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Kameruns Coach an der WM 2014 Finke: «Die Paarung Eto'o und Song hat alle überrascht»

Trainer Volker Finke trainierte Kamerun an der WM 2014 in Brasilien. Der 74-jährige Deutsche analysiert im Interview mit SRF den ersten Schweizer WM-Gegner an der WM 2022 in Katar.

Song und Eto'o nach der in extremis geschafften WM-Qualifikation gegen Algerien.
Legende: Bild der Harmonie Song und Eto'o (rechts) nach der in extremis geschafften WM-Qualifikation gegen Algerien. Keystone/Anis Belghoul

SRF Sport: Volker Finke, Sie führten Kamerun letztmals an eine WM. Wie steht es um die aktuelle Mannschaft?

Volker Finke: Ich pflege immer noch guten Kontakt zu Leuten, die ich während meiner Tätigkeit in Kamerun kennengelernt habe. Mein damaliger Teammanager, Rigobert Song, ist ja jetzt Trainer. Die dramatische Qualifikation hat eine riesige Euphorie ausgelöst. ( Sieg gegen Algerien in der Verlängerung des Rückspiels, die Red. )

Mit Samuel Eto'o ist der Superstar des Landes Verbandspräsident. Ist das Fluch oder Segen?

Dass der beste kamerunische Fussballer aller Zeiten nun Verbandspräsident ist, macht die Sache noch emotionaler. Kürzlich hat er gefordert, dass die Mannschaft ins Endspiel kommen oder sogar Weltmeister werden soll. Das kann natürlich zur Belastung werden.

Zur Person

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Volker Finke im Herbst 2021 im Stadion bei einem Pokalspiel
Legende: Volker Finke imago images/Sportfoto Rudel

Volker Finke trainierte zwischen 1991 und 2007 den SC Freiburg und hält damit immer noch den Bundesliga-Rekord für die längste Amtszeit bei einem Klub. An der EM 2008 analysierte der Deutsche Spiele für SRF, in der Saison 2014/15 auch Partien der Champions League. Von 2013 bis 2015 coachte Finke Kameruns Nationalteam und beendete danach seine Trainerkarriere.

Wer ist aktuell die grosse Figur im kamerunischen Fussball?

Das Paar Eto'o und Rigobert Song, die beiden herausragendsten Spieler der letzten 20 Jahre, ist jetzt verantwortlich für das Sportliche. Der Verbandspräsident hat aber auch die wichtige Aufgabe, bei der Regierung das nötige Geld lockerzumachen für vernünftige Spieler-Prämien und eine gute Vorbereitung. Samuel und Rigo unterstützen sich momentan sehr gut, obwohl das früher anders war.

Der Captain einer afrikanischen Mannschaft gibt dem Trainer gerne am Tag vor dem Spiel die gewünschte Aufstellung durch. Das war auch bei Eto'o so.

Warum?

Es war eine grosse Überraschung für alle, dass Eto'o im Frühling Song zum Nationaltrainer gemacht hat. Denn es gab die Geschichte um die Kapitänsbinde an der WM 2006. Die wurde Song weggenommen und dann Eto'o überreicht. Da geht es immer um Rivalitäten und darum, wer mehr Einfluss hat. Ich stelle mir als quasi Insider natürlich auch die Frage, wie lange diese Zusammenarbeit funktioniert.

Wie tickt Song?

Er kann sehr gut Leute für sich gewinnen. Ich habe ihn früher oft bei Einzelgesprächen hinzugezogen, weil er die verschiedenen Ethnien einen konnte. Song ist jetzt nicht der Taktik-Nerd, der jedes Spiel decodiert, aber er ist emotional und mental sehr stark.

Wenn die Hierarchien geklärt sind und keine Grüppchenbildung entsteht, kann Kamerun eigentlich gegen jeden Gegner gewinnen.

Worauf muss sich die Schweiz am Donnerstag gefasst machen?

Es ist keine gute Idee, gegen Kamerun in Rückstand zu geraten, denn dann steigern sie sich noch einmal. Kamerun ist individuell sehr stark besetzt und wenn sie sich gegenseitig unterstützen, sind sie eine unheimlich starke Truppe.

Wie weit kommt Kamerun an dieser WM?

Bei einem Sieg oder einem Remis am Donnerstag könnte Kamerun weiterkommen. Insgesamt gilt ja oft, dass mehr Geld als Talent im Fussball steckt. In Afrika ist das oft umgekehrt. Wenn die Hierarchien geklärt sind und keine Grüppchenbildung entsteht, kann Kamerun eigentlich gegen jeden Gegner gewinnen. Denn das Land verfügt über ein riesiges Talentreservoir.

Kamerun war in den 1980er- und 1990er-Jahren massgeblich daran beteiligt, den afrikanischen Fussball auf die Weltkarte zu bringen. Wo steht der Fussball in Kamerun heute?

Man hat die Führungsrolle in den letzten Jahren wieder übernommen und gehört mit dem Senegal und Ghana zu den Top 3 Afrikas. Das Besondere an dieser WM ist, dass alle afrikanischen Mannschaften Trainer aus ihren Ländern haben. Das könnte sein, dass das den Knoten etwas löst.

Kamerun erreichte 1990 den WM-Viertelfinal, danach kam man nie mehr über die Vorrunde hinaus (1994, 1998, 2002, 2010, 2014). Warum konnte Kamerun die gute Entwicklung nicht fortsetzen?

Das ist eigentlich die wichtigste Frage. Denn das gilt für viele afrikanische Mannschaften, die sich für eine WM qualifizieren. Es gibt im Vergleich zu uns in Europa immer Schwierigkeiten in der Endphase. Während der Qualifikation läuft noch alles professionell ab. Danach entsteht eine neue Situation. Denn in Afrika tragen die Regierungen die Kosten, nicht etwas die Sponsoren oder Verbände. Wir sind damals mit zwei Tagen Verspätung nach Brasilien gereist, weil sich Captain Eto'o nicht mit der Regierung über die Prämien einigen konnte.

Wie sind Ihre persönlichen Erinnerungen an das WM-Abenteuer 2014?

Ich kann nur sagen, dass die nicht gut sind. Es begann mit der unnötigen Roten Karte von Alex Song, ein Neffe von Rigobert, und wir hatten in Unterzahl kaum Chancen ( in der Schlussphase gerieten auch noch Benoit Assou-Ekotto und Benjamin Moukandjo aneinander, die Red. ). Wir haben es neben dem Platz nicht geschafft, eine Einheit zwischen den verschiedenen Gruppierungen hinzukriegen. Das hat dann auch zum Ausscheiden geführt.

 Welche Anekdote erzählen Sie Ihren Freunden bei einem Glas Wein von Ihrer Zeit in Kamerun?

Der Captain einer afrikanischen Mannschaft gibt dem Trainer gerne am Tag vor dem Spiel die gewünschte Aufstellung durch. Das war auch bei Eto'o so. Da schauen europäische Trainer nur ungläubig. Ich habe das immer ernstgenommen, habe aber auch klargemacht, dass der Trainer die Aufstellung macht. Vor wichtigen Spielen variierten bis zu 6 Positionen.

Sportlive, Mittwoch, 23.11. 10:30 Uhr ; 

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