Die Stärkeverhältnisse
Eigentlich müsste man die Olympiasiegerinnen aus Kanada zweifellos im Dunstkreis der Titelanwärterinnen platzieren. Doch zuletzt wurde es bei den Nordamerikanerinnen unruhig. So drohten die Akteurinnen einen Boykott des Trainingscamps im April an, weil sie im Vergleich mit den Männern finanziell schlechter behandelt würden.
Im «SheBelieves Cup» trat Kanada «unter Protest» an. Gegen die USA trugen die Spielerinnen während der Nationalhymne T-Shirts mit der Aufschrift «Enough is enough». Zumindest fand man eine vorübergehende Einigung. Zu allem Überfluss fällt für die WM Top-Stürmerin Janine Beckie verletzt aus.
Aus diesen Unruhen beim Gruppengegner will Australien Kapital schlagen. Die Co-Gastgeberinnen können auf ein starkes Kader um Superstar Sam Kerr und Mary Fowler, einem der vielversprechendsten Fussball-Talente, zählen. Nicht zu unterschätzen ist der Heimvorteil der «Matildas». Der Sieg in dieser schwierigen Gruppe ist durchaus realistisch.
Unangenehm zu spielen ist das etwas überraschend und zum ersten Mal qualifizierte Irland. Sakrosankt ist Trainerin Vera Pauw die defensive Fünferkette. Dazu erklärte sie lapidar: «Es ist nicht so, dass ich es liebe zu mauern. Ich liebe es zu gewinnen.» Vor dieser massierten Defensive stechen zwei exzellente Mittelfeldakteurinnen heraus: Arsenals Katie McCabe und die in den USA spielende Denise O’Sullivan. Ein Weiterkommen der Irinnen käme einem Exploit gleich.
Als grösste Aussenseiterinnen in die komplizierte Gruppe startet Nigeria. Die Hoffnungen ruhen auf Asisat Oshoala, die vielleicht beste Spielerin der Geschichte auf dem afrikanischen Kontinent. Die Barcelona-Stürmerin und zweifache Champions-League-Siegerin ist kaum zu bremsen. Oder wie Trainer Randy Waldrum findet: «Wenn du Oshoala hast, hast du gegen jedes Team eine Chance.»
Team | Fifa-Ranking | WM-Endrunden | Bestes WM-Abschneiden |
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Kanada | Nr. 6 |
8. (1995-2023) |
Rang 4 (2003) |
Australien | Nr. 10 |
8. (1995-2023) |
Viertelfinal (2007/2011/2015) |
Irland | Nr. 22 |
1. (2023) |
- |
Nigeria | Nr. 42 |
9. (alle) (1991-2023) |
Viertelfinal (1999) |
Die Partien
- Donnerstag, 20.07. – 12:00 Uhr Australien - Irland (Sydney)
- Freitag, 21.07. – 04:30 Uhr Nigeria - Kanada (Melbourne)
- Mittwoch, 26.07. – 14:00 Uhr Kanada - Irland (Perth)
- Donnerstag, 27.07. – 12:00 Uhr Australien - Nigeria (Brisbane)
- Montag, 31.07. – 12:00 Uhr Irland - Nigeria (Brisbane)
- Montag, 31.07. – 12:00 Uhr Kanada - Australien (Melbourne)
(alle Angaben Schweizer Zeit)
Die Köpfe auf und neben dem Platz
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Bild 1 von 12. Sam Kerr (29/Australien). Grosse Stürmerstars brauchen einen Torjubel mit Wiedererkennungswert. Chelsea-Knipserin Sam Kerr gehört fraglos dazu und macht nach ihren Treffern einen Rückwärtssalto. Sozusagen den umgekehrten Miro Klose. Gelegenheit dazu hat die Torschützenkönigin 2021 und 2022 in England mehr als genug. Bildquelle: imago images/Shutterstock.
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Bild 2 von 12. Mary Fowler (20/Australien). Die ManCity-Stürmerin darf in sportlicher Hinsicht als frühreif bezeichnet werden: Nationalteam-Debüt mit 15 Jahren, erstes Spiel für Montpellier mit 16 Jahren. Kein Wunder, wurde man in England auf sie aufmerksam. 2022 gehörte die Tochter eines Iren zu den Nominierten für den European Golden Girl Award. Bildquelle: imago images/NurPhoto.
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Bild 3 von 12. Kadeisha Buchanan (27/Kanada). Als «Keisha» 2015 Kanadas Spielerin des Jahres wurde, löste sie die nationale Ikone Christine Sinclair (die mit 40 Jahren ebenfalls an der WM dabei sein wird) nach 11 Triumphen in Folge ab. Nach dem Handshake mit «Sinc» schwor sie, ihre Hand nie wieder zu waschen. Mittlerweile ist die Champions-League-Siegerin selbst ein Superstar. Bildquelle: Imago/Nina Farooqi.
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Bild 4 von 12. Ashley Lawrence (28/Kanada). Laut ihrer Trainerin ist die Rechtsverteidigerin die meist unterschätzte Spielerin der Welt. Bei PSG, das sie Ende Saison verlässt, wusste man um die Stärken Lawrences: Kaum eine Akteurin erhielt mehr Einsatzminuten. Sie war zudem integraler Baustein des Olympiasiegs 2021. Bildquelle: imago/foto2press.
