen gerät sie ins Schwärmen. Im Garten wächst Gemüse in allen Formen und Farben, Fleisch kommt auf den Tisch, wenn eine Jagd erfolgreich war.
Im Notfall muss der Heli kommen
Alle 6 bis 8 Wochen geht Steiner zusätzlich einkaufen, denn: «Schokolade wächst nicht auf Bäumen.» Doch selbst das bringt Herausforderungen mit sich. Erst muss mit einem Quad ein Fluss überquert werden, dann geht die Reise per Auto weiter. Das ist nur in Schönwetter-Perioden möglich, da sonst Hochwasser droht. Für den absoluten Notfall besteht eine Funkverbindung zur Helikopter-Basis in Franz-Josef.
Das Leben in völliger Abgeschiedenheit bringt auch Vorteile mit sich. Zum Beispiel war Corona kaum ein Thema. «Es ist ein guter Ort, um so etwas vorbeiziehen zu lassen. Wir sind sehr privilegiert», erzählt Steiner. Dabei wäre das Neuseeland-Abenteuer beinahe geplatzt. Weil sie bei der Einreise 2018 noch kein Visum hatte, musste sie einen Rückflug buchen. Dieser wurde im April 2020 wegen Corona kurzerhand gestrichen. Zu ihrem Glück, so Steiner: «Ich hätte 2 Jahre nicht mehr einreisen können. Das wäre es mit Neuseeland gewesen.»
Vom Partikel zum Goldklumpen
Doch wie muss man sich die Arbeit von Goldschürfern vorstellen? Steiner und ihr Partner begeben sich 2 Stunden nach der Flut an den Strand. Ist schwarzer, eisenhaltiger Sand, der das Gold bindet, zu sehen, wird dieser auf Gold getestet und im positiven Fall die oberste Schicht abgeschaufelt. Das Gold, fein wie Mehl, gelangt dann in die «Sluice» (Schleuse). Der Sand wird gewaschen, das schwerere Edelmetall sinkt in Matten ab. Das Gold wird schliesslich erst in einer Eisenkugel geschmolzen und dann mit einem Bunsenbrenner gereinigt.
Das klappte im ersten Jahr hervorragend. Die äusseren Umstände – der Erfolg hängt von etlichen Faktoren wie der Mondphase und anderen ab – waren günstig, die Vorgänger hatten zudem in tieferen Schichten Gold «übersehen». Ihren ersten geschmolzenen Klumpen trägt Steiner stets bei sich – als Talisman. So gross wie zwei 5-Franken-Stücke liegt er kalt und erstaunlich schwer in der Hand.
Sie habe sich schon eine Insel auf Fidschi aussuchen wollen, lacht Steiner, doch der Goldrausch ebbte bald ab. 2022 wurde nur noch ein einziges Mal Gold angespült. Das andernorts ungeliebte, unregelmässig auftretende Wetterphänomen El Niño, das für die Gold bringende Strömung substanziell ist, blieb aus. Steiner musste ihr Budget für einige Monate als Reinigungskraft aufbessern, ihr Partner arbeitete im Bauwesen. Diese finanzielle Unsicherheit sei mental fordernd, die Hoffnung ist indes gross: Im Juni 2023 formierte sich El Niño wieder.
Daumen drücken für die Schweiz
Doch zunächst konzentriert sich die 47-Jährige auf die Aufgabe als Volunteerin. Im Bauch des trotz Dach zugigen Dunedin Stadiums betreut sie die Medienschaffenden. Schon an Olympia in Vancouver leistete die einst aktive Fussballspielerin ihren Dienst als Freiwillige. Als sie hörte, dass die Schweiz auf Neuseelands Südinsel spielt – und dann erst noch gegen Neuseeland –, bewarb sie sich.
Dieses letzte Vorrundenspiel der Schweizer Nati wird Steiner als Fan im Stadion mitverfolgen. Sie hat dann frei und sich ein Ticket besorgt. Sie wird der Nati die Daumen drücken. Für diese bietet sich im Hinblick auf die K.o.-Phase gerade eine goldene Gelegenheit. Und davon versteht Anna Steiner etwas.