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Bild 5 von 12. Katie McCabe (27/Irland). Die Linksfüsserin mit der begnadeten Schusstechnik beackert für Arsenal den linken Couloir. Seit sie 21 Jahre alt ist, trägt McCabe bei den Irinnen die Captainbinde. Sie ist bei den «Girls in Green» zudem für die Standards zuständig. Bildquelle: imago images/Nina Farooqi.
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Bild 6 von 12. Denise O’Sullivan (29/Irland). Sie ist die Regisseurin der Irinnen. Für die zweifache Meisterin mit North Carolina Courage in den USA gibt es offenbar nur etwas, das sie nicht gut kann: Ferien machen. Während der in den Vereinigten Staaten spielfreien Phasen liess sich O'Sullivan wahlweise nach Australien oder England ausleihen. Bildquelle: imago images/Sports Press Photo.
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Bild 7 von 12. Asisat Oshoala (28/Nigeria). Seit 2021 die erste afrikanische Champions-League-Siegerin. Barcelona-Stürmerin Oshoala hat Titel auf 3 Kontinenten gewonnen. Und jetzt erhielt die Tormaschine mit dem einprägsamen Spitznamen «Superzee» auch noch eine eigene Lego-Figur. Bildquelle: imago images/Cover-Images.
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Bild 8 von 12. Rasheedat Ajibade (23/Nigeria). «Das Mädchen mit den blauen Haaren» ist nicht nur in Atleticos Sturm eine feste Grösse. Auch neben dem Platz bewegt Ajibade einiges. Sie hat Abschlüsse in Buchhaltung, Sportmanagement und Psychologie. Zudem lancierte «Rash» eine Kampagne zur Förderung nigerianischer Fussballtalente. Bildquelle: imago images/ZUMA wire.
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Bild 9 von 12. Bev Priestman (Kanada). Nach zweimal Olympia-Bronze für Kanada kündigte die Engländerin bei ihrem Amtsantritt 2020 relativ unbescheiden an: «Wir werden die Farbe der Medaille ändern.» Und tatsächlich führte sie Kanada ein Jahr später in Tokio zum Olympiasieg. Bildquelle: imago images/Sports Press Photo.
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Bild 10 von 12. Tony Gustavsson (Australien). Der 49-jährige Schwede blickt bereits auf 23 Jahre Trainererfahrung zurück. Er hat den Australierinnen zuletzt ein schnelles Umschaltspiel eingeimpft. Damit feierte er 10 Monate vor WM-Beginn immerhin Siege über Dänemark, Schweden, Spanien und England. Bildquelle: imago images/Shutterstock.
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Bild 11 von 12. Vera Pauw (Irland). «Defence First», lautet ihr Credo, welches sich in einer 5-4-1-Formation niederschlägt. In den heimischen Medien wurde dies kritisiert. Jedoch nur so lange, bis Pauw die Irinnen erstmals in der Geschichte an ein grosses Turnier führte. Bildquelle: imago/Inpho Photography.
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Bild 12 von 12. Randy Waldrum (Nigeria). Zweimal wurde der Texaner fälschlicherweise als Trainer der Nigerianerinnen verkündet. Erst beim dritten Mal stimmte die Nachricht dann wirklich. Den Posten nahm Waldrum nur unter einer Bedingung an: Dass er auch weiterhin Coach der Pittsburgh Panthers bleiben darf. Bildquelle: imago images/Shengol Pixs.
Einige Fakten auf den Punkt gebracht
- Kanada hofft auf Sinclair: Nach dem Ausfall der laut Trainerin «unersetzlichen» Janine Beckie muss es wieder einmal eine lebende Legende richten: die 40-jährige Christine Sinclair, mit 190 Länderspieltoren Weltrekordinhaberin. Gegen Nigeria könnte es dann zum Duell mit Onome Ebi kommen – die ebenfalls 40 Lenze zählt.
- Die Matildas, der Swagman und der Jumbuck: In Anlehnung an das bekannte Volkslied «Waltzing Matilda» wird die australische Fussball-Nati «The Matildas» genannt. Wer sich mit dem (übersetzten) Liedtext auseinandersetzt, erfährt auch, was folgender Inhalt zu bedeuten hat: Ein «Swagman» schlägt an einem «Billabong» sein Lager unter einem «Coolibah» auf, als ein «Jumbuck» kommt.
- Stammtischwissen: Wenn Sie beim gemütlichen Umtrunk so richtig mit Nischen-Wissen glänzen wollen, lassen Sie doch einfach mal diesen Satz fallen: «Für die Irinnen, die sich Irisch-Gälisch foireann sacair náisiúnta ban Phoblacht na hÉireann nennen, ist es die erste Teilnahme an einem grossen Turnier.»
- Bären, Panther, Kämpfer: Ob sich Trainer Randy Waldrum die «Super Falcons» wegen ihres Spitznamens ausgesucht hat? Schliesslich trainierte der Texaner in der Vergangenheit schon so wohlklingende Klubs wie Baylor Bears, Pittsburgh Panthers, Tulsa Golden Hurricane oder Notre Dame Fighting Irish. Letzteres ist dann auch das Motto der letzten Vorrundenpartie Nigerias.
Die Fortsetzung
Die Siegerinnen der Gruppe B bekommen es im Achtelfinal mit den Zweitplatzierten der Gruppe D (England, China, Dänemark, Haiti) zu tun. Die Zweitplatzierten treffen auf die Besten aus dem Pool D